Israels unmoralisches „Recht zu
existieren“
John
Whitbeck, Christian Science Monitor, 2.2.07
Was von den
Palästinensern wirklich gefordert wird, ist, dass sie anerkennen, Untermenschen
zu sein und dass sie den Horror verdienen, dem sie unterworfen worden sind.
Nun, da der
palästinensische Bürgerkrieg – auf den Israel, die US und die EU lange gewartet
haben – im Begriff ist, auszubrechen, mag es an der Zeit sein, die
Rechtfertigung zu prüfen, die von Israel vorgebracht wurde und von den US und
der EU als kollektive Strafe für das palästinensische Volk angeblich als
Vergeltung dafür gedacht war, dass es bei den letzten demokratischen Wahlen (
Jan. 2006) falsch gewählt hatte: die Verweigerung der Hamas, „Israel
anzuerkennen“ oder „Israels Existenz anzuerkennen“ oder „Israels Existenzrecht
anzuerkennen “ .
Diese drei
Formulierungen sind von den Medien, den Politikern und sogar von Diplomaten mal
so, mal so verwendet worden, als ob sie dasselbe bedeuten. Das tun sie nicht.
„Israel anerkennen“ oder
irgend einen anderen Staat ist ein formal rechtlich diplomatischer Akt durch
einen Staat. Es ist unangebracht – ja tatsächlich absurd – davon zu reden, dass
eine politische Partei oder eine Bewegung, selbst eine in einem souveränen
Staat, die diplomatische Anerkennung eines Staates ausspricht. Davon zu reden,
„Israel anzuerkennen“, ist einfach eine saloppe, verwirrende und irreführende
Kurzformel für die tatsächlich gemachte Forderung.
„Israels Existenz
anerkennen“ ist ein unlogischer Unsinn und erscheint zunächst, eine relativ
normale Anerkennung einer Tatsache des Leben zu sein, so wie die des Todes oder
der Steuern. Doch gibt es ernsthafte praktische Probleme mit dieser
Formulierung. Was für ein Israel denn, innerhalb welcher Grenzen: Die 55% des
historischen Palästina, die für einen jüdischen Staat von der UN-Vollversammlung
1947 festgelegt wurden? Oder die 78% des seit 1948 von Israel besetzten
historischen Palästinas und die nun vom den meisten Staaten der Welt als das
„eigentliche“ Israel angesehen werden ? Oder die 100% des seit 1967 von Israel
besetzten historischen Palästinas, so wie es in den israelischen Schulbüchern
gezeigt wird? Israel hat nie seine Grenzen definiert; denn würde es dies tun,
wären ihm Grenzen gesetzt.
Doch wenn dies alles
wäre, was man von der Hamas verlangen würde, dann wäre es für sie möglich, den
Staat Israel innerhalb bestimmter Grenzen als eine Tatsache von heute
anzuerkennen. „Israels Existenzrecht anzuerkennen“ – so die tatsächliche
Forderung, ist eine völlig andere Sache. Diese Formulierung hat nichts mit
diplomatischen Formalitäten zu tun oder der simplen Akzeptanz gegenwärtiger
Realitäten. Dies erfordert ein moralisches Urteil.
Es besteht nämlich ein
enormer Unterschied zwischen „Israels Existenz anzuerkennen“ und „Israels
Existenzrecht anzuerkennen“. Aus palästinensischer Perspektive könnte
dies in etwa mit folgendem verglichen werden: man fordere von einem Juden, dass
er das Geschehen des jüdischen Holocaust anerkennt, ihn dann aber auffordert
zuzugeben, dass es richtig war, dass er stattgefunden hat, ja, dass der
jüdische Holocaust moralisch gerechtfertigt war.
