Antwort auf
Uri Avnerys Artikel :“Das Bett von Sodom“
Von Ilan Pappe, Electronic Intifada, 26.April 2007-04-26
Ausschau nach Alternativen
Uri Avnery
klagt die Unterstützer der Ein-Staat-Lösung an, die Fakten in das
Bett von Sodom zu zwingen. Er scheint, diese Leute bestenfalls als
Tagträumer zu betrachten, die nicht die politische Realität um sich
herum begreifen und die in einem ständigen Zustand des
Wunschdenkens verharren. Wir sind alle alte Kameraden auf der
israelischen Linken und deshalb ist es schon möglich, dass wir in
Momenten der Verzweiflung in die Falle geraten, zu halluzinieren,
zu phantasieren und dabei die unerfreuliche Realität um uns herum zu
ignorieren.
Und deshalb
mag die Metapher des Sodomer Bettes sogar für jene passen, die –
auf ihrer Suche nach einer Lösung in Palästina - vom
südafrikanischen Modell inspiriert werden. Aber in diesem Fall ist
es ein Kinderbettchen von Sodom, verglichen mit dem königlichen
Bett, in das Gush Shalom - und andere ähnliche Mitglieder der
zionistischen Linken - bestehen, ihre Zwei-Staatenlösung zu drücken.
Das südafrikanische Modell ist jung – tatsächlich ist es kaum ein
Jahr her, seit dies ernsthaft betrachtet wurde – während die Formel
der zwei Staaten 60 Jahre alt ist: eine erfolglose und gefährliche
Illusion, die Israel in die Lage versetzte, mit der Besatzung
fortzufahren, ohne nennenswerte Kritik von der internationalen
Gemeinschaft zu erhalten.
Das
südafrikanische Modell passt gut für eine vergleichende Studie –
aber nicht als Objekt falschen Wetteiferns. Einige Kapitel in der
Geschichte der Kolonisierung Süd-Afrikas und der Zionisierung
Palästinas sind tatsächlich identisch. Die herrschende Methode der
weißen Siedler in SA ähnelt sehr der, die die zionistische Bewegung
und – seit Ende des 19. Jahrhunderts - Israel gegenüber der
einheimischen Bevölkerung Palästinas angewandt hat. Seit 1948 war
die offizielle israelische Politik gegen einige Palästinenser sogar
nachsichtiger als das Apartheidregime - gegen andere Palästinenser
dagegen noch rabiater.
Vor allem
aber inspiriert das südafrikanische Modell jene, die sich mit der
palästinensischen Sache in zwei wichtigen Richtungen befassen: die
Einführung des einen demokratischen Staates, der eine neue
Orientierung für eine zukünftige Lösung anbietet, anstelle einer
Zwei-Staaten-Formel, die fehl geschlagen ist, und es belebt ein
neues Nachdenken, wie die israelische Besatzung besiegt werden kann
– durch Boykott, Divestment und Sanktionen (die BDS-Option).
Die Fakten
vor Ort sind glasklar: die Zwei-Staaten-Lösung ist schmählich
fehlgeschlagen, und wir haben keine Zeit zu verschwenden mit
sinnloser Vorfreude einer anderen illusorischen Runde diplomatischer
Bemühungen, die nirgendwo hinführen. Wie Avnery zugibt, ist es dem
israelischen Friedenslager nicht gelungen, die israelisch-jüdische
Gesellschaft davon zu überzeugen, den Weg des Friedens zu gehen.
Eine nüchterne und kritische Einschätzung von der Größe und Macht
dieses Lagers führt zu dem unvermeidlichen Schluss, dass es keine
Chance gegen den vorherrschenden Trend in der israelischen
Gesellschaft hat. Es ist zweifelhaft, ob es überhaupt seine sehr
kleine Präsenz halten kann. Ja, es besteht die Sorge, dass sie
überhaupt verschwindet.
Avnery
ignoriert diese Fakten und behauptet, dass die Ein-Staat-Lösung ein
gefährliches Allheilmittel ist, das man einem schwer kranken
Patienten verabreicht. Lasst uns dies also in mehreren Stufen
beschreiben. Aber nehmen wir dem Patienten – um Himmels willen - die
sehr gefährliche Medizin, die wir ihn 60 Jahre lang zu schlucken
gezwungen haben und die ihn fast getötet hat.
