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Jüdisches Boot
nach Gaza: Yonatan und Itamar Shapira
berichten
Die
„gewaltfreie“ Übernahme des jüdischen
Bootes, das nach Gaza fahren wollte
Yonatan und
Itamar waren zwei der Israelis, die an Bord
des jüdischen Bootes „Irene“ waren, das nach
Gaza segeln wollte. Vor allem diese beiden
litten unter der Gewalt der israelischen
Soldaten, die dem Boot den Weg abschnitten.
Hier berichten sie, nachdem sie eine Stunde
lang wieder bei ihrer Familie in Israel
waren:
„Die
israelischen Medien werden von der
Armeepropaganda beherrscht. Die Armee
behauptet, dass die „Übernahme“ des Bootes
von beiden Seiten gewaltfrei und ruhig
verlief – aber was tatsächlich geschah, war,
dass die Passagiere keine Gewalt anwandten,
die israelische Marine aber sehr
gewalttätig war.
Bei
Sonnenaufgang hielten wir bei 35 Seemeilen
vor der Küste und hingen alle Flaggen und
Banner der Organisation auf – das Boot sah
wunderschön aus. Wir drehten dann nach
Südosten in Richtung des Gazahafens. Der
Filmemacher Vish und der Journalist Eli
nahmen das Schlauchboot und machten
Fotos und Video vom Boot. Jeder war
irgendwie aufgeregt, als wir so auf Deck
standen und uns von der ruhigen Überfahrt
verabschiedeten, die wir bis dahin hatten.
Wir wussten, dass unsere Fahrt bald
aufgehalten würde; also nutzten wir die Zeit
noch für eine Einsatzbesprechung. Wir
hielten uns an den Händen, wir sprachen über
die Prinzipien des Bootes und entschieden
über die Strategie, wie wir uns gegenüber
der (isr.) Marine verhalten sollten.
Als wir uns
etwa 20 Seemeilen vor Gaza befanden, tauchte
ein großes Kriegsschiff nördlich von uns
auf. Noch war es ziemlich weit weg. Wir
hielten unsern Kurs deshalb bei. Als das
Kriegsschiff näher kam, riefen sie uns zu
und sprachen mit Glyn, dem Kapitän. Die
Marine sagte, dass wir dabei wären, in eine
verbotene Zone einer Bohrinsel
einzudringen. Drum änderte „Irene“
leicht den Kurs. Dann sahen wir ein
anderes kleines Schiff vor dem Kriegsschiff.
Als dieses näher kam und sich parallel zur
Irene posierte, blieb das kleine Schiff
still liegen. Eine Anzahl kleiner
Schiffe wurde gesehen. Sie kamen von Osten.
Die Marine wollte noch einmal wissen, was
wir vorhatten – wir antworteten, wir wollen
nach Gaza.
Die Marine
antwortete mit genau derselben
Erklärung, die sie machten, bevor sie die
Mavi Marmara angriffen: „Ihr kommt in ein
Gebiet, das unter militärischer Blockade
steht und nach internationalem Gesetz ein
geschlossenes/verbotenes Gebiet ist.“
Itamar hatte
den Auftrag, mit der Marine zu verhandeln
und antwortete, indem er unsere eigene
Erklärung auf Englisch und Hebräisch vorlas:
„Wir sind ein
Boot der europäischen Organisation „Juden
für Gerechtigkeit für die Palästinenser“ und
sind gewaltlos, unbewaffnet und
entschlossen, zum Hafen nach Gaza zu segeln.
Ihr setzt eine illegale Blockade
durch, und wir erkennen euer Recht, dies zu
tun, nicht an. Auf diesem Schiff der „Juden
für Gerechtigkeit für die Palästinenser“
sind Friedensaktivisten aller Altersgruppen,
unter uns ist ein Holocaustüberlebender,
trauernde Eltern und Israelis, die sich
weigern, mit der illegalen Besatzung
Palästinas zusammen zu arbeiten.“
Wir warteten
darauf, dass sie das bestätigen, was sie
hörten.
Die Marine
wiederholte ihre Botschaft auf hebräisch –
dann kamen die boote von allen Seiten. Acht
Marineschiffe umgaben uns – drei oder vier
der Schiffe mit Kanonen.
Wir riefen die
Soldaten dazu auf, sich den Befehlen zu
verweigern:
„Wir rufen euch
IDF-Soldaten und Offiziere auf, den
illegalen Befehlen eurer Vorgesetzen nicht
zu gehorchen. Zu eurer Information: die
Besatzung des Gazastreifen und der
palästinensischen Gebiete ist nach
internationalem Gesetz illegal: deshalb
riskiert ihr, vor den Internationalen
Gerichtshof gebracht zu werden. Die Blockade
als auch die Besatzung ist unmenschlich und
widerspricht universalen und jüdischen
moralischen Werten. Habt ihr denn kein
Gewissen? Denkt an unsere eigene
schmerzliche Geschichte. Weigert euch, die
Blockade aufrecht zu erhalten. Weigert euch
Palästina zu besetzen.“
Itamar las dies
auf Hebräisch und Englisch mehrere
Male auch fürs Radio vor, als die Boote sich
uns näherten. Jeder von uns war bereit, wir
hielten uns an den Händen und machten uns
für die Übernahme fertig. Vish war vorne und
machte Fotos und filmte die ganze Sache.
