Texte von Ilan Pape
Was will Israel eigentlich?
Ilan Pappe, 14.7.06 *
Man stelle sich hochrangige
Generäle vor, die seit Jahren die Szenarien eines 3. Weltkrieges
simulieren, in dem sie große Armeen bewegen, die raffiniertesten
Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen, anwenden und sich der
Immunität eines Hauptquartiers voller Computer erfreuen, von dem aus
sie direkt ihre Kriegsspiele dirigieren können. Nun stelle man sich
vor, dass sie davon informiert werden, dass es keinen 3. Weltkrieg
gibt, dass man ihre Fachkenntnisse benötigt, um einen nahen Slum zu
beruhigen oder sich mit der wachsenden Kriminalität in einem armen
Stadtteil beschäftigen sollen. Und dann stelle man sich als letzte
Episode in meiner chimärischen Krisis vor, was geschieht, wenn sie
entdecken, wie irrelevant ihre Pläne gewesen sind und wie nutzlos
ihre Waffen im Kampf gegen Straßengewalt, die durch soziale
Ungleichheit, Armut und jahrelange Diskriminierung in ihrer
Gesellschaft entstanden ist . Entweder müssten sie ihre Fehlschläge
zugeben oder entscheiden, mehr oder weniger das ihnen zur Verfügung
stehende massive und zerstörerische Arsenal zu gebrauchen. Wir sind
heute Zeugen, wie durch israelische Generäle ein Chaos verursacht
wird, die sich für die letztere Option entschieden haben.
Ich habe 25 Jahre lang an
israelischen Universitäten gelehrt. Mehrere meiner Studenten wurden
hochrangige Offiziere in der Armee. Ich konnte ihre wachsende
Frustration seit dem Ausbruch der 1. Intifada 1987 wahrnehmen. Sie
verabscheuten diese Art der Konfrontation, die euphemistisch von
den Gurus der amerikanischen Disziplin Internationaler Beziehungen
„low intensity conflict“ genannt wird. Er war für sie zu niedrig.
Sie wurden mit Steinen, Molotowcocktails und primitiven Waffen
konfrontiert, die nur eine sehr begrenzte Anwendung des riesigen,
seit Jahren angesammelten Waffenarsenals der Armee erforderlich
machte und überhaupt nicht ihre Kapazität erprobte, die auf einem
Schlachtfeld oder in . einer Kriegszone ausgeführt wird. Selbst
wenn die Armee Panzer und F-16 anwandte, so war dies noch weit
entfernt von den Kriegsspielen, die die Offiziere in den
israelischen Matkal-Hauptquartieren spielten, und für die sie mit
amerikanischen Steuergeldern die raffiniertesten und zuletzt
entwickelten Waffen kauften, die es auf dem Markt gab.
Die 1. Intifada wurde bewältigt
– aber die Palästinenser suchten weiter Wege, um die Besatzung zu
beenden. Sie erhoben sich im Jahr 2000 noch einmal, diesmal von
einer religiösen Gruppe nationaler Führer und Aktivisten
inspiriert. Aber auch dies war noch immer ein „low intensitiy
conflict“ . Es ist nicht das, was die Armee wollte. Sie sehnte sich
nach einem richtigen Krieg. Wie Raviv Drucker und Ofer Shelah, zwei
israelische Journalisten mit engen Kontakten zur IDF, in einem vor
kurzem erschienenen Buch „Bumerang“ aufzeigen, waren die größeren
militärischen Übungen vor der 2. Intifada auf ein Szenarium
gegründet, das einen groß angelegten Krieg darstellt. Es war
vorausgesagt worden, dass im Falle eines 2. Aufstandes, es drei Tage
lang in den besetzten Gebieten Aufstände gäbe, die sich dann in
eine direkte Konfrontation mit den arabischen Staaten, besonders mit
Syrien. erweitern würde. Solch eine Konfrontation - so wurde
behauptet – wäre nötig, um Israels Macht der Abschreckung aufrecht
zu erhalten und um das Vertrauen der Generäle in die Fähigkeiten der
Armee zu stärken, einen konventionellen Krieg führen zu können.
Die Frustration war
unerträglich, als die drei Tage der 2. Intifada zu sechs Jahren
wurden. Denn noch immer besteht die Hauptvision der Israelischen
Armee für das Schlachtfeld heute eher auf „Schock und Schreck“ denn
auf einer Jagd nach Scharfschützen, Selbstmordattentätern und
politischen Aktivisten. Der „low intensity war“ stellte die
Unbesiegbarkeit der Armee in Frage und untergräbt ihre Fähigkeit,
einen richtigen Krieg zu führen. Noch wichtiger als anderes war: es
erlaubt Israel nicht, einseitig seine Vision über das Land
Palästina durchzuführen; es ist entarabisiertes Land, das zum
größten Teil schon in jüdischer Hand ist. Die meisten arabischen
Regime sind selbstzufrieden und schwach und erlauben, Israel seine
Politik durchführen zu lassen -- außer Syrien und die Hisbollah im
Libanon. Sie müssen deshalb neutralisiert werden, wenn Israels
Einseitigkeit ( über Israels Grenzen zu entscheiden) Erfolg haben
soll.
