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Subject: [Brief-aus-Israel] Aktuelles aus
den besetzten Gebieten
"Sechzig Jahre nach Auschwitz" schreibt er, "ist es also möglich, zu
behaupten, dass viele Länder der Welt mehr vom Holocaust gelernt
haben als die Israelis."
Liebe Leute,
etwas spät, ein Artikel aus Ha'arez von Tom Segev zum Thema
Auschwitzgedenken. "Sechzig Jahre nach Auschwitz" schreibt er,
"ist es
also möglich, zu behaupten, dass viele Länder der Welt mehr vom
Holocaust gelernt haben als die Israelis." Es wäre gut, wenn
solche
Stimmen auch gehört werden, während unser Präsident kritiklos
unsere
"besondere Beziehung" zu Israel hervorhebt. Sein ganzer Besuch
schien
mir eine Verherrlichung Israels ohne die geringste
Infragestellung der
israelischen Politik - oder war das nur so einseitig im Fernsehen
wiedergegeben?
Die Staatschefs, die in dieser Woche in Auschwitz zusammenkamen
... und
diejenigen, die die Sondersitzung der UNO zum Holocaust vertraten
die
Mehrzahl der Bewohner dieser Erde. Das ist nicht überraschend:
das
Abschlachten der Juden wird heute akzeptiert als ein universeller
Kode
für das absolut Böse.
Viele Tyrannen haben entsetzliche Gräuel während der letzten 60
Jahren,
und Dutzende Millionen Menschen sind getötet worden. Aber selbst
bei
Josef Stalin und Mao Tse-tung, bei Vietnam und Rwanda, gibt es
kein
Trauma, das so tief ins Bewusstsein der Welt eingedrungen ist wie
der
Mord an den Juden. "Gulag", ein Buch das seiner Autorin, Anne
Appelbaum
einen Pulitzer Preis einbrachte ... versucht die Frage zu
beantworten,
warum der Westen die Verbrechen der Kommunisten nicht in dem Maße
internalisiert hat wie die Verbrechen der Nazis.
Es ist nicht leicht, diese Frage zu beantworten. Möglicherweise
hat die
Enge der westlichen Perspektive zu Folgendem geführt: Die
Sowjetunion
lag außerhalb der Idee von Europa, Deutschland innerhalb. Der
Nazismus
wurde durch eine Besatzung eliminiert; die Lektion über ihre
Vergangenheit wurde Westdeutschland durch die Amerikaner
aufgezwungen.
Deutschland war als Speerspitze im kalten Krieg gedacht. Die
Sowjetunion hat sich lediglich von innen aufgelöst, und wem macht
das
was aus? Der Holocaust hat dagegen viele Länder betroffen und die
gesamte christliche Welt empfand eine Teilnahme an der Schuld.
Deswegen hat sie den Holocaust als Teil seiner Grundwerte
aufgenommen.
Vielen Israelis gefällt die Tatsache nicht, dass der Holocaust
allen
gehört. Die vielen Millionen Dollar, die in der letzten Zeit in
Yad
Vashem investiert wurden drücken deutlicher als alles andere die
Empfindung aus, dass das großartigste Holocaustmuseum der Welt in
Jerusalem sein muss, und nicht in Washington oder in Berlin. Es
gibt
auch nichts, was die Israelis mehr ärgert als ein Vergleich
"unseres"
Holocaust mit dem Genozid irgend eines anderen.
Dazwischen ist es sehr schwierig, den wahren Sinn des Holocaust
von
manipulativem Gebrauch zu unterscheiden. Beide gibt es inb Israel.
Durch
die Jahre ist der Holocaust ins Zentrum der israelischen
Identität
gerückt, es gibt aber auch viele, die ihn ausnützen um politische
Argumente zu rechtfertigen, manche auf der Linken, manche auf der
Rechten.
Das ist ein ekelhaftes Phänomen und ist außerdem absurd; es
enthält ein
Element der Holocaustverleugnung, es ist aber zu bezweifeln, dass
es den
wahren Wertekonflikt widerspiegelt, den der Holocaust in Israel
hervorgebracht hat. Das ist der Konflikt zwischen
nationalistischen
lehren und menschlichen Lehren des Holocaust. Ein starkes Israel
soll
eine Zuflucht für jeden verfolgten Juden sein, aber auch jeden
antisemitischen Schurken abschrecken.
Es besteht eine gewisse Spannung zwischen diesen Lehren, die zum
Großteil eine politische Spannung ist; es gibt keinen
tiefgehenden
Widerspruch zwischen ihnen. Aber während der 10 Jahren, die seit
dem
50. Jahrestag der Auschwitzbefreiung vorübergegangen sind, hat
das
Gewicht der menschlichen Werte auf die Israel in der
Vergangenheit so
stolz war, abgenommen.
Die Stadtverwaltungen beeilen sich heutzutage nicht, die Worte
"Tod den
Arabern" auszuradieren, die immer wieder auf Mauern erscheinen.
Vor
zehn Jahren waren diese Schmierereien noch schockierend. Auch
hält
keiner ein Fußballspiel an wegen solcher Zwischenrufe. Hass
gegen die
Araber ist legitim geworden. Die Diskriminierung gegen arabische
Israelis hat in vielen Bereichen
zugenommen; sogar Deportationen, tatsächliche oder durch
Verschiebung
der Grenzen, sind zu einer Idee geworden, die ihre Unterstützer
und
Gegner hat, alle im Rahmen einer angeblich legitimen Debatte.
Die furchtbaren Dinge, die sich in den [besetzten] Gebieten
ereignen, wie
die Zerstörung ganzer Wohnviertel, werden höchstens routinemäßig
berichtet. Die Diskussion über die Trennungsmauer, die die
Westbank und
den Gazastreifen zu riesigen Gefängnissen gemacht hat, ist
vorüber. Die
Unterdrückung in den Gebieten, die Demütigungen an den
Straßensprerren
und das Außerachtlassen humanitärer Bedürfnisse gehen weit über
notwendige im Kampf gegen den Terror hinaus.
Ironischerweise ermutigt die Unterdrückung in den Gebieten den
Antisemitismus, und an verschiedenen Stellen der Welt gefährdet
sie
sogar die Sicherheit von Juden. Es gibt eine Studie die zeigt, dass
sogar die Deutschen eine tiefere Achtung für die Werte des
Humanismus in ihre Jugend eingepflanzt hat als die Israelis. Sechzig
Jahren nach Auschwitz ist es also möglich, zu sagen dass viele
Länder der Welt mehr vom Holocaust gelernt haben als die Israelis.
Hier gibt es eine Aufgabe, die vor dem 70. Gedenktag zu erledigen
ist.
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