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Wahlen 2009
Uri Shani
 

 

Der zweite Libanonkrieg hat die Regierung nicht gestürzt, aber der Gazakrieg hat den Regierungsparteien bei den Wahlen geschadet. Warum dies? Für den zweiten Teil der Feststellung habe ich eine traurige Erklärung, für den ersten nicht mal diese. Die traurige Erklärung für den Rechtsruck in den Wahlen, ist die winzige Zahl der israelischen Verluste im letzten Krieg. Die PalästinenserInnen erlitten unglaubliches Leid durch diesen Krieg, aber die Israelis mussten nur ein paar Schrammen einstecken. Warum also wurde die Bombardierung, das „Säubern“, vorzeitig abgebrochen? Wir hätten doch ungestört weitermachen können? Die Welt mag das nicht? Erstens: Wer ist die Welt? Die Regierungen waren mit uns, auch die arabischen. Und die Leute auf der Strasse? Es können auch 100 Millionen auf die Strasse gehen, von San Francisco bis Tokio, das ist uns scheißegal, wir machen da sauber.

Das jedenfalls sind die Pläne von Bibi, Liebermann und Konsorten.

Dieser Rechtsruck war vorauszusehen, vor allem wegen der vorausgesagten niedrigen Stimmbeteiligung der 700.000 PalästinenserInnen, die israelisches Stimmrecht haben, das sind rund 14 %.

Ich selber gehe zwar immer an die Urne (ausser 2001, da waren Wahlen nur für das Premierministeramt, und die da oben wollten, ich sollte mich entscheiden, ob ich Barak oder Sharon bevorzuge – da ging ich nicht hin.), aber besonders glücklich bin ich nicht. Seit den letzten Wahlen wähle ich CHADASH, das ist die kommunistische Partei mit ein paar Anhängseln. Vor 1985, also vor der Perestroika, wäre das gar nicht in Frage gekommen, aber auch nachher erreichte der neue Wind der Perestroika die israelische Partei nicht. Erst vor ein paar Jahren spürte ich, dass diese Partei endlich die stalinistische Vergangenheit abgestreift hat. Einen zweiten Grund, warum es mir besonders schwer fällt, CHADASCH zu wählen, werde ich gleich ausführen.

Trotzdem wähle ich CHADASCH, und am Wahltag stand ich pünktlich zur Urnenöffnung um 7 Uhr auf, und dann auf nach Schfa-amr. In dieser interessanten Stadt mit mehr als 34.000 Einwohnern arbeite ich in der Mittelschule. In dieser Stadt zwischen Akko und Nazareth, einstmals eine der wichtigsten Städte des Galils, Sitz des Sanhedrin im 3.Jh., mit einer Kreuzritterfestung und einem einzigartigen Theaterfestival, leben heute 55% Moslems neben 28% Christen und 17% Drusen. Die letzten Juden verließen die Stadt nach den Unruhen von 1929. Bei den Munizipalwahlen vor zwei Monaten siegte der kommunistische Kandidat und brachte der Stadt eine neue Hoffnung. Die kommunistische Partei sitzt fest im Sattel in dieser Stadt. Ich sprach mit vielen Leuten auf der Strasse, auch mit einem Jordanier, der ausgerechnet an diesem Tag in seiner Heimatstadt auf Besuch war. Er sagte mir: „Wenn ich Stimmrecht hätte, würde ich Liebermann wählen.“ Ich dachte, er macht einen Witz und wusste noch nicht, was ich erst am nächsten Tag erfuhr. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, die brauchen mich nicht hier. Ich half noch einer alten gebrechlichen Frau an der Urne (Behinderte dürfen begleitet werden, aber ein Begleiter darf nur einmal begleiten), nachher durchstreifte ich die beiden Beduinendörfer, die unser Haus in Tiv’on umkreisen: Bosmat Tiv’on und Sbidat (zusammen 6500 Einwohner, natürlich alle Muslims).  

Sehr viele Gespräche führte ich an diesem Tag mit vielen Leuten. Die hauptsächlichen Einwände gegen CHADASCH waren:

  1. Ich glaube nicht an die parlamentarische Demokratie. Das Parlament macht sowieso nichts Gutes. Nur das Kapital entscheidet.