Es waren mehr
als 100 Soldaten auf all den Militärbooten
rund um unser Boot. Zwei kleine Boote mit
Kanonen legten sich auf die beiden
Seiten, schrieen und bedrohten uns mit
Megaphonen und kamen immer näher auf uns zu.
Glynn, der Kapitän, blieb ganz ruhig und
verhielt sich genau nach den Prinzipien des
Bootes und hielt den Kurs und forderte so
die Marine heraus.
Das Militär
sprach direkt zu Itamar, dass er
verantwortlich sei, wenn uns etwas passieren
würde und für das Risiko, wenn wir nicht den
Kurs verändern würden. Wir verstanden sehr
schnell, dass wir kurz davor standen, dass
sie zu uns an Bord kämen. Die kleinen Boote
legten sich direkt neben uns und dann
sprangen die Soldaten auf der
nördlichen Seite an Bord.
Itamar: Als ich
mit denen auf dem Marineboot sprach, das
neben uns lag und etwa 20 bewaffnete und
muskulöse Marinesoldaten an Bord hatte, war
ich zum 1000. Mal in meinem
Leben erstaunt, wie die Armee die Realität
für sich und uns darstellt. Sie bestanden
darauf, dass ich persönlich die
Verantwortung für die Gewalt tragen würde,
die geschehen würde, wenn wir ihnen nicht
gehorchen würden und sie „gezwungen“ wären,
auf unser kleines Boot an Bord zu gehen. Ich
versuchte, ihnen zu erklären, wie lächerlich
es aussieht, wenn so viele bewaffnete,
starke und trainierte Soldaten ein Boot mit
neun unbewaffneten Leuten stürmen, die
sich noch an den 2. Weltkrieg und an
die Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren
erinnern, als Gewaltlosigkeit erklärt wurde.
Wie können sie uns für Gewalt
verantwortlich machen? Ich erinnerte sie an
den Holocaustüberlebenden und die trauernden
Eltern an Bord und dass wir keinerlei
Konfrontation mit ihnen wünschen . Ich
denke, das machte sie ärgerlich, reduzierte
aber ihre mögliche Gewalt gegenüber den
anderen Passagieren außer Yonatan und mir.
Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die
israelische Armee in der letzten Zeit zwei
Fischer tötete – und die Medien davon
kaum Notiz nahmen - um dem zu nahe zu
kommen, was die IDF beschlossen hat, wo die
Blockadegrenze ist. Deshalb muss ihre Gewalt
uns gegenüber ins rechte Verhältnis dazu
gerückt werden.
Während der
ganzen Militäraktion sprach ich mit
Al-Jazeera. Aber ich bin nicht sicher, was
sie davon mitbekommen haben oder was sie
weiter ausgestrahlt haben … dann wurde mir
mein Telefon aus der Hand gerissen.
Sie griffen
Itamar an und nahmen ihn in ihr Boot. Die
andern Soldaten stießen Glynn vom Steuer.
Die anderen hielten sich an den Händen und
Reuven spielte, wenn ich mich recht erinnere
auf der Mundharmonika.
Itamar:
mindestens 2 Soldaten waren dafür bestimmt,
alle Aufnahmegeräte einzusammeln. Der
israelische CH10-Reporter stand neben mir,
und einer der Soldaten nahm ihm einfach
seinen Fotoapparat aus der Hand. Ich nahm
ihn wieder, ohne den Soldaten zu berühren,
und hielt ihn hinter dem Rücken und weigerte
mich, ihn dem Soldaten wieder zu geben. Der
Soldat rief einen anderen, und zusammen
versuchten sie, mir die Arme zu verdrehen
und schrieen, um wieder an den Apparat zu
gelangen. Als es ihnen nicht gelang, baten
sie ihren Kommandeur, mich gefangen
nehmen zu dürfen. Vier von ihnen zerrten
mich ins Militärboot und zwangen mich auf
den Boden des Bootes, um mir die Hände zu
fesseln. Ich gab nicht auf, bis einer
von ihnen seine Finger tief in meine Arterie
am Hals steckte. Dann hörte ich Yonatans
schrecklichen Schrei und sah, wie er
die Kontrolle über seinen Körper verlor,
weil er einen Elektroschock erhalten hatte.
Ich schrie zu Rami, er möge den Fotoapparat
in den Maschinenraum des Bootes werfen.
Yonatan wurde dann auch in das Militärboot
gebracht, in dem ich schon war. Uns beiden
wurden die Hände gefesselt. Dann wurden wir
zu einem großen Schiff gebracht.
