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Ex-Offizier und Aktivist
von "Breaking the Silence": Michael Manekin.
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Er wollte über seine
Erlebnisse als Unteroffizier im besetzten Hebron
sprechen und gründete mit anderen
Armeereservisten "Breaking the Silence": Yehuda
Shaul.
Michael ist sichtlich nervös.
Er ist etwa 30, kurzer Bart, runde Brille, große Kippa,
Turnschuhe, offenes Hemd. Kaum der typische
Friedensaktivist. Tatsächlich ist er ehemaliger Offizier bei
Golani, der berühmten Kampfkompanie. Was in Israel als „Salz
der Erde“ gilt. Immer wieder hält er inne, nach Worten
suchend, spricht dann immer schneller, verliert sich etwas,
rafft sich wieder zusammen.
Im Auditorium eines Tel Aviver
Museums lauschen ihm 250 Menschen. Sie sind dem Aufruf des
medico-Partners „Breaking the Silence“ nachgekommen, das
Schweigen über Gaza zu brechen. Silberhaarige Männer mit
Kuba-T-Shirts, einige betagte Damen, die sich „raging
grannies“ nennen und als zornige Omis bei jeder
Demonstration gegen die Besatzung mit dabei sind. Es sind
aber für eine solche Veranstaltung ungewöhnlich viele junge
Menschen, die nicht wie die „Anarchisten gegen die Mauer“
aussehen. Normale junge Tel Aviver, modisch gekleidet, die
selten auf politische Veranstaltungen gehen.
Sie sind gekommen, obwohl die
israelische Armee alles daran gesetzt hatte, das Schweigen
über die eigene Vorgehensweise in Gaza nicht brechen zu
lassen. Eine von Haaretz, Israels einziger Qualitätszeitung
im Nachhinein als „brutal“ beschriebene Kampagne begann: Die
Armee stellte Ultimaten an die Presse und drohte, es würde
Konsequenzen geben, falls Breaking the Silence zu Wort
kämen, diffamierende Falschinformationen wurden verbreitet.
Mit Erfolg. Schon verabredete Interviews und Studioauftritte
wurden hintereinander abgesagt, selbst bei Haaretz
verschwand die Berichterstattung über die Dokumentation in
die Tiefen der Innenseiten. Viel eher berichteten die Medien
über die Dementis der Armee und über Verteidigungsminister
Ehud Barak von der Arbeitspartei (!), der sich sofort zu
Wort meldete und erneut beteuerte, Israels Armee sei die
moralischste der Welt.
Im überfüllten Auditorium
herrscht gespannte Stille. Michael spricht die
Beschuldigungen an, jene Soldaten, deren Zeugenaussagen sich
in der Dokumentation von Breaking the Silence wiederfinden,
wären politisch motiviert und falsch. „Diese Soldaten haben
sich gar nicht an uns gewandt; vielmehr haben wir die
Soldaten aufgesucht. Die meisten Soldaten sind nach wie vor
überzeugt davon, dass dieser Krieg notwendig war. Doch sie
wollten aussagen, weil sie in diesem Krieg ihre Armee nicht
wiedererkannt haben.“ Etwa in Bezug auf die Frage, wann man
das Feuer eröffnen darf. Diese Frage sei für die
interviewten Soldaten und für ihn als Offizier der
wichtigste Teil der Vorbereitung auf den Kampf. Doch, „kein
einziger Soldat hat uns gesagt, das ihm Grenzen gesetzt
wurden, nicht einer“, sagt er ungläubig. Eine Zeugenaussage,
auf Video festgehalten, bestätigt dies. Der Reservist,
offensichtlich Jungakademiker in seinen frühen 30ern lässt
sich vor einer Bücherwand interviewen. „Im Krieg wie im
Krieg. Im Gegensatz zu früheren Gelegenheiten, gab es keine
Vorgaben dazu. Im Gegenteil. Uns wurde ausdrücklich gesagt,
dass wir mitten im dichtgedrängten Gaza alles, was uns im
Weg steht, einfach niedermähen müssen, Moscheen, Wohnhäuser,
öffentliche Gebäude. Als Reservist war ich immer wieder in
Kampfhandlungen involviert. Noch nie haben wir solche
Vorgaben erhalten, deshalb war es so erschreckend für mich.