Von den Palästinensern
zu fordern, „Israels Existenzrecht“ anzuerkennen, hieße zu fordern, dass
ein Volk, das seit fast 60 Jahren unmenschlich behandelt wird, öffentlich
zugibt, sie seien Un(ter)menschen. Das schließt mit ein, dass sie es verdienten
und noch verdienen, so behandelt zu werden. Selbst die US-Regierung
forderte im 19. Jhdt. die überlebende Urbevölkerung Amerikas nicht dazu auf,
öffentlich die „Rechtmäßigkeit“ der ethnischen Säuberung durch die
Bleichgesichter als Vorbedingung für die Diskussion zu erklären, welche
Reservate man für sie schaffen soll – und außerdem noch unter einer
wirtschaftlichen Blockade und der Bedrohung, sie hungern zu lassen, bis sie
allen Stolz aufgegeben und klein beigegeben haben.
Manche glauben, dass
Arafat klein beigegeben habe, um sich aus der Dämonisierung freizukaufen und
eine Karte und das Recht zu bekommen, von den Amerikanern direkt eine Standpauke
zu erhalten. Tatsächlich akzeptierte er bei seiner berühmten Rede in Stockholm
1988 , „Israels Recht, in Frieden und Sicherheit zu existieren“. Diese
Formulierung meint bedeutsam (nur) die Bedingungen der Existenz eines
tatsächlich bestehenden Staates. Es handelt sich nicht um die existentielle
Frage der „Rechtmäßigkeit“ der Enteignung und der Vertreibung des
palästinensischen Volkes aus seiner Heimat, um einem aus dem Ausland kommenden
anderen Volk Platz zu machen.
Die ursprüngliche
Fassung der Formulierung „Israels Recht zu existieren“ und seine Anwendung als
Vorwand, mit keinem der palästinensischen Führung zu reden, der weiterhin für
die fundamentalen Rechte des palästinensischen Volkes einsteht, werden Henry
Kissinger, dem großen Meister des diplomatischen Zynismus, zugeschrieben. Es
besteht wenig Zweifel darüber, dass die Staaten, die diese Formulierung
gebrauchen, es in vollem Bewusstsein dessen tun, was diese moralisch und
psychologisch für das palästinensische Volk nach sich zieht – und zu demselben
zynischen Zweck, wie eine Straßensperre, die jeden Fortschritt in Richtung
Frieden und Gerechtigkeit in Israel-Palästina verhindert. Sie hilft auch Israel,
noch mehr Zeit zu gewinnen, um weitere neue Fakten zu schaffen - und
gleichzeitig den Palästinensern selbst die Schuld für das eigene Leiden zu
geben.
Viele Bürger mit gutem
Willen und achtbaren Werten mögen auf die vordergründige Einfachheit der Wörter
von „Israels Recht zu existieren“ hereinfallen ( und erst recht bei den
Kurzformulierungen) und glauben, dies stelle eine selbstverständliche
vernünftige Forderung dar. Solch eine Forderung zurückzuweisen, stellt in ihren
Augen eher eine Perversität ( oder eine „terroristische Ideologie“) dar, als ein
Bedürfnis der Palästinenser, ihre Selbstachtung und Würde als vollwertige
menschliche Wesen zu behalten, während ihnen gleichzeitig fast alles, was ein
menschliches Leben wertvoll macht, genommen wird. Dies wird bei Umfragen
deutlich, bei denen der Prozentsatz der palästinensischen Bevölkerung, die die
Standhaftigkeit der Hamas, sich nicht dieser demütigende Forderung zu beugen,
anerkennt, bedeutend höher ist, als der der Bevölkerung, die im Januar 2006 die
Hamas wählte.
Es mag noch nicht zu
spät sein, achtbare Leute in aller Welt auf die Unvernunft – ja tatsächlich die
Unmoral - dieser Forderung und ihrer verbalen Formulierung zu
konzentrieren, auf der sie sich gründet und deren Verwendung und Missbrauch
schon so viel Elend verursacht und noch mehr zu verursachen droht.
Der Schreiber ist
Völkerrechtler und Autor von „The World According to Whitbeck)
(dt. Ellen
Rohlfs) |