Tel Avivs kollektive Bestrafungen, Gefangennahme, Zusammentreiben und Morde
…
Geschichten von Zeugen aus Beit Ummar
Louisa Morgantini* ( in ital. Liberazione,
19.2.2008)
Am Freitag den 15.
Februar: nach drei Tagen Belagerung und Ausgangssperre verließen schließlich
die israelischen Panzer den Ort, und die Wasser- und Stromversorgung konnte
in Beit Ummar, einem kleinen Dorf nördlich von Hebron, wieder hergestellt
werden. Ein paar Tausend Palästinenser leben dort.
Israelische Panzer
und Shin-Bet-Agenten – nach Augenzeugen etwa 30 Fahrzeuge und Bulldozer –
fuhren am Mittwoch um 1 Uhr morgens ins Dorf. Die Soldaten führten
Hausdurchsuchungen durch, ein Haus nach dem anderen, trieben junge Männer
–Zivilisten - zwischen 18 und 25 zusammen, zerstörten Gebäude,
Infrastruktur und Läden, wie auch von CPT-Leuten (Christian Peacemaker Team)
bestätigt wurde: „Soldaten umzingelten die Moschee, verhinderten jede
Bewegung von Autos und Leuten, aber auch von Medikamenten und Ambulanzen“
sagten sie zu Maanam News.
„Es war nichts
anderes als eine kollektive Strafmaßnahme, besonders gegen Jugendliche und
Männer, die in einen Schulhof getrieben und dort mehrfach zusammengeschlagen
wurden. Fast 85 von ihnen wurden stundenlang draußen bei Kältegraden unter
Null festgehalten,“ sagte uns Abu Awwad am Telefon, aus dessen Stimme
Verzweiflung und Hilflosigkeit durchklang. Er ist ein 35 jähriger
palästinensischer Pazifist und Gandhianhänger, der zusammen mit einem
israelischer Bürger Elik el Hanan uns und der Welt sagt, wie dringend sie
Frieden und Gerechtigkeit benötigen. Beide trauern um Familienangehörige,
die sie während des Konfliktes verloren haben. Ali verlor einen seiner
Brüder, der kaltblütig von einem israelischen Soldaten am Chechpoint
erschossen wurde; Elik verlor seine Schwester, die bei einem
Selbstmordattentat 1997 ums Leben kam . Heute sind beide Aktivisten im
Parent Circle, einem Forum, zu dem inzwischen 500 israelische
und palästinensische Familien gehören, obwohl sie nahe Verwandte in diesem
Konflikt verloren haben. Dieses Forum besteht seit 12 Jahren und breitet
sich aus. Sie haben eine starke Botschaft: „Wenn wir, die wir den höchsten
Preis gezahlt haben, weiter über Frieden reden, dann bedeutet das, dass dies
eigentlich jeder tun könnte“ sagte Ali am Ende des Dokumentationsfilms
„Mütter“ von Barbara Cupistis. Er wurde im letzten September bei den
Venediger Filmfestspielen vorgestellt: es sind die Geschichten von 15
israelischen und palästinensischen Müttern, deren Kinder während des
Konfliktes getötet wurden.
Ali ist auch ein
Mitgründer von „Al-Tarik“ ( „Der Weg“), eine palästinensische Bewegung, die
eine Reihe palästinensischer Vereinigungen zusammenbringt, die sich in einem
täglichen Kampf um die Anerkennung eines freien palästinensischen Staates,
um das Ende der militärischen Besatzung und gegen jede Art von Gewalt …
bemüht. Wir erfuhren von ihm auch, dass die israelischen Soldaten
Flugblätter in Beit Ummar zurückgelassen hätten, wo sie einige Häuser
besetzt hielten und zu Standquartieren gemacht hatten: Ihr seid nicht in der
Lage gewesen, euren Kindern beizubringen, keine Steine zu werfen, drum
wollen wir uns dieses Problems annehmen!“ stand auf den Flugblättern.
Außerdem wurden
während der Invasion Häuser und Läden von der Besatzungsarmee,
Wasserleitungen und Abwasserrohre zerstört, Computer, Handys und Dokumente
ohne Erklärung mitgenommen. Zusätzlich wurden 25 Leute gefangen genommen
und bis jetzt nicht wieder entlassen. Wir wissen nicht, wo sie festgehalten
werden; unter ihnen befindet sich eine Reihe Minderjähriger wie der
15jährige Muntaser Fakhri Ikhlayel und sein Cousin Adam Hasan Ikhlayel, 16.
Beide wurden Mittwoch nacht in Beit Umma verhaftet genau wie Youssef Hassan
Abarneh, der ein örtlicher Führer der Fatah und ein Mitbegründer von Al
Tarik ist. Diese letzten Verhaftungen kommen zu den mehr als 11 000
politischen palästinensischen Gefangenen dazu, die zur Zeit in israelischen
Gefängnissen in Israel und in den besetzten Gebieten einsitzen.
Während der letzten
Wochen wurden viele Demonstrationen in Beit Ummar von Leuten gehalten, die
gegen die lokale Herrschaft von Hamas demonstrierten. Es kann kein Zufall
sein, dass unter den 25 Verhafteten viele Fatahführer sind, denen der
Schlüssel zum Rathaus von der Hamas, als ein Zeichen von Erweiterung (? R.)
gegeben wurde.
In der Zwischenzeit
gehen die Absperrungen, die Überfälle und Invasionen im Gazastreifen und in
der Westbank weiter. Allein am Mittwoch wurden mindestens 60 Leute in der
Westbank gefangen genommen. Und am 15. Februar starb eine ältere
palästinensische Frau an einem Herzinfarkt, weil sie das Krankenhaus nicht
rechtzeitig erreichen konnte, da ihr Mann Mahmoud Yussef Qab keine
Genehmigung erhielt, den Checkpoint zu passieren.
Nach Palestine
Monitor haben seit der Annapolis-Konferenz am 28. November die
israelischen Überfälle um 220% zugenommen, 178 Palästinenser sind getötet
worden, einschließlich 3 Kinder und 617 Menschen wurden verletzt. All dies
ist geschehen, ohne dass die Internationale Gemeinschaft ein einziges Mal
protestiert hat (und aus Beit Ummar ist keine einzige Qassam-Rakete
abgefeuert worden).
Es erscheint
ziemlich deutlich, dass die israelische Regierung unfähig oder unwillig ist,
ihre militaristische, koloniale und landraubende Haltung zu beenden, wie es
ihre Siedlungsexpansionspolitik innerhalb der palästinensischen Gebiete
demonstriert; sie wünscht, den Nahen Osten anscheinend in einem nie
endenden Konflikt zu halten, wie das auch die Ermordung des
Hisbollahführers Imad Mugniyeh in Damaskus demonstriert. Sie töten und
zerstören und sind davon überzeugt, dass sie geliebt und anerkannt werden
müssten, aber um geliebt zu werden, müssen sie selbst lieben und andere
respektieren. Dies scheint nicht der Fall zu sein weder von Seiten der
israelischen Regierung noch von Seiten der israelischen Armee. Aber wir
sollten nicht verzweifeln, weil es inzwischen viele Leute in Israel gibt, so
wie Elik, die ihr Land Seite an Seite mit den Palästinensern gegen die Mauer
in Beilin oder am Erez-Übergang zum Gazastreifen verteidigen und diese
Politik der Militärbesatzung und kolonialen Expansion scharf verurteilen,
weil dies nur die Extremisten und Fundamentalisten auf beiden Seiten stärkt.
*L.
Morgantini ist die Vize-Präsidentin des EU-Parlamentes.
(dt.
Ellen Rohlfs)