Sha’ab al Butun - von
Hirten und Siedlern
David
Shulman, ( Ta’ayush ), 28.
3.2009
Am Ende erreicht man
das Grundsätzliche, das sehr einfach ist. Warum
befinden wir uns eigentlich auf dieser Hügelkuppe,
umweht vom letzten Winterwind, frieren, sind traurig
und verzweifelt? Ich denke, dass wir dies tun,
einfach weil wir Menschen sind. Nicht mehr und
hoffentlich auch nicht weniger. Um Zeugen zu sein
und zu berichten. Und um die Wahrheit zu sagen –
lasst uns die Wahrheit nicht vergessen. Aber die
Wahrheit ist nicht etwas, die man einfach so daher
sagt, es ist eher etwas, das natürlich auftaucht und
ans Licht und ins Leben kommt, wenn da jemand in der
Nähe ist und sie zur Kenntnis nimmt. Sie zur
Kenntnis nehmen und sie um ihrer selbst willen
pflegen, sind tiefere Akte, als einfach hier neben
den palästinensischen Hirten von Sha’ab al-Butun zu
stehen, denen wir nicht viel helfen können, nicht so
viel, wie wir es gerne täten. Wir würden gerne dafür
sorgen, dass sie wenigstens eine Chance hätten, ihre
mageren Ziegen auf ihrem eigenen Land grasen zu
lassen, das die Siedler gestohlen und eingezäunt
haben. Das ist der Grund, warum wir kamen. Es
scheint ein langer Weg zu sein, nur um die Wahrheit
zu bemerken. War das wirklich notwendig? Ja, es gab
keinen anderen Weg. Natürlich werden wir
höchstwahrscheinlich keinen Erfolg haben. Auf jeden
Fall ist es ein täglicher Kampf, wie mir einer
Hirten mit schweren, bitteren Worten sagt.
Morgen wird es wieder
dasselbe sein.
Vielleicht ist es auch
ein früher Frühlingswind und der Winter ist vorbei.
Der Hügel und die Täler sind schon grün und auch
von zarten dunkelroten und gelben Blumen übersät,
jede einzelne ein kleines Wunder in dieser öden
Gegend. Der Boden unter unseren Füßen ist weich. Es
hat in der vergangenen Woche geregnet. Aber das
meiste, was hier wächst, sind weißgraue Felsen und
die winterharten Disteln, die sich in die Schuhe und
Socken verhaken. Das Hebräische hat für solche
unwirtlichen Hänge einen Namen : admat terashim; und
das israelische Gesetz sagt, dass solches Land an
den Staat zurückfällt, auch wenn es in privaten
Besitz ist, wenn es nicht ständig kultiviert wird.
Im diesem Fall hier hat der Staat es den Siedlern
gegeben, die den ‚illegalen Außenposten’ Havat Yair
darauf gesetzt haben und die nun Obszönitäten hinter
uns herschreien.
Nicht ich sage, der
Außenposten sei illegal. Erst letzte Woche hat der
Justizminister Daniel Friedman – kein Freund der
Linken oder des Friedenslagers - bei einem
Fernsehinterview gesagt, alle israelischen
Siedlungen in den palästinensischen Gebieten sind
illegal. Er hat damit sicher recht. Innerhalb dieser
allgemeinen Rubrik von Diebstahl und krimineller
Enteignung gibt es jene Siedlungen, die man im
alltäglichen israelischen Diskurs als ‚illegal’
bezeichnet; das sind Siedlungen wie Havat Yair, die
ohne explizite Regierungserlaubnis hier aufgebaut
wurden. In der Praxis gibt es keinen wirklichen
Unterschied. Havat Yair wie alle übrigen sind ans
Stromnetz angeschlossen und an die Wasserleitung.
Und sie haben zum Schutz ein bestimmtes Kontingent
an Soldaten und den nötigen Straßenanschluss, den
versteckten Wachturm, Stacheldraht usw. Und wie alle
anderen dehnt es sich ständig auf den alten
Weideflächen der palästinensischen Nachbarn weiter
aus.
Nachdem wir mit den
Soldaten das übliche Versteckspiel gespielt haben,
mehrere schwierige Hügel hinauf und
hinuntergeklettert waren, stehen wir nun hier von
hysterischen Siedlern mit Gewehren, verblüfften und
unschlüssigen Soldaten und Polizisten umgeben. Die
Hirten stehen nur wenige Meter entfernt. Immer
wieder wendet einer von ihnen sein wettergegerbtes
Gesicht zu den Siedlern und ruft ihnen die Wahrheit
zu: ‚Dies sind unsere Felder. Ihr habt uns unsere
Felder genommen.’ Dann ruft eine der Siedlerfrauen
zurück: ‚Gott selbst hat dies Land den Juden
gegeben. Es gehört uns und zwar nur uns. Abraham
bekam es von Gott. Ihr seid Eindringlinge
hier.’ Diese tiefe historische Vision wird sofort
von einem Chor Siedlerkinder wiederholt. Unter
diesen ist auch die etwa 7jährige Tochter von
Mordechai Deutsch, dem Gründer von Havat Yair.
