Gewalt gegen Frauen
Internationaler Frauentag im
Europäischen Parlament am 8.März 2005
Rede von Nurit Peled-Elhanan, Israel
Danke, dass Sie
mich zu diesem Tag hierher eingeladen haben. Es ist immer eine Ehre
und eine Freude, hier unter Ihnen zu sein
Doch hätten Sie
diesmal nicht besser eine palästinensische Frau an meiner Stelle
einladen sollen? Denn die Frauen, die in meinem Land noch mehr unter
Gewalt leiden, das sind die palästinensischen Frauen. Und ich möchte
meine Rede Miriam R’aban und ihrem Mann Kamal aus Lahiya im
Gazastreifen widmen: ihre fünf kleinen Kinder wurden von
israelischen Soldaten getötet, während sie Erdbeeren auf dem
Erdbeerfeld der Familie pflückten -- und keiner wird für diesen Mord
vor Gericht stehen.
Als ich diejenigen
fragte, die mich nach hier eingeladen hatten, warum sie nicht eine
palästinensische Frau eingeladen haben, antworteten sie mir, man
wolle die Diskussion nicht zu sehr an einen Ort binden, nicht zu
sehr lokalisieren.
Ich weiß nicht, was
eine nicht lokalisierte Gewalt ist. Rassismus und Diskriminierung
mögen theoretische Begriffe sein und universale Phänomene, aber ihre
Wirkung ist immer lokal und real. Schmerz vollzieht sich an
bestimmten Orten; Demütigung, sexuelle Gewalt, Folter und Tod sind
sehr lokal. Genau so ist es mit den Narben und den Traumata.
Leider stimmt es,
dass die lokale Gewalt, die von der israelischen Regierung und ihrer
Armee gegenüber palästinensischen Frauen ausgeübt wird, sich
inzwischen rund um den Globus ausbreitet.
Tatsächlich sind
muslimische Frauen nicht nur in Palästina von Staats- und
Militärgewalt, von individueller und kollektiver Gewalt betroffen,
sondern überall dort, wo die „aufgeklärte“ westliche Welt ihren
großen imperialistischen Fuß hinsetzt. Es ist Gewalt, die kaum
jemals in Worte gefasst wird und von den meisten Menschen in Europa
und in den USA stillschweigend geduldet wird. Die sog. freie Welt
hat Angst vor der muslimischen Gebärmutter.
Das Groß-Frankreich
der „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ ängstigt sich vor
kleinen Mädchen mit Kopftuch, das groß-jüdische Israel hat Angst vor
der muslimischen Gebärmutter, die für seine Minister eine
demographische Bedrohung darstellt. Das allmächtige Amerika und
Großbritannien flößt seinen jeweiligen Bewohnern blinde Angst vor
den Muslimen ein, die als gemein, primitiv und blutdurstig
dargestellt werden, abgesehen davon, dass sie undemokratisch, aber
chauvinistisch und Massenerzeuger zukünftiger Terroristen seien.
Und dies trotz der Tatsache, dass die Leute, die heute die Welt
zerstören, keine Muslime sind. Der eine ist gläubiger Christ, einer
ist Anglikaner und einer ist ein nicht gläubiger Jude.
Ich habe das
alltägliche, ja, allstündliche Leiden palästinensischer Frauen
selbst niemals so erlebt. Ich kenne die Gewalt nicht, die das Leben
von Frauen zur Hölle macht. Diese tägliche physische und psychische
Folter an Frauen, die ihrer grundsätzlichen Menschenrechte, ihres
Bedürfnisses an Intimität und Würde beraubt werden, Frauen, in deren
Häuser in jedem Augenblick bei Tag und Nacht eingebrochen wird,
denen mit gezückter Waffe befohlen wird, sich vor Fremden und vor
ihren eigenen Kindern ( unter dem Vorwand von Sicherheit) nackt
auszuziehen, deren Häuser zerstört werden, denen der
Lebensunterhalt und jedes normale Familienleben genommen wird. Dies
gehört nicht zu meinem persönlichen Leiden.
Ich bin aber
insofern auch ein Opfer der Gewalt gegen Frauen, als Gewalt gegen
Kinder auch Gewalt gegen Mütter ist. Palästinensische, irakische,
afghanische Frauen sind meine Schwestern, weil wir alle unter der
Gewalt der gleichen skrupellosen Kriminellen leiden, die sich selbst
Führer der freien, „aufgeklärten“ Welt nennen und im Namen dieser
Freiheit und Aufklärung uns unsere Kinder rauben. Außerdem sind
israelische, amerikanische, italienische und britische Mütter zum
größten Teil geblendet und in hohem Grad einer Gehirnwäsche
unterzogen worden, dass sie nicht erkennen können, dass ihre
einzigen Schwestern, ihre einzigen Verbündeten auf der Welt, die
muslimischen, palästinensischen, irakischen oder afghanischen Mütter
sind, deren Kinder von unsern Kindern getötet werden oder die sich
selbst mit unsern Söhnen und Töchtern in Stücke zerreißen. Ihre
Herzen sind alle vom selben Virus befallen, den die Politiker
erzeugt haben. Und dieser Virus, auch wenn er unter verschiedenen
Namen läuft, wie „Demokratie“, „Vaterlandsliebe“, „Gott“, „Heimat“
ist immer derselbe. Er ist Teil einer falschen und vorgetäuschten
Ideologie, die die Reichen reicher und die Mächtigen noch mächtiger
macht.