Nach dem Ausbruch der 2.
Intifada im Oktober 2000 wurde der Frustration nachgegeben und
erlaubt, während der „Operation Defense Shield“ 2002 eine 1
Tonnenbombe auf ein Wohnhaus im Gazasteifen abzuwerfen, während die
Armee das Flüchtlingslager Jenin platt walzte . Doch auch dies war
etwas völlig anderes als das, was die stärkste Armee im Nahen Osten
tun könnte. Und trotz der Dämonisierung der Art des Widerstandes,
wie er von Palästinensern in der 2. Intifada gewählt wurde, nämlich
„die Bomben auf Beinen“, wären nur 2 oder 3 der F-16-Bomber und
eine kleine Anzahl von Panzern nötig gewesen, um die Palästinenser
kollektiv zu bestrafen, und ihre menschliche, wirtschaftliche und
soziale Infrastruktur total zu zerstören.
Ich kenne diese Generäle so
gut, wie man sie nur kennen kann. In der letzten Woche hatte ich
einen großen Tag. Keine willkürliche Anwendung mehr von 1kg-Bomben,
Kriegsschiffen, Hubschraubern und schwerer Artillerie. Der schwache
und unbedeutende neue Verteidigungsminister, Amir Peretz,
akzeptierte ohne Zögerung die Forderung der Armee, den
Gazastreifen zu zermalmen und den Libanon zu Staub zu mahlen.
Doch das ist noch nicht alles. Es kann noch schlimmer werden und zu
einem richtigen Krieg mit der unglückseligen Armee Syriens kommen.
Und meine ehemaligen Studenten könnten dies mit provokativen
Aktionen möglich machen. Und wenn man der hiesigen Presse glaubt,
kann es sogar zu einem weit entfernten Krieg mit dem Iran
eskalieren, der von einer mächtigen US-Abschirmung unterstützt
wird.
Selbst die einseitigsten
Berichte in der israelischen Presse über das, was die Armee der Ehud
Olmert-Regierung als mögliche Operationen für die nächste Zeit
vorgeschlagen hat, machen deutlich, wovon die israelischen Generäle
in diesen Tagen schwärmen: nicht weniger als die totale Zerstörung
des Libanon, Syriens und Teherans.
Die Politiker an der Spitze
sind etwas zahmer. Sie haben den Hunger der Armee nach einem
richtigen „high intensity conflict“ nur zum Teil befriedigt. Aber
ihre Tagespolitik wird schon von der militärischen Propaganda und
dem militärischen Grundprinzip vorbereitet. Deshalb können Zipi
Livni, die israelische Außenministerin, eine ansonsten intelligente
Person im Israelischen Fernsehen am 13.7. ernsthaft sagen, es sei
der beste Weg – um die zwei Kriegsgefangenen wieder zu bekommen –
wenn man den internationalen Flughafen total zerstört. Entführer
oder Armeen, die zwei Kriegsgefangene haben, begeben sich natürlich
sofort zu einem internationalen Flughafen, kaufen für den nächsten
Flug Flugkarten ....Der Interviewer : „Aber sie können doch auch mit
einem Wagen entkommen“, „Tatsächlich!, sagte die Außenministerin,
„Deshalb werden wir auch alle Straßen des Libanon zerstören, die
ins Ausland führen. Das sind gute Nachrichten für die Armee: den
Flughafen zerstören, die Öltanks in Brand stecken, die Brücken
zerstören, die Straßen beschädigen und der zivilen Bevölkerung
Kollateralschäden zufügen. So kann die Luftwaffe ihre wirkliche
Macht zeigen und wird für die frustrierenden Jahre des „low
intensity conflict“ entschädigt, der Israels beste und wildeste
Soldaten hinausgeschickt hat, um während der letzten 6 Jahre hinter
Jungen und Mädchen in den Gassen von Nablus und Hebrons herzujagen.
In Gaza hat die Luftwaffe schon fünf solcher Bomben abgeworfen, wo
es in den letzten sechs Jahren nur eine abgeworfen hatte.
Dies mag für die Armeegeneräle
noch nicht genug gewesen sein. Sie sagten am TV schon klar, das „wir
in Israel Damaskus und Teheran nicht vergessen sollten.“ Aus
früheren Erfahrungen sagen sie uns damit, was sie mit diesem
Appell auf Grund unserer kollektiven Gedächtnisschwäche sagen
wollen.