Nicht einmal wurde es thematisiert, dass wir es hier mit
einer Zivilbevölkerung zu tun haben. Und wenn, dann nur in
dem Sinn, dass alle Menschen in Gaza Feinde seien. Siehst Du
etwas Verdächtiges, ballere einfach drauf los.“
Viele weitere Berichte folgen,
zitiert von Michael oder als Videodokumentationen. Es ist
ein großer Schmerz zu spüren bei den Zeugnis ablegenden
Soldaten, aber auch eine Entschlossenheit, darüber sprechen
zu wollen. Obwohl Offiziere den Soldaten regelmäßig verboten
haben, nicht über das Erfahrene zu erzählen, da „die Zuhause
es nicht verstehen werden“. Ein Soldat berichtet über den
Befehl, ganze Bezirke dem Boden gleichzumachen. Früher gab
es Ärger wegen zwanzig Gebäude, heute sagt keiner was, wenn
ganze Wohnviertel einfach verschwinden. Sein Offizier
wusste, was er tat, doch sagte er einfach lakonisch: „Das
muss halt auf die Liste meiner persönlichen Verbrechen gegen
Menschlichkeit.“ Überhaupt ist zu spüren, dass die Soldaten
wenig vom in Israel verhassten internationalen Recht halten.
Ihnen wurmt vielmehr, dass während der Angriffe auf Gaza die
eigenen Gesetze außer Kraft gesetzt wurden. Etwa der weit
verbreitete Missbrauch von Zivilisten als menschliche
Schutzschilder. Der oberste Gerichtshof Israel hat es
verboten. Also nennt man es anders und tut es dennoch. Man
müsste sich um (zivile) Verletzte kümmern? Also sagt ein
Offizier: „Was für ein Glück, dass die Krankenhäuser kaputt
gebombt werden, da müssen wir uns nicht um Verletzte
kümmern.“
Eine Diskussion entsteht
Die einzelnen kolportierten
Aussagen von Soldaten und Offizieren, sowie Berichte über
Vandalismus schockieren. Aus dem Publikum kommt die Frage,
ob die Namen der Täter nicht preisgegeben werden sollten,
damit diese vor Gericht kommen. Doch die Mehrheit hält das
für nebensächlich. Den Schwerpunkt legen sie anders: Es
handele sich hier nicht um Einzelfälle oder um individuelle
Verfehlungen, sondern nachweislich um systemische
Veränderungen. Nach der Veranstaltung stehen die Menschen in
Trauben, draußen in der schwülen Tel Aviver Luft. Die einen
sprechen davon, dass der Angriff auf Gaza einen Scheideweg
darstellt. Es sei nicht die Armee, die sie früher kannten,
die zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden konnte.
Andere wiederum sagen, diese Entwicklungen begannen früher,
mit Ariel Scharons „Trennungspolitik“, die die überwiegende
Mehrheit der jüdischen Israelis unterstützen. Seitdem die
andere Seite nicht mehr sichtbar sei und in dichtgedrängten
Enklaven hinter dicken Mauern eingepfercht wird, würden sie
nur noch als ein Sicherheitsrisiko wahrgenommen. In einem
waren sich aber alle einig: Die Kampagne der israelischen
Armee gegen Breaking the Silence war nur deshalb
erfolgreich, weil sich die israelische Gesellschaft
mittlerweile immunisiert hatte gegen Menschenrechtsfragen.
Der Erfolg der Angriffe auf Gaza werden nur noch daran
gemessen, ob sie militärisch erfolgreich waren. Da kaum
Soldaten ums Leben kamen und kein Soldat entführt wurde, ist
dieser Krieg eine voller Erfolg gewesen. Damit erübrigt sich
eine weitere Diskussion für die Mehrheitsgesellschaft.
Kein Grund zur Hoffnung? In der
heutigen Ausgabe von Haaretz rufen führende israelische
Intellektuelle, darunter die Schriftsteller Amos Oz, David
Grossman, Ronit Matalon und Sami Michael, sowie der große
alte israelische Dichter Natan Zach und Kultregisseur Eytan
Fox dazu auf, angesichts der Dokumentation von Breaking the
Silence eine unabhängige Untersuchungskommission
einzuberufen. Sie beginnt doch, die Diskussion.
Unter
www.medico.de finden
Sie
Mehr Informationen zur Dokumentation und dem medico-Partner
"Breaking the Silence",
sowie zur
Ärtzlichen
Untersuchungskommision,
die
Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Krieg bestätigte.
Die beiden Dokumentationen sind zudem dort zum Downloaden
bereit (PDFs in Englischer Sprache)