Wieder mal
eine verpasste Gelegenheit
„Warum sich kein Palästinenser traut, darauf hinzuweisen, dass das
Hauptproblem bei Amerika liegt …“
Von Khaled Al Sabawi
für
PalestineChronicle.com
Während
der ersten Aprilwoche entpuppten sich die besetzten palästinensischen
Gebiete wieder einmal als Zufluchtsort für hochkarätige Empfänge und
Medienaufläufe
Palästinensern wurde die Ehre zuteil, amerikanische Personen des
öffentlichen Interesses zu empfangen, jedoch waren die Besucher nicht nur
amerikanische Politiker sondern einflussreiche Persönlichkeiten der
amerikanischen Gesellschaft – es waren Hollywood-Schauspieler.
Unglücklicherweise waren die Palästinenser erneut nicht in der Lage, die
Gelegenheit am Schopf zu ergreifen und auf die amerikanischen Besucher
wirklich Einfluss zu nehmen.
Oscar-Gewinner Ben Kinsley kam am 6. April in Ramallah an, um den Start
des „Ghandi-Projekts“ zu unterstützen – ein von Amerika begründetes
Projekt mit dem Ziel, Gewaltfreiheit und zivilen Ungehorsam innerhalb der
palästinensischen Gesellschaft als Widerstandsform gegen Israels illegale
Militärbesatzung voranzubringen. Das Projekt sollte sein Ziel mit Hilfe
der Ausstrahlung des dreistündigen Hollywoodfilms „Ghandi“ in arabischer
Sprache sowohl in der Westbank als auch in Gaza erreichen.
Das
Gefolge um das Ghandi-Projekt, dem auch Kinsley und der Begründer des
Internetauktionshauses „ebay“, Jeff Skoll, angehörte, traf sich in
Ramallah mit verschiedenen Palästinensern und NGO
(Nichtregierungsorganisationen), um das Projekt geschlossen zu
unterstützen.
Der Zweck
des Treffens bestand darin, ein Forum für palästinensische NGOs
vorzusehen, damit sie ihre Gedanken und Erfahrungen über ihr Leben unter
Besatzung mitteilen können, sowie eine Partnerschaft zwischen dem
Ghandi-Projekt und den verschiedenen NGOs in Palästina zu etablieren.
Man
könnte dies als die Gelegenheit für all diejenigen vor Ort
bezeichnen, die vermutlich zum Wohle der palästinensischen Menschen
arbeiten, nämlich aus der Anwesenheit der prominenten Amerikaner Vorteile
zu ziehen und eine direkte Botschaft im Namen der palästinensischen
Bevölkerung zu übergeben.
Jedoch
hätte dies nicht nur Mut erfordert sondern auch die Chancen der NGOs
gefährdet, die Partnerschaft, welche durch das Ghandi-Projekt angeboten
wurde, zu bilden – mit anderen Worten – es hätte die Chancen der NGOs,
Geld zu erhalten, in Frage gestellt.
Die
Aussicht, vom Ghandi-Projekt angebotene Geldmittel zu erhalten, führt
automatisch dazu, dass die NGOs daran interessiert sind, dem Projekt zum
Erfolg zu verhelfen. Deshalb kann man sich nicht auf die NGOs verlassen,
dass sie dem Projekt noch objektiv gegenüber stehen.
Bedauerlicherweise ist folgendes noch ein weiteres Beispiel der
aufkommenden Friedensprozessindustrie. Am selben Tag trafen sich die
Vertreter des Ghandi-Projekts mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas,
und laut Jeff Skoll „war Abbas nett zu uns und unterstützte das Projekt!“.
Wie sich
herausstellte, traf sich Abbas letzte Woche noch mit einem weiteren
Hollywoodstar. Nachdem er Israel besucht hatte, kam der Schauspieler
Richard Gere in Ramallah mit dem Bestreben an, „den Frieden
voranzubringen“ und „die Stimmen der Menschen anzuhören“.
Da unsere
Regierung ihr Bestes tut, begrüßte sie Richard Gere mit Umarmungen und
Küssen, lächelte mit ihm zusammen den Fotografen zu, als sie ihre Bilder
schossen, und winkte zum Abschied in die Kameras.
Das ist
der wahre Fehler! Während dieser Treffen mit den einflussreichen
amerikanischen Schauspielern und Geschäftsleuten hatte sich kein
palästinensischer Politiker, keine NGO oder kein Einzelner getraut, den
amerikanischen Schauspielern direkt gegenüberzutreten und ihnen zu sagen,
dass sie als amerikanische Bürger für die direkte und verheerende
Verstrickung in den israelisch-palästinensischen Konflikt
mitverantwortlich sind.
