Noch ein Aufruf zum Boykott
Shamai Leibowitz
Die
Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri hat zu einer
Explosion der „Volksmacht“ auf den Straßen Beiruts geführt, auf
denen Tausende von libanesischen Bürgern für ein Ende der syrischen
Besatzung ihres Landes aufgerufen haben. Dieser Aufruf hallte in
anderen Hauptstädten wieder und wurde gefeiert - und nirgendwo mehr
als in Washington. Doch gibt es im Nahen Osten noch eine andere
Region, in der ein Kampf für das Ende fremder Besatzung den
Einheimischen nur Tod und Zerstörung gebracht hat. Seit Jahrzehnten
hat Israel 3,5 Millionen Menschen, die unter militärischer
Herrschaft leben, unterdrückt, sie zu Unterwerfung gezwungen, ihnen
die bürgerlichen Rechte und ihr Land genommen.
Als
israelischer Jude, der sich für Frieden für Israel und seine
Nachbarn engagiert, war ich über den Terroranschlag in Tel Aviv vor
kurzem geschockt und empört. Er kostete das Leben unschuldiger
Juden. Solche Terrorakte machen Schlagzeilen und werden zu Recht von
der internationalen Gemeinschaft verurteilt. Doch haben
Tod-bringende israelische Angriffe gegen palästinensische Zivilisten
kaum ähnliche Presseaufmerksamkeit im Westen erhalten oder zu
entsprechender, ausschlaggebender internationaler Aktion geführt.
Seit Jahrzehnten hat die israelische Armee, die mit USA-Waffen und
Technologie ausgerüstet ist, Zehntausende von palästinensischen
Zivilisten getötet, zu Krüppeln gemacht, geschlagen und gefoltert.
Offensichtlich zählt in den Augen des Westens die „Volksmacht“ der
Palästinenser nicht.
Von 1986 –1991 diente ich in der israelischen Armee in den
besetzten Gebieten. Während dieser Periode war ich geschockt und
empört über das, was meinen Kameraden und mir wiederholt befohlen
wurde, gegenüber palästinensischen Zivilisten zu tun. Um den
Aufstand - es ging um Unabhängigkeit und Staatlichkeit – zu
zermalmen, bekamen wir den Befehl, sie brutal zu behandeln. In
einer unserer Militärbasen gab es einen mysteriösen Raum. Jeden Tag
erlebten wir, wie Palästinenser hineingeführt wurden. Nach ein paar
Tagen führten unsere Kommandeure sie wieder heraus: sie waren
schwarz und blau von Schlägen, ihre Gesichter geschwollen. Sie
erinnerten mehr an einen Kartoffelsack als an ein menschliches
Wesen.
Später wurde uns klar, dass es sich um eine Folterkammer handelte.
An manchen Tagen hörten wir aus diesem Raum Schreie. Es war eine
Ekel erregende Erfahrung. Trotzdem nahmen wir weiter an der
Besatzung teil, weil die israelischen Politiker uns davon
überzeugten, dass wir mitten in einem „Friedensprozess“ stünden. So
überschwänglich waren ihre Reden über „Israel wünscht nur Frieden“,
dass wir so geblendet waren und nicht mehr die Realität sahen, wie
der Staat das palästinensische Volk brutal unterdrückt, unterwirft
und entmenschlicht.
Heute ist vielen Israeli klar, dass, als israelische Regierungen
während der Oslo-Periode über einen Friedensprozess sprachen, sie
die Welt nur hinters Licht geführt haben. Israel kolonisiert
weiterhin die Westbank und den Gazastreifen mit seinen Siedlungen
nur für Juden und gleichzeitig festigt es ein grausames
Militärregime über die Palästinenser. Dasselbe gilt auch für
Ariel Sharons „ Abzugsplan“ , der in der israelischen Propaganda
als „schmerzvolle Konzession“ für dem Frieden bezeichnet wird. Viele
von uns, die wir in Israel leben und die besetzten Gebiete besuchen
oder dort unsern Militärdienst machen, erkennen die Wahrheit: Israel
intensiviert weiter sein Militärregime in der Westbank, indem es
mehr palästinensisches Land raubt und weiter illegale Siedlungen nur
für Juden baut.