  2. Ich wähle für die Starken, nicht für die Gerechten. (Das sagte mir keiner so geradeaus, aber ich hörte es bei einigen zwischen den Zeilen...)

  3. Wir als Araber sollten nicht an diesen Wahlen teilnehmen. Wir haben in diesem Staat überhaupt nichts zu sagen, die Knesset ist eine rassistische Bande, jeder Gesetzesvorschlag unsererseits wird ohnehin nicht angenommen.

 

Aber den wichtigsten und schwersten Einwand, der mir am schwersten fiel, war dieser:

 

  1. CHADASCH hat nie etwas für die Menschen getan. Vierzig Jahre hatte die Partei die Macht in vielen Städten und Dörfern und nie etwas Gutes gebraucht, weder Erziehung, noch Infrastruktur, weder Gesundheit noch Umweltschutz. Wo gingen all die Jahre die Gelder hin, die die munizipalen Regierungen vom Innenministerium erhielten? Die Kommunisten schreien gegen das Unrecht in den besetzten Gebieten, im Libanon, gegen die amerikanische Politik in Lateinamerika und in Vietnam, und was ist mit uns?

 

Und warum wähle ich CHADASCH? Ist ja klar: Was denn sonst?

Den ganzen Tag, übrigens, hat es geregnet, und tatsächlich gingen nur die Hälfte der Araber an die Urne, aber die meisten (80%) zogen eine der drei nicht-zionistischen Parteien vor, zum ersten Mal seit der Staatsgründung. Nur sind diese 80% leider nur 40% der Stimmberechtigten, weil ja nur die Hälfte an die Urne gingen. Die andern sechzig Prozent gingen fast an alle an die Zionisten. Ausgerechnet in Schfa-amr erhielten die Kommunisten zwar 38% der Stimmen, aber der Faschist Liebermann ganze 14% der Stimmen, mehr als der Landdurchschnitt!!!

 

Wie war so etwas möglich???

Liebermann schaffte es, unter den Drusen einen Menschen zu finden, der tatsächlich für diese faschistische Partei in die Knesset gehen will. Und dieser Hamad Amar wohnt in Schfa-amr. Sein Grossvater war syrischer Soldat und bekämpfte die junge israelische Armee, um die Gründung des Staates zu verhindern, für den sein Enkel jetzt mit einer faschistischen Ideologie in die Knesset geht, mit dem Slogan: „Keine Loyalität – keine Bürgerschaft!“

 

Aber alles in allem konnte CHADASCH  den einzigen Erfolg der Linken erreichten: der vierte Parlamentssitz, der jedes Mal verpasst wurde, diese Hürde wurde endlich genommen, und so sitzen in der Knesset für CHADASCH wie gehabt Dov Hinin, der bekannt ist als ausgesprochen Grüner, Mohammad Barake und der ausgezeichnete Hanna Swed, und dazu jetzt auch der Arzt aus Um-el-Fahem Dr. Afu Agbariye, Leider hat es nicht gereicht für den fünften Platz, die Frau Aida Toma, eine sehr bekannte Frauenrechtlerin.

 

Alle anern Linken oder auch nur halbwegs Linken haben verloren. Meretz zum Beispiel ist auf ein unglaucbliches Tief von 3 Mandaten gesunken, der ausgezeichnete Parlamentarier Melchior mit seiner gemässigt religiösen Partei Meymad, im Zusammenschluss mit liberalen Grünen, schaffte die Hürde nicht. Der sozialdemokratische Zionismus, der den Staat aufgebaut hat, hat seine historische Rolle ausgespielt.

Was wird jetzt?

Es wird schlecht werden, aber vielleicht in fünfzig Jahren, wenn der Enkel von Hamad Amar wieder einmal auf der andern Seite steht als sein Grossvater, dann wird es wieder anders.

 

Ergebnisse (hebräisch) in jeder Stadt, in jedem Dorf: http://www.politico.co.il/election_results.asp

 

 

 

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