Warum
erhob sich die gemeinsame palästinensische Stimme nicht und schlug den
Amerikanern vor, dass ihre Anstrengungen vielleicht dahin gerichtet sein
sollten, lieber ein Umdenken innerhalb ihres eigenen Landes als im Ausland
voranzutreiben?
Falls
amerikanische Steuergelder nicht fließen würden, gäbe es heute keine
israelische Besetzung Palästinas. Kein Palästinenser wagte es, auch nur
anzudeuten, dass das Hauptproblem des israelisch-palästinensischen
Konfliktes nicht auf palästinensischem Gebiet sondern eher bei Amerika
selbst liegt.
Keine
Strategien, Pläne oder konstruktive Ideen wurden seitens der
palästinensischen Regierung aufgezeigt bzw. vorgeschlagen, die
veranschaulicht hätten, wie prominente Amerikaner ihre Anstrengungen
strategisch ausrichten könnten, um die amerikanische Öffentlichkeit zu
beeinflussen.
Nicht ein
Einziger dachte daran, diesen Schauspielern vorzuschlagen, dass sie
öffentlich ihre Landsleute Craig and Cindy Corrie unterstützen sollten,
die am zweiten Jahrestag des Mordes an ihrer Tochter einen Rechtsstreit
gegen Caterpillar auf den Weg gebracht hatten – gegen diejenige
amerikanische Firma, die Israel mit Planierraupen beliefert, womit
Tausende Wohnhäuser in Rafah zerstört wurden.
Diese
gravierenden Menschenrechtsverletzungen führten schließlich zum Mord an
Rachel Corrie, der Tochter von Craig und Cindy, als sie tapfer versuchte,
gewaltlosen Widerstand zu leisten, um das Wohnhaus eines Arztes in Rafah
vor der Zerstörung zu bewahren.
Das
Ghandi-Projekt wirbt für Gewaltfreiheit? Warum hat dann nicht jeder
Palästinenser, der bei solchen Treffen anwesend war, vorgeschlagen, dass
Sanktionen ein schlagkräftiges Mittel der Gewaltlosigkeit seien, und dass
sie dazu genutzt werden könnten, um zu sichern, dass Israel sich an
internationales Recht hält und seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit
in den besetzten Gebieten beendet?
Die ganze
Welt war Augenzeuge, wie die weltweiten Wirtschaftssanktionen den
Zusammenbruch des südafrikanischen Apartheidregimes bewirkt haben.
Amerikas Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheidregime resultierten
aus Aktionen amerikanischer ziviler Einrichtungen, die nun wiederum darauf
abzielen müssten, dieselbe Strategie zu verfolgen … dieses Mal gegen
Israel.
Wo ist
die diplomatische und politische Unterstützung, die notwendig wäre, um
eine Anti-Besatzungsbewegung in der Westbank und in Gaza zu vertreten?
Man fasst
es einfach nicht, wenn man sich solchen Fragen stellt.
Am 15.
März, als UN-Generalsekretär Kofi Annan seinen provokativen und illegalen
Besuch in Jerusalem machte, um Sharon zu besuchen, hat er an der Eröffnung
von Israels neuem Holocaust-Museum teilgenommen. Israel hört niemals auf,
jeden Diplomatenbesuch an seine Opferrolle vor mehr als 50 Jahren zu
erinnern. Als Annan einen Tag zuvor in den palästinensischen Gebieten war,
weigerte er sich, mit eigenen Augen die Zerstörungen, die durch die
israelische Mauer verursacht werden, zu besichtigen bzw. die
Flüchtlingslager von Jenin zu besuchen, in welchen vor weniger als drei
Jahren Kriegsverbrechen begangen worden sind.
Annan
musste deshalb die Region eher mit der Erinnerung an die Holocaustopfer
als an die aktuellen palästinensischen Opfer verlassen.
Ein Blick
in unsere Geschichtsbücher erinnert uns daran, dass die Zionisten einen
kleinen Paragraphen mit Namen „Balfour-Erklärung“, geschrieben von einem
britischen Minister, nutzen konnten, um die Unterstützung Großbritanniens
und einer UN-Generalversammlungsempfehlung, dem „Teilungsplan“, einzuholen
und damit einen Staat zu etablieren.
Heute
haben die Palästinenser Resolutionen des Sicherheitsrates, UN-Richtlinien,
internationales Recht und eine Entscheidung des Internationalen
Gerichtshofes. Die Palästinenser fühlen sich moralisch im Recht, und sie
sind dennoch unfähig, diese Tatsache zu nutzen.
21.04.2005
Übersetzung ins Deutsche von Gabriele Al Dahouk |