Um des
Friedens willen ist es wichtig, unsere Untersuchung auf das
südafrikanische Modell und andere historische Fallstudien
auszudehnen. Auf Grund unseres Fehlschlages sollten wir jeden
anderen erfolgreichen Kampf gegen Unterdrückung studieren. All diese
historischen Fallstudien zeigen, dass die Kämpfe von innen und von
außen einander stärken und sich nicht gegenseitig ausschlossen.
Selbst als die Sanktionen über Südafrika verhängt wurden, setzte der
ANC seinen Kampf fort und die weißen Südafrikaner hörten nicht mit
dem Versuch auf, ihre Landsleute davon zu überzeugen, das
Apartheidsystem aufzugeben. Aber es gab keine einzige Stimme, die
auf Avnerys Artikel eingeht, die behauptet, dass eine Strategie des
Druckes von außen falsch ist, weil es die Möglichkeiten der
Veränderungen von Innen her schwächt. Besonders wenn die
Misserfolge des Kampfes innen so deutlich und offensichtlich sind.
Sogar als die De Klerk-Regierung mit dem ANC schon verhandelte,
wurden die Sanktionen fortgeführt.
Es ist auch
schwer verständlich, warum Avnery die Bedeutung der
Weltöffentlichkeits-meinung so unterbewertet. Ohne die Unterstützung
dieser Weltöffentlichkeitsmeinung, die der zionistischen Bewegung
zuteil wurde, wäre es nicht zur Nakba gekommen. Hätte die
internationale Gemeinschaft die Idee der Teilung zurückgewiesen,
hätte ein einheitlicher Staat das Palästina-Mandat ersetzt, was
tatsächlich der Wunsch vieler Mitglieder der UN war. Doch diese
Mitglieder haben dem starken Druck der USA und der zionistischen
Lobby nachgegeben und ihre vorige Unterstützung für solch eine
Lösung zurückgezogen. Und wenn die internationale Gemeinschaft ihre
Position heute ändern und ihre Haltung gegenüber Israel neu
überdenken würde, würden die Chancen einer Beendigung der Besatzung
enorm wachsen und auf diese Weise helfen, das Blutvergießen zu
beenden, das nicht nur die Palästinenser, sondern auch die Juden
selbst betrifft.
Der Ruf nach
einer Ein-Staat-Lösung und die Forderung nach Boykott, Divestment
und Sanktionen sollten als eine Reaktion gegen den Fehlschlag der
vorigen Strategie verstanden werden, die zwar von der politischen
Klasse aufrecht erhalten wurde, aber niemals vom Volk selbst
unterstützt wurde. Und jeder, der das neue Denken kurzerhand und
auf solch kategorische Art zurückweist, mag sich weniger beunruhigen
an dem, was mit dieser neuen Option falsch läuft, als über seinen
eigenen Platz in der Geschichte. Es ist tatsächlich schwierig,
persönliche oder kollektive Fehler zuzugeben. Aber um des Friedens
willen ist es zuweilen notwendig, sein eigenes Ego beiseite zu
stellen. Ich neige dazu, in dieser Weise zu denken, wenn ich das
falsche Narrativ von Avnery lese, das er sich über das Erzielte der
israelischen Friedensbewegung zusammendenkt. Er verkündet, dass die
Anerkennung der Existenz des palästinensischen Volkes allgemein
wurde und so auch die Bereitschaft der meisten Israelis, die Idee
eines Staates mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten. Dies ist
ein klarer Fall für das Bett von Sodom: beide Beine und die Hände
des Patienten werden amputiert, damit er ins Bett passt. Und noch
weiter hergeholt ist die Erklärung „wir haben unsere Regierung
gezwungen, die PLO anzuerkennen, und wir werden sie dahin bringen,
auch die Hamas anzuerkennen – jetzt, nachdem dem Patienten auch
noch seine anderen Gliedern weggenommen wurden (pardon, für diese
grausame Metapher, aber Avnery hat sie mir aufgezwungen) . Diese
Erklärungen haben sehr wenig mit der Stellungnahme der jüdischen
Öffentlichkeit in Israel in Richtung Frieden zu tun – von 1948 an
bis heute. Aber Fakten können zuweilen den Sachverhalt verwirren.
