Die Krise in Gaza – Made in Israel
Michael
Warschawski, 24.6.07 Ynet
Der alte Traum Ariel
Sharons ist wahr geworden: Palästinenser töten
Palästinenser und Israel zählt mit großer
Befriedigung die Zahl der Opfer. Die Tränen der
israelischen Führer sind Krokodilstränen und ihre
Behauptungen, dass ihnen die tragische Entwicklung
leid tue, ist pure Heuchelei. Die blutigen
Konfrontationen waren vorhersehbar und die
israelisch-us-amerikanische Verantwortung und die
aktive Verwicklung darin sind kristallklar.
Viele israelische
Journalisten analysierten Israels Verantwortung als
indirekt: „1,4 Millionen Menschen zusammengepfercht
auf einem schmalen Streifen Land wie Gaza, ohne
Möglichkeit ein normales wirtschaftliches Leben zu
führen, und ohne die Möglichkeit, dem zu entfliehen,
sind dazu verurteilt, sich gegenseitig umzubringen …
wie Mäuse, die in einen zu kleinen Käfig
eingesperrt sind“. Diese zoologische Erklärung ist
nicht nur typisch rassistisch, sondern gründet sich
auf eine große Untertreibung. Denn Israels Rolle und
die der USA bestand bei den gegenwärtigen
Konfrontationen keineswegs nur aus dem „Schaffen
von Vorbedingungen“ für einen innerpalästinensischen
Konflikt.
Monate lang hatte
die US-Regierung die Fatah-Führung dazu getrieben,
eine militärische Offensive gegen die Hamas zu
beginnen. Vor zwei Wochen gab Israel das grüne Licht
dazu, große Mengen an Waffen für die Fatahmilizen
in den Gazastreifen zu bringen. In diesem Sinn ist
Israels Anteil bei der gegenwärtigen Situation nicht
nur eine Vermutung. Israel spielte eine aktive
Rolle.
Wer ist der
Aggressor?
„Hamas übernimmt die
Macht,“ „Ein Staatsstreich der Hamas“ – dies sind
nur zwei der Schlagzeilen in israelischen Zeitungen
der letzten Tage und wiederholen damit die großen
Lügen der Regierungen in Tel Aviv und Washington.
Es scheint nötig zu sein, klar zu stellen, was
eigentlich bekannt sein soll: Hamas hat die Fatah
bei den letzten palästinensischen Wahlen besiegt –
nach einem Wahlprozess, den die ganze internationale
Gemeinschaft, einschließlich Washington als die
demokratischste im ganzen Nahen Osten gepriesen hat.
Zweifellos ein demokratischer Prozess mit massiver
allgemeiner Unterstützung – nur wenige Regime können
für sich solch eine Legitimität beanspruchen.
Trotz ihres
überwältigenden Sieges war die Hamas damit
einverstanden, ihre Macht in einer nationalen
Einheitsregierung mit der Fatah zu teilen, die unter
der Schutzherrschaft Saudi Arabiens und Ägyptens
gebildet wurde und von der ganzen internationalen
Gemeinschaft, außer Washington und Israel,
abgesegnet wurde. Die politische Plattform der neuen
Regierung gab eine de facto –Anerkennung des Staates
Israels und unterstützt die Strategie friedlicher
Verhandlungen, die sich auf den Mechanismus der
Oslo-Verträge gründet.
Die Priorität der
neuen Regierung war, sich mit den brennenden
innenpolitischen Problemen – wirtschaftliche
Verbesserung, Wiederherstellung von Gesetz und
Ordnung in Gaza, die Korruptionsseuche der alten von
Fatah geführten Verwaltung zu bekämpfen – während
man Präsident Mahmoud Abbas und der PLO erlaubt, den
Verhandlungsprozess zu führen, falls und wann Israel
ihn wieder aufnehmen wird.
Hamas moderate
Regierungsplattform war jedoch mit zwei mächtigen
Feinden konfrontiert: einem Teil der Fatah, der
nicht bereit ist, auf ihr Machtmonopol und die damit
verbundenen materiellen Privilegien zu verzichten
und die US-israelisch neokonservativen Regierungen,
die einen globalen Kreuzzug gegen den politischen
Islam kämpfen. Muhammad Dahlan, früherer Chef des
Präventivsicherheitsdienstes und gegenwärtiger
Sicherheitsberater von Mahmoud Abbas vertritt
beide: sie sind zum einen die Ausführenden der
Pläne Washingtons in der palästinensischen Führung
und zum andern auch die Vertreter von jenen
korrupten Fatahführern, die bereit sind, alles zu
tun, um ihre wirtschaftlichen Ressourcen nicht zu
verlieren.
Seit dem Wahlsieg
von Hamas hat Dahlans Miliz die Regierung provoziert
und die Hamas angegriffen und die
Regierungskontrolle der palästinensischen Polizei
abgelehnt. Trotz Dahlans Aggression hat Hamas sein
Bestes getan, um mit ihm zu einer Übereinkunft zu
kommen und ihre eigenen Aktivisten darum gebeten,
sich mit Gegengewalt zurück zu halten .Als es jedoch
klar wurde, dass Dahlan keinen Kompromiss will,
sondern Hamas tatsächlich liquidieren will, hatte
die islamische Organisation keine Alternative, als
sich selbst zu verteidigen und zurückzuschlagen.