Deutsch, ein selbstzufriedener, gut genährter Mann
hält uns wütend eine Strafpredigt mit Obszönitäten,
die man besser nicht wiederholt .. Meistens
ignorieren wir die gegen uns ausgespuckten Flüche.
Aber an einem Punkt bricht Amiel seine eigene Regel
– bei Provokationen still zu sein - und wendet sich
direkt an Deutsch. ‚Da gibt es eines,“ sagt er in
sehr strengem Ton, der ihn in solchen Situationen
überkommt, da gibt es etwas, das ich dir nicht
verzeihen kann: dass du dieses junge jüdische
Mädchen zu einer Rassistin machst.’
Das Kreischen der
Siedler lieferte noch zwei bemerkenswerte
Statements. Eine der Frauen, die verzweifelt noch
nach neuen Beleidigungen suchte, kam mit folgendem:
‚Ihr seid Besetzer hier!’ und meinte uns, die
Friedensaktivisten und wahrscheinlich auch die
Palästinenser, ja vielleicht auch die Soldaten, die
irgendwie auch ihr Land kontrollieren. Sie ist kühn
genug diese Eindringe zu verscheuchen. Dann Deutsch
in der Mitte seiner Tirade: „Schaut euch an, ihr
seid wie die bunte Menge von Juden, die aus Ägypten
kam. Wir sind nur noch 14 Tage vor Pessach, dem
jüdischen Fest der Befreiung, bei dem wir uns daran
erinnern, dass wir
Sklaven in Ägypten
waren … Ich dachte immer, es wäre ein Privileg, von
diesen Sklaven abzustammen, selbst wenn sie nicht
existiert haben sollten. Und es gab eine Zeit, in
der ich dachte, dass Juden kein anderes Volk
verletzen können, weil sie sich Jahr um Jahr daran
erinnern, wie es ist, sich als Sklave zu fühlen.
Ich vermute, ich hatte nicht recht damit .
Die Sonne scheint so
hell, dass ich kaum die Wüste, die sich vor uns
ausbreitet, sehen kann. Der Wind weht noch immer;
alle paar Minuten wirft eine dicke Wolke dunkle
Schatten über die Hügel. Es ist klar, wir werden mit
den Soldaten heute nicht viel Erfolg haben. Ihr
Kommandeur breitet die unvermeidliche Karte vor uns
aus mit dicken Linien, die hier dort eingezeichnet
sind. Er erzählt uns – in der Annahme, dass der
Staat ihn damit beauftragt hat – dass dieses Gebiet
‚gesperrte militärische Zone’ sei. Er gibt uns zehn
Minuten Zeit, um zu verschwinden, sonst würde er uns
verhaften. Wieder ist es Amiel, der reagiert: Er ist
jetzt der Experte für ‚gesperrte militärische
Zonen’. Er sagt dem Offizier, dass der Oberste
Gerichtshof die Versuche der Armee ‚spezielle
Sicherheitszonen um illegale Außenposten zu
erklären’, abgelehnt habe und dass er, der Offizier,
die Würde des Gerichts missachte, wenn er weiter
darauf besteht, dass wir gehen müssten und dass wir
dies durch unsern Anwalt verfolgen lassen würden
etc. – ein bewundernswerter, legalistischer
Filibuster, der den Offizier für einige Augenblicke
sprachlos lässt. Manchmal denke ich, Amiel hat
seinen Beruf verfehlt; er ist ein großer Latinist
und ein beliebter Lehrer, aber für mich ist er ein
Held. Er hat schon mit jedem palästinensischen
Aktivisten zwischen Jerusalem und Twaneh gearbeitet,
eine gescheiterte Demo nach der anderen geplant -
oft mit bewundernswerter Genialität. Der
schusselige, gutmütige, ineffektive Polizist, der
neben ihm steht, hat ihn schon viele Male verhaftet.
Nichts stoppt Amiel.
Doch es wird klar, wir
müssen gehen. Die Siedler, die nun Laute der
Befriedigung von sich geben, hatten, trotz unserer
Bemühungen, dies zu verhindern, die
palästinensischen Ziegen von der Hügelkuppe zu den
schäbigen Hütten von Sha’ab al-Butun gejagt. Und
Ziegen – das sag ich dir – sind nicht die
intelligentesten Wesen … Morgen werden die Hirten
wieder mit ihrer Herde bis zum Stacheldraht und an
den Rand des Außenpostens kommen , zu der
Hügelkuppe, auf der sie seit Jahrhunderten weideten.
Und die Siedler werden herauseilen, sie schlagen und
demütigen und wegtreiben. Wir haben deshalb nichts
ändern können.