Aber um
jede Debatte über die Ein-Staat-Lösung zu ersticken, zieht Avnery
die Gewinnerkarte aus dem Zauberhut: „unter der Oberfläche, in den
Tiefen des Nationalbewusstseins haben wir Erfolg“. Lasst uns die
Palästinenser mit Metalldetektoren und Röntgenapparaten ausrüsten –
dann entdecken sie vielleicht nicht nur den Tunnel, sondern auch das
Licht am Ende des Tunnels. Die Wahrheit ist, dass das, was in den
tiefsten Schichten des israelischen Nationalbewusstseins liegt, viel
schlimmer ist, als das, was an der Oberfläche erscheint. Hoffen wir,
dass dies für immer dort bleibt und nicht an die Oberfläche kommt.
Es sind Ablagerungen von dunklem, primitiven Rassismus, der , wenn
es ihm erlaubt ist, überzufließen, uns alle in einem Meer von Hass
und Bigotterie ertränken würde.
Avnery hat
recht, wenn er behauptet, dass zweifellos 99,99% der jüdischen
Israelis einen Staat Israel mit einer robusten jüdischen Mehrheit
wünschen – egal wie seine Grenzen sind.
Eine
erfolgreiche Boykottkampagne wird diese Position nicht in einem Tag
ändern, aber eine klare Botschaft an diese Öffentlichkeit schicken,
dass diese Positionen rassistisch und im 21. Jahrhundert nicht
annehmbar sind. Ohne die kulturelle und wirtschaftliche
Sauerstoffzufuhr, mit der der Westen Israel versorgt, würde es für
die schweigende Mehrheit schwierig sein, fortzufahren und zu
glauben, dass es vor der Welt möglich sein wird, einen
rassistischen und legitimierten Staat zu haben . Sie werden wählen
müssen und hoffentlich wie De Klerk die richtige Entscheidung
treffen.
Avnery ist
auch davon überzeugt, dass Adam Keller sehr erfolgreich das
Argument für einen Boykott entlarvte, indem er darauf hinwies, dass
die Palästinenser in den besetzten Gebieten dem Boykott nicht
nachgegeben hat. Das ist tatsächlich ein guter Vergleich: ein
politischer Gefangener liegt festgenagelt auf dem Boden und wagt
Widerstand zu leisten; als Strafe wird ihm sogar die bis jetzt
spärliche Kost verweigert. Seine Situation wird verglichen mit der
einer Person, die illegal das Haus des Gefangenen besetzt und die
das erste Mal sich der Möglichkeit gegenüber sieht, wegen seiner
Verbrechen vor Gericht gebracht zu werden. Wer hat mehr zu
verlieren? Wann ist die Drohung nur grausam, und wann ist sie ein
gerechtfertigtes Mittel, um vergangenes Übel zu korrigieren?
Der Boykott
wird nicht stattfinden, stellt Avnery fest. Er sollte mit den
Veteranen der Anti-Apartheidbewegung in Europa reden. 20 Jahre waren
vergangen, bevor die internationale Gemeinschaft davon überzeugt
war, in Aktion zu treten. Auch ihnen war am Anfang ihrer langen
Reise gesagt worden, dass es nicht funktionieren wird – dass in
Südafrika zu viele strategische und wirtschaftliche Interessen mit
einander verwickelt seien.
Außerdem –
so fügte Avnery hinzu – würde an Orten wie in Deutschland die Idee
des Boykotts der Opfer der Nazis kurzerhand abgelehnt werden. Das
Gegenteil ist der Fall.
Die Aktion,
die schon in diesem Sinne in Europa aufgenommen wurde, hat die lange
Periode der zionistischen Manipulation des Holocaustgedächtnisses
beendet. Israel kann nicht länger seine Verbrechen gegen die
Palästinenser im Namen des Holocaust rechtfertigen. Immer mehr
Leuten in Europa wird bewusst, dass die kriminelle Politik Israels
das Holocaustgedenken instrumentalisiert und deshalb sind so viele
Juden inzwischen Mitglieder dieser Boykottbewegung. Deshalb wird
auch dem Versuch Israels, die Unterstützer des Boykotts als
Antisemiten zu verklagen, mit Verachtung begegnet. Die Mitglieder
der neuen Bewegung wissen, dass ihre Motive humanistisch sind und
ihre Impulse demokratisch. Für viele von ihnen werden ihre Aktionen
nicht nur durch universale Werte ausgelöst, sondern auch durch ihre
Achtung vor dem historischen jüdisch-christlichen Erbe . Es würde
für Avnery am besten gewesen sein, wenn er seine immense Popularität
in Deutschland dazu benützen würde, der Gesellschaft dort zu sagen,
sie möchte ihren Anteil nicht nur am Holocaust anerkennen, sondern
auch an der palästinensischen Katastrophe und mit dieser Anerkennung
sie auch auffordern, ihr beschämendes Schweigen gegenüber den
israelischen Grausamkeiten in den besetzten Gebieten aufzugeben.