Wir sind alle
Opfer geistiger, psychischer und kultureller Gewalt, die uns zu
einer homogenen Gruppe trauernder Mütter macht. Den westlichen
Müttern wird beigebracht, ihre Gebärmutter sei eine national
wertvolle Kraft, gleichzeitig wird ihnen beigebracht, die
Gebärmutter von muslimischen Frauen sei eine nationale Bedrohung.
Sie dürfen nicht hinausschreien: „Ich habe ihn geboren, ich nährte
ihn, er gehört mir. Ich will nicht, dass sein Leben billiger als Öl
ist, dass seine Zukunft weniger als ein Stück Land wert ist.“
Wir sind alle von
einer psychisch krankmachenden Erziehung dahin gebracht worden, zu
glauben, dass wir für unsere Söhne nur beten können, dass sie
lebend zurückkommen oder stolz über ihre toten Körper zu sein.
Wir sind alle
erzogen worden, dies ruhig zu ertragen, unsere Angst und Frustration
für uns zu behalten, Prozak gegen Angstzustände zu nehmen, aber
niemals Mutter Courage öffentlich und laut zuzujubeln; niemals eine
wirkliche jüdische, italienische oder irische Mutter zu sein.
Ich bin ein Opfer
von Staatsgewalt. Meine natürlichen und bürgerlichen Rechte als
Mutter sind verletzt worden und werden weiter verletzt, weil ich
Angst vor dem Tag habe, an dem mein Sohn 18 Jahre alt wird und er
mir weggenommen wird, um zum Spielzeug von Kriminellen wie Sharon,
Bush, Blair und ihrem Clan blutdurstiger, öldurstiger, landgieriger
Generäle zu werden.
Da ich in einer
Welt, in einem Staat und unter einem Regime lebe, in und unter dem
ich nun einmal lebe, wage ich nicht, muslimischen Frauen Vorschläge
zu machen, wie sie ihr Leben ändern sollen. Ich möchte nicht, dass
sie ihr Kopftuch abnehmen oder ihre Kinder anders erziehen. Und ich
will sie nicht drängen, Demokratien nach dem Vorbild westlicher
Demokratien aufzubauen, die sie und ihresgleichen verachten. Ich
möchte sie nur ganz bescheiden bitten, meine Schwestern zu sein. Ich
möchte ihnen gegenüber meine Bewunderung ausdrücken für ihre
Ausdauer und ihren Mut, weiter Kinder zu haben und ein würdiges
Familienleben aufrecht zu erhalten, trotz der unmöglichen
Lebensbedingungen, die meine Welt ihnen auferlegt. Ich möchte ihnen
sagen, dass wir durch denselben Schmerz mit einander verbunden sind,
wir sind alle Opfer derselben Gewalt, auch wenn sie viel mehr
leiden; denn sie sind es, die von meiner Regierung und ihrer Armee,
die von meinen Steuern profitiert, misshandelt werden .
Islam ist genau wie
das Juden- und das Christentum an sich für niemanden eine Gefahr.
Amerikanischer
Imperialismus, europäische Gleichgültigkeit und Ko-Operation ( mit
ersterem) und das israelische, rassistische und grausame Regime der
Besatzung sind eine Gefahr. Es ist Rassismus, ( in Schule und in
Medien) aufgenommene Propaganda und eingeimpfte Xenophobie, die
den israelischen Soldaten dahin bringen, mit vorgehaltener Waffe
palästinensische Frauen zu zwingen, sich (aus Sicherheitsgründen)
vor ihren Kindern nackt auszuziehen. Es ist die tiefste Verachtung
gegenüber dem anderen, der amerikanischen Soldaten erlaubt,
irakische Frauen zu vergewaltigen, die israelischen Gefängniswärtern
erlaubt, junge Frauen unter unmenschlichen Bedingungen zu halten,
ohne die nötigen Hygienemittel, ohne Strom im Winter, ohne sauberes
Wasser, ohne saubere Matratzen und sie von ihren Säuglingen und
Kleinkindern zu trennen; ihnen den Weg ins Krankenhaus zu
versperren, auch den zur Schule und Universität, ihnen das Land
wegzunehmen, ihre Bäume auszureißen und sie daran zu hindern, ihre
Felder zu bearbeiten.
Ich kann die
palästinensischen Frauen und ihr Leid nicht vollkommen verstehen.
Ich weiß nicht, wie ich solche Demütigungen, solche Nichtbeachtung
der ganzen Welt ertragen würde. Nur eines weiß ich: die Stimmen der
Mütter sind zu lange in diesem vom Krieg heimgesuchten Planeten
unterdrückt worden. Der Schrei der Mütter wird nicht gehört, weil
Mütter ( im allgemeinen) nicht zu internationalen Foren wie dieser
hier eingeladen werden. Allein das weiß ich, es ist sehr wenig. Aber
es genügt mir, mich daran zu erinnern, dass diese Frauen meine
Schwestern sind und dass sie es verdienen, dass ich für sie schreie
und für sie kämpfe. Und wenn sie ihre Kinder in einem Erdbeerfeld
verlieren oder auf einer schmutzigen Straße bei der Geburt an einem
Checkpoint oder wenn ihre Kinder auf dem Schulweg von israelischen
„Kindern“ erschossen werden, weil denen beigebracht wurde, dass
Liebe und Mitleid mit Rasse und Religion zu tun haben. Das einzige,
was ich tun kann, ist, bei ihnen und ihren betrogenen Kindern zu
stehen und zu fragen, was Anna Akhmatova, eine andere Mutter, die
auch unter einem Regime der Gewalt gegen Frauen gelebt hat, gefragt
hat:
„Warum hat dieser
Blutstreifen die Blüte deiner Wange zerrissen?“
(dt. Ellen Rohlfs – in Klammern
Gesetztes von der Übersetzerin eingefügt) |