Während wir uns
an den Händen hielten, nahmen uns die
Soldaten alles weg. Zu diesem Zeitpunkt saß
ich auf dem Boden des Bootes und umarmte
Glynn und Reuven, um sie zu schützen. Dann
setzte ich mich neben Rami. Passagiere
stellten den Motor ab, um es für die Marine
unmöglich zu machen, das Boot in einen
anderen Ort zu steuern. Soldaten näherten
sich mir und Rami. Es schien so, als wollten
sie uns auf ein Marineboot bringen. Ich und
Rami umarmten einander – es war die festeste
Umarmung, die ich je einmal machte.
Der Offizier
kam zu uns, zog seinen Elektroschocker
heraus und befahl uns, uns loszulassen. Der
Soldat drohte mir, wenn ich ihn nicht
loslasse, dann würde er mir Schmerzen
zufügen. Dann gab er mir zweimal einen
Elektroschock auf die rechte Schulter – es
war sehr schmerzvoll. Aber nicht so schlimm
wie der nächste Schuss, als er meine
Schwimmweste beiseite tat und mir das Gerät
auf meine Brust setzte und losschoss. Ich
verlor die Kontrolle über meinen Körper und
bekam einen Schüttelkrampf und schrie laut
auf. . Dann nahmen sie mich auf eines ihrer
Boote.
Und das war die
sog. „gewaltfreie“ Übernahme des
jüdischen Bootes nach Gaza. Natürlich
hätten sie scharf geschossen, wenn wir
Palästinenser oder Muslime gewesen wären –
aber nun waren wir Juden und Israelis und
hatten die Aufmerksamkeit der Welt. Sie
wollten uns nicht das antun, was sie auf der
Mavi Marmara taten. Natürlich nahmen sie
alles Bildmaterial von Eli und Vish, und die
einzigen Beweise, die existierten, liegen
nun beim Militär. Es würde mich wundern,
wenn es dort jemand gäbe, der die Armee
unter Druck setzt, um das von uns gemachte
Bildmaterial den Medien zugeben. Es
gibt keinen Grund für sie, es zu behalten.
Es sind erstaunliche Filmmeter von 48
Stunden Schiffsreise mit den
Botschaften und Wünschen, die wir von
überall bekamen und an den Masten
befestigten. Wahrscheinlich sind die
stärksten Bilder diejenigen, als die Marine
an Bord unseres Bootes kam.
Alle unser
Banner und Flaggen wurden von der Armee
heruntergenomme, und das Boot wurde mit dem
Rest der Passagiere nach Ashdod gezogen.
Itamar und ich
fuhren mit dem großen Kriegsschiff nach
Ashdod, was mehrere Stunden dauerte. Wir
sahen, wie das Boot im Hafen festgemacht
wurde. Wir sahen die Demonstranten, Freunde,
Familienmitglieder und Unterstützer, die
seit dem Morgen am Strand auf uns
warteten. Auch ein Boot mit Filmemachern,
die uns zu erreichen versuchten; sie wurden
aber weggescheucht.
Jeder von uns
hatte eine intime Körperdurchsuchung. Sie
berührten mich an den intimsten Stellen
…Schließlich wurden wir zu einer
Polizeistation in Ashdod gebracht und sahen
dort noch mehr Demonstranten, die draußen
auf uns warteten.
Auf der
Polizeistation verbrachten wir mehrere
Stunden, wo man Rami, Itamar, Reuven, Eli
und mich verhörte. Wir wurden alle
angeklagt, wir hätten versucht, illegal in
verbotene Zonen zu gelangen, während Rami,
Itamar und ich auch angeklagt wurden, wir
hätten Soldaten bedroht, beleidigt und
angegriffen. Gegen acht Uhr abends wurden
wir nach Hause entlassen. Es war
schockierend so brutal angegriffen zu
werden, während wir sangen und uns umarmten.
Die Soldaten schrieen uns an, schüttelten
und stießen uns . Wir waren schockiert, als
wir hörten, die Armee hätte das Boot
friedlich übernommen.
Eine
große Gruppe israelischer Medien auch Leute
von Reuters und einige andere warteten auf
uns außerhalb der Polizeistation. Wir
beantworteten ihre Fragen. Dann nahm Reuven
seine Mundharmonika heraus und spielte ein
wunderschönes jüdisches Lied über Leute, die
dem Frieden nachjagen. Jeder schloss
sich unserm Kreis an und wir sangen
zusammen. Einige Leute, die vorbeigingen,
schrieen „Tod den Arabern“.
Wenn wir nicht
Juden und Israelis gewesen wären, hätten wir
viel weniger die Chance gehabt, hier
lebendig herauszukommen.
Ich grüße alle
und danke allen, die uns in vieler Weise
unterstützt haben.
PS. Yonatan
wurde nach dem Elektroschuss keine
medizinische Behandlung angeboten. Sie
wurden gegen eine Kaution von 5000 NIS
entlassen, um noch einmal zu einem
Verhör oder einer Gerichtsverhandlung zu
kommen. Es ist unklar, ob Anklage gegen sie
erhoben werden wird.
Yosh Kosminsky
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