Am Ende
seines Artikels skizziert Avnery die Eigenschaften einer
Ein-Staat-Lösung aus der gegenwärtigen Realität. Und dies, weil er
nicht die Rückkehr der Flüchtlinge oder einen Regimewechsel als
Komponente der Lösung einschließt – er beschreibt die heutige
trostlose Realität als die Vision von morgen. Dies ist tatsächlich
eine Realität, für die zu kämpfen, es sich nicht lohnt, und für die
niemand, den ich kenne, sich einsetzt. Aber die Vision einer
Ein-Staat-Lösung ist genau das Gegenteil des gegenwärtigen
Apartheidstaates Israel, so wie der Nach-Apartheidstaat in
Südafrika. Das ist es, warum diese historische Fallstudie für uns
so aufschlussreich ist.
Wir müssen
aufwachen. An dem Tag, an dem Ariel Sharon und George W. Bush ihre
loyale Unterstützung für die Zweistaaten-Lösung erklärten, wurde
diese Formel zu einem zynischen Mittel, durch das Israel seine
diskriminierende Herrschaft innerhalb der 1967er Grenzen und seine
Besatzung der Westbank und der Ghettoisierung des Gazastreifens
aufrecht erhalten kann. Jeder, der eine Debatte über alternative
politische Modelle blockiert, erlaubt den Diskurs über zwei Staaten
und deckt damit die kriminelle israelische Politik in den
palästinensischen Gebieten.
Außerdem
gibt es in den besetzten Gebieten nicht nur keine Steine mehr, mit
denen ein Staat aufgebaut werden könnte, nachdem Israel in den
letzten sechs Jahren die Infrastruktur zerstört hat, eine (
reasonable?) Teilung bietet den Palästinensern bloße 20% ihres
Heimatlandes. Die Basis sollte mindestens die Hälfte ihres Landes
sein – auf der Basis der 181-Teilungsroute oder einer ähnlichen
Idee. Hier gäbe es noch einen sinnvollen Weg zu erforschen, statt
sich auf immer in den Sodom und Gomorrah-Topf hineinziehen zu
lassen, wie ihn die Zwei-Staatenlösung vor Ort bis jetzt geliefert
hat.
Und
schließlich wird es für diesen Konflikt keine Lösung geben, solange
nicht das palästinensische Flüchtlingsproblem gelöst wird. Diese
Flüchtlinge können nicht in ihre Heimat zurückkehren – und zwar aus
demselben Grund, aus dem ihre Brüder und Schwestern aus
Groß-Jerusalem und entlang der Mauer vertrieben werden und ihre
Verwandten in Israel diskriminiert werden. Es ist derselbe Grund,
warum sie nicht zurückkehren können, aus dem jeder Palästinenser
in der potentiellen Gefahr der Besatzung und Vertreibung steht –
solange bis das zionistische Projekt in den Augen ihrer Führer
vollendet worden ist.
Sie sind
berechtigt, sich zur Rückkehr zu entscheiden, weil es ihr volles
politisches und Menschenrecht ist. Sie können zurückkehren, weil die
internationale Gemeinschaft ihnen schon versprochen hat, dass sie
dies können. Wir als Juden sollten ihnen wünschen, dass sie
zurückkehren, weil wir sonst weiter in einem Staat leben, in dem
der Wert der ethnischen Überlegenheit und Unterlegenheit sich über
jeden anderen menschlichen und zivilen Wert rücksichtslos
hinwegsetzt. Und wir können weder uns noch den Flüchtlingen
versprechen, dass es innerhalb einer Zwei-Staaten-Lösung solch eine
faire und gerechte Lösung geben wird.
Ilan Pappe ist Dozent für politische Wissenschaft an der
Universität Haifa und Vorstand im Emil- Touma-Institut für
palästinensische Studien in Haifa.
Seine Bücher: „The Making of the Arab-Israeli
Conflict” (London und New York 1992) “The Israeli-Palestinian
Question” ( London und New York, 1999) “A History of Modern
Palestine”(Cambridge, 2003); “The Modern Middle East” (London and
New York 2005) und sein letztes Buch : “Ethnic Cleansing of
Palestine” (2006)
(dt. Ellen Rohlfs)
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