Was tun wir also hier,
frage ich mich. Wer oder was sind wir? Irgend etwas
zwischen einem Moskito und einer Fliege. Von Zeit zu
Zeit kommen wir, ärgern die Soldaten oder die
Polizisten oder die Siedler … wir bringen die Ziegen
bis an den Zaun, wir stehen neben den Hirten ein
oder zwei Stunden lang und gehen dann zum nächsten
Ort, wo wir dasselbe versuchen. Am Ende des Tages
gehen wir heim. Es ist keine rühmliche Rolle, die
wir da spielen. Ich erinnere mich an eine indische
Geschichte, wie ein Moskito schließlich einen dummen
Elefanten besiegt hat. Ich erinnere mich an Nächte
in Indien, wo mich ein Moskito die ganze Nacht hat
nicht schlafen lassen. Aber hier in Palästina
können wir das Ziel nicht so hoch ansetzen. Sagen
wir mal, wir können die Soldaten ein bisschen
verrückt machen. Na und ? Sagen wir mal, es muss
sich jemand gegen die Siedler stellen, und keiner
außer uns tut es. Ok, wir tun es. Wir benützen die
Presse und wir erreichen auch die internationale
Gemeinschaft. Wir fahren von einem hoffnungslosen
Notfall zu einem anderen, und manchmal, ganz selten
haben wir sogar einen lokalen Erfolg: eine Quelle
wird gerettet wie die von Um al-Kheir. Oder die
Hirten werden ein oder zwei Tag lang mal nicht von
den Siedlern angegriffen. Die Zelte und Hütten von
Susya stehen noch trotz der riesigen Maschinerie der
Regierung und Armee, die seit Jahren versucht
hat, sie zu zerstören und die Einwohner ins Exil zu
treiben. Solche Dinge geschehen. Es sind nicht
viele, die noch standhaft sind und das
schreckensvolle System, das Israel in Palästina
aufgebaut hat, ist voll intakt, ja tatsächlich
besser denn je. Wir haben es keinen Fußbreit bewegt.
Ich bin nun wirklich müde, ein Moskito zu sein, und
ich habe keine Idee mehr, was wir noch versuchen
könnten.
Vielleicht ist es
sowieso schon zu spät.
Zweifel umwehen mich
wie der Wind. Aber wenn ich in Um al-Kheir ankomme,
fällt mir ein Stein vom Herzen. Sobald mich mein
Freund Id sieht, strahlt sein Gesicht mit dem
allerschönsten Lächeln . Ich erinnere mich jetzt an
einfachere Dinge. Warum ich bin, warum ich hier bin.
Am kalten Nachmittag klettern Kinder barfuss über
die Felsen. Ein kleiner Stall hält zehn oder 12
neugeborene Zicklein, die uns leise anmeckern . Es
gibt viel Kummer hier, weil Um al-Kheir der
verlassenste und elendigste Ort ist, den ich auf
Erden kenne. Die Armee hat kürzlich sieben
Behausungen zerstört. Man kann sie nicht Häuser
nennen. Es waren klapprige zeltartige Behausungen
aus Blech und Nägeln - aber es waren Behausungen.
Und nun sind es Haufen aus Metall und Zeltbahnteilen
und gebrochenen Zeltstäben … nirgendwo ist die
Grausamkeit der Besatzung offensichtlicher wie hier.
Denn nur 50 Meter weiter steht ein Dutzend neuer,
makelloser Villen von jüdischen Siedlern von Carmel
gebaut, die sich den Hügel und das palästinensische
Land einfach genommen haben. Die Beduinen von Um
al-Kheir sind Flüchtlinge vom Tel Arad im Negev
(Amos Oz lebt dort) aus dem 1948er –Krieg. sie
hatten das Land vor 60 Jahren mit gutem Geld von den
ursprünglichen Besitzern in Yata gekauft.
Ich liebe diese
Beduinen und ich bin gerne bei ihnen.
Wir sitzen in einem der
kalten Zelte. Der raue Wind bewegt den Zelteingang.
In einer Ecke ist eine hübsche Frau, Um Yasir,
dabei, über einem Feuer in einem Ziegenfellsack
Butter zu machen. Es ist eine harte mühsame,
stundenlange Arbeit. Seit ein paar Tausend Jahren
haben Beduinen so Butter gemacht. Der Sack hängt an
einem Zeltposten und wird hin und her gestoßen, bis
die Milch langsam fester wird. Sie bietet uns
etwas Buttermilch in einem kleinen Glas zum Kosten
an …. Ein alter Mann, fest eingepackt in seinen
Mantel, sitzt noch im Zelt. Er sucht meine Augen.
Ich kenne ihn von früheren Besuchen. Ich sah ihn in
Agonie. Einige der zerstörten Behausungen gehörten
ihm und seiner Familie. Aber heute ist er seltsam
zufrieden. Er ist froh, dass wir gekommen sind, er
heißt uns immer wieder willkommen mit den alten
Formeln des Gastgebers. Er bedrängt uns mit noch
mehr Buttermilch. Er weist zum Himmel und sagt mit
seiner tiefen Stimme im Arabisch der Beduinen: ‚Gott
hat uns dieses gute Leben gegeben. Die Erde ist gut,
die Bäume sind gut, die Tiere sind gut und einige
Leute sind auch gut.’
(dt. und geringfügig
gekürzt: Ellen Rohlfs) Quelle:
www.kibush.co.il/show_file.asp?num=32768
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