Seit Jahren zahlt der amerikanische Steuerzahler die Besatzung, die
Folterkammern, den Militärapparat, die Bulldozer für die
Hauszerstörungen, den Bau der Siedlungen und jetzt den Bau der
Mauer, die vom Internationalen Gerichtshof (ICJ) für illegal erklärt
wurde. Amerikaner sollten sich für die Verwendung ihres Geldes mehr
verantwortlich fühlen.
Nach Jahren fehlgeschlagener politischer Bemühungen durch die
israelische und internationale Menschenrechtsgemeinschaft, um die
Besatzung zu beenden, ist es klar, dass neue Wege beschritten werden
müssen. Es ist Zeit für amerikanische zivile Institutionen, eine
vielseitige Kampagne strategischer, selektiver Sanktionen gegen
Israel zu unterstützen, bis die Besatzung beendet ist. Da die
israelische Regierung sich den ICJ-Entscheidungen unter keinen
Umständen beugt, schreibt das Völkerrecht vor, Israel Sanktionen
aufzuerlegen, um es zu zwingen, die UN-Resolutionen und die
Menschenrechte einzuhalten.
Der
1. Schritt wäre, dass amerikanische Institutionen sich bei einem
selektiven Boykott engagieren . ( hier werden viele US-Firmen mit
Namen genannt)...
Zweitens sollte der Westen die israelischen militärischen und
politischen Führer persönlich für die Menschenrechtsverletzungen zur
Verantwortung ziehen, einschließlich eines Gerichtsprozesses
vor dem internationalen Gerichtshof und des Reiseverbots in
andere Länder. Diese Strategie hat sich bei andern Konflikten (
Ruanda, Bosnien, Kosovo und Südafrika z.B.) als abschreckend und
wirksam erwiesen.
Das Verbot von Waffenverkauf und militärischer Ausrüstung an Israel
wird tatsächlich nach bestehendem US-Gesetz schon gefordert. Nach
dem Foreign Assistance Act von 1961 ( 22 USC § 2304): „
Sicherheitsbeistand wird keinem Land zugestanden, dessen Regierung
sich grobe Verletzungen der international anerkannten Menschenrechte
leistet.“
Die
augenblickliche, heuchlerische amerikanische Regierung verschafft
diesem Gesetz bezüglich Israel keine Geltung. Es wäre deshalb an
der amerikanischen zivilen Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass
dieses Gesetz durchgesetzt und der Verkauf jeder militärischen
Ausrüstung an Israel verhindert wird, indem die Regierung mit Klagen
gegen dieses Gesetz verstoßende Firmen unter Druck gesetzt wird ....
Die
Episkopalkirche (Presbyterian) hat einen positiven Schritt in diese
Richtung getan, als sie im Juli 2004 in ihrer Generalversammlung
eine Resolution verabschiedete und dazu aufrief, einen selektiven
Boykott gegenüber Firmen zu verhängen, die von der Besatzung
profitieren. Im vergangenen Februar hat der Ökumenische Rat der
Kirchen, Genf, zu dem 340 Kirchen weltweit gehören, eine ähnlich
Resolution verabschiedet. Während schwere
Menschenrechtsverletzungen, die mit der Besatzung und dem Mauerbau
verbunden sind, kritisiert werden, bestätigen diese Resolutionen
auch das Recht Israels, sicher und in Frieden zu existieren. Sie
lehnen jedoch kategorisch die tragische Gewaltspirale ab, die
willkürlich auf beiden Seiten gegen die unschuldige zivile
Bevölkerung angewandt wird.
Sanktionen sind ein mächtiges und gewaltfreies Mittel, um sicher zu
gehen, dass die israelische Regierung sich ans Völkerrecht hält und
seine erschreckenden Menschenrechtsverletzungen in den besetzten
Gebieten beendet. Resolutionen zum Boykott sind längst überfällig.
Wir sind Zeugen des mächtigen, weltweiten wirtschaftlichen Druckes
beim Kollaps des Südafrikanischen Apartheidregimes gewesen. Wenn
zivile amerikanische Institutionen derselben Strategie folgen,
könnten wir noch während unserer Lebenszeit das Ende der
israelischen Besatzung sehen. Die Amerikaner sollten für die
Menschenrechte und für Gerechtigkeit aufstehen, ihren eigenen
Gesetzen folgen und den produktivsten Schritt in Richtung Frieden
und Sicherheit im Nahen Osten gehen.
(Dt. und etwas gekürzt: Ellen
Rohlfs) |