Die gefangenen Soldaten in Gaza
und im Libanon sind hier von der öffentlichen Agenda schon
verschwunden. Es geht ein für alle Mal jetzt nur um die Zerstörung
der Hisbollah und die Hamas - nicht um das Nach-Hause-Bringen der
Soldaten . In ähnlicher Weise hat im Sommer 1982 die israelische
Öffentlichkeit das Opfer vollkommen vergessen, das den Vorwand für
die Regierung Begin lieferte, in den Libanon einzufallen. Es war
Shlomo Aragov, Israels Botschafter in London, auf dessen Leben ein
Attentatsversuch von einer palästinensischen Splittergruppe verübt
wurde. Der Angriff auf ihn diente Sharon als Vorwand in den Libanon
einzufallen und dort 18 Jahre zu bleiben.
Andere Lösungsvorschläge für
den Konflikt wurden nicht einmal von der Linken in Israel gemacht.
Keiner erwähnt vernünftige Ideen wie den Austausch von Gefangenen
oder den Anfang eines Dialoges mit der Hamas und anderen
palästinensischen Gruppen wenigstens über einen langen
Waffenstillstand, um die Voraussetzungen für bedeutendere politische
Verhandlungen in der Zukunft vorzubereiten. Dieser alternative Weg
wird von allen arabischen Ländern unterstützt – aber leider nur von
ihnen. In Washington mag Donald Rumsfeld einige seiner Vertreter im
Verteidigungsministerium verloren haben, er ist aber noch immer der
Verteidigungsminister. Für ihn wird die totale Zerstörung der Hamas
und der Hisbollah – egal zu welchem Preis und erst recht wenn es
ohne Verlust von amerikanischen Leben geht– rechtfertigt die Raison
d’etre für die Dritte-Welt-Theorie, die er schon seit 2001
propagiert. Die augenblickliche Krise ist für ihn eine
rechtschaffene Schlacht gegen eine kleine Achse des Bösen, weit
entfernt vom Sumpf im Irak und ein Vorläufer für die bis jetzt
unerreichten Ziele im Krieg gegen den Terror, Syrien und Iran. ....
Hisbollah möchte das Stück land
zurück, das Israel noch immer besetzt hält. Außerdem will sie eine
größere Rolle in der libanesischen Politik spielen und zeigt
ideologische Solidarität einerseits mit dem Iran und mit dem
palästinensischen Kampf im allgemeinen, und den Islamisten
andrerseits. Die drei Ziele ergänzen sich nicht immer und hatten in
den letzten 6 Jahren deshalb sehr begrenzte Kriegsbemühungen
gegenüber Israel. Die volle Belebung des Tourismus auf der
israelischen Seite der Grenze zum Libanon beweist, entgegen den
israelischen Generälen, dass die Hisbollah aus eigenen Gründen sehr
froh mit dem „low intensity conflict“ waren ... knapp 100 m auf
israelischen Boden einzudringen, war solch eine Aktion. Eine
solch kleine Operation mit einem totalen Krieg und solcher
Zerstörung zu rächen, macht deutlich, worum es im Grunde geht:
welcher Art der große Plan ist– der Vorwand ist zweirangig.
Das ist nichts Neues. Auch 1948
ging es den Palästinensern nur um einen „low intensity conflict,
als die UN ihnen ein Abkommen auferlegte, das ihnen mehr als die
Hälfte ihres Landes wegnahm und dies einer Gemeinschaft von
Neuankömmlingen und Siedlern gab, die erst nach 1945 angekommen
waren. Die Zionisten hatten lange Zeit auf diese Gelegenheit
gewartet und mit der Operation der ethnischen Säuberung begonnen,
die die Hälfte der einheimischen Bevölkerung verjagte, die Hälfte
der Dörfer zerstörte, und die arabische Welt in einen unnötigen
Konflikt mit dem Westen hineinzog, deren Staatsmächte gerade dabei
waren, sich vom Kolonialismus zu verabschieden. Die beiden Modelle
waren mit einander verknüpft: je mehr die israelische Militärmacht
expandiert, um so einfacher ist es, das unvollendete Werk von 1948
zu beenden: die totale Ent-Arabisierung
Palästinas.
Es ist noch nicht zu spät,
Israels Pläne anzuhalten, die vor Ort eine neue Realität schaffen
wollen. Doch ist das Fenster der Gelegenheit sehr eng – und die Welt
sollte endlich handeln, bevor es zu spät ist.
-
Ilan Pappe ist Dozent an der Uni Haifa für
politische Wissenschaften und Vorsitzender des Emil
Touma-Institutes für palästinensische Studien in Haifa. Er hat
mehrere Bücher zum Nahostkonflikt geschrieben. Sein neuestes
Buch :“Ethnic cleansing of Palestine“ kommt 2006 heraus.
-
(Quelle: Electronic Intifada)
(Dt. und geringfügig gekürzt :Ellen
Rohlfs)