Der US-israelische
Plan ist ein Teil der globalen Strategie,
Regierungen einzusetzen, die ihren Interessen
gegenüber loyal, aber gegen den Willen der lokalen
Bevölkerung sind. Algerien stellt solch ein Beispiel
dar aber auch für ihren Fehlschlag und ihre
kolossalen menschlichen Verluste: dem fraglosen
Wahlsieg der FIS (Islamische Heilsfront) über die
korrupte und diskreditierte FLN 1991 folgte ein
Staatsstreich, der von Frankreich und den USA
unterstützt wurde. Dieser bereitete den Weg für
einen Bürgerkrieg, der länger als 10 Jahre dauerte
und mehr als 100 000 zivile Opfer kostete
.
Hamas hat aus der
algerischen Tragödie gelernt und sich entschieden,
dass Dahlans Pläne, mit Gewalt an die Macht zu
kommen, nicht gelingen darf. Da sie die
Unterstützung der Mehrheit der lokalen Bevölkerung
hinter sich hatten, besiegten die Milizen der Hamas
die Fatah in zwei Tagen, obwohl die letztere
indirekt durch Israel mit Waffen versorgt worden
waren. Eine korrupte Miliz ohne jegliche
Unterstützung durch die Bevölkerung kann einer
relativ disziplinierten und hoch motivierten
Organisation nicht widerstehen.
Selbst nach dem
sagenhaften Sieg über die Fatah hat die Hamasführung
ihre Absicht, eine nationale Einheitsregierung zu
halten, wiederholt. Sie wollte den misslungenen
Staatsstreich der Fatah nicht als einen Vorwand
ausnützen, die Organisation zu vernichten oder sie
aus der Regierung auszuschließen. Die Fatahführung
jedoch entschied sich, alle Beziehungen mit der
Hamas abzubrechen und eine Regierung ohne die Hamas
in der Westbank aufzustellen . So wurde ein
weiterer Traum Ariel Sharons wahr: totale Trennung
zwischen der Westbank und dem Gazastreifen, der nun
als ein hoffnungsloses Hamastan angesehen wird, eine
terroristische Einheit, in der es keine Zivilisten
gibt, sondern nur „Terroristen“, die unter einen
totalen Belagerungszustand gesetzt und dem
Hungertod ausgeliefert werden können.
Washington, das
diese Politik völlig unterstützt, versprach seine
volle Unterstützung von Mahmoud Dahlan und seinem
neuen Bantustan in der Westbank, und Ehud Olmert
entschied, etwas von dem palästinensischen Geld, das
von der israelischen Regierung zurückgehalten wurde,
herauszugeben.
Kein
Bürgerkrieg.
Eines der Ziele der
israelischen und amerikanischen Regierung ist jedoch
fehlgeschlagen. Es gibt kein Chaos im Gazastreifen.
Im Gegenteil. Wie ein palästinensischer
Sicherheitsoffizier Haaretz am 17.Juni sagte :
„Lange Zeit war die Stadt nicht ruhig gewesen. Mir
ist die jetzige Situation lieber als die
vorausgegangene. Jetzt kann ich wenigstens aus
meinem Haus gehen..“ Die Vernichtung der Fatahbande
im Gazastreifen mag einer langen Periode der
Anarchie ein Ende gesetzt haben und die Rückkehr von
so etwas wie einem normalen Leben ermöglichen. Die
letzten Ereignisse bestätigen, dass Hamas die Macht
hat, dies zu tun.
Israels Rede über
einen palästinensischen Bürgerkrieg ist nichts als
Wunschdenken. Die bewaffnete Konfrontation war nur
zwischen den bewaffneten Milizen und leider gab es
auch zivile Todesfälle – was die US-Armee „Kollateralschäden“
nennt. Die Bevölkerung ist allerdings politisch
geteilt – in die Westbank und den Gazastreifen. Aber
sie bekämpfen sich nicht gegenseitig, wenigstens bis
jetzt.
Da Gaza aber als
feindliche Entität bezeichnet wird und seine ganze
Bevölkerung als Verbündete der Hamas gilt, besteht
kein Zweifel, dass sie in naher Zukunft das Ziel
einer brutalen israelischen Aggression sein wird: am
Ende dann militärische Überfälle, Bombardements und
Hungersnot.
Deshalb ist es
unsere oberste Priorität hier in Israel aber auch in
aller Welt eine Solidarität mit Gaza und seiner
Bevölkerung zu organisieren.
Michel Warschawski
ist ein Journalist und Autor und Gründer des
Alternativen Informationszentrum (AIC) in Israel.
Seine Bücher : „Auf der Grenze“ und „Im
Höllentempo, die Krisis der israelischen
Gesellschaft)
(dt. Ellen Rohlfs)
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