-- Azizah Abu Anzah schaute gerade eine
arabische Seifenoper im Fernsehen, als ein 56 Tonnen gepanzerter Bulldozer
sich in ihr Haus hineinfraß, am Rande des Flüchtlingslagers an der
südlichen Grenze des Gazastreifens. Die 30- jährige erinnert sich, wie sie
ihre Kinder ergriff und sich versteckte hinter einem Haus in der nächsten
Gasse. Sie lugte um die Ecke als ein mehr als mannshoher Schieber ihr
3-Zimmer Haus wegrasierte.
"Alle Nachbarn kamen und rannten hinein um meine
Möbel zu sammeln - das Bett, den Fernseher, meine neue Waschmaschine,
einige Decken -- der Bulldozer hat nicht aufgehört," sagte Abu Anzah. "Wir
weinten alle. Es war ein Tag, den ich nie vergessen werde.
Sie und ihr Mann Musa zogen mit der Familie tiefer
ins Lager - weiter von den sich nähernden Bulldozern, Schusswechseln und
Panzerfahrten.
Aber Die Bulldozer kamen immer weiter und legten die
Nachbarschaft, Haus für Haus, flach. Vorige Woche, 16 Monate nachdem ihr
erstes Haus zerstört wurde, wurde die zweite Wohnung der Abu Anzah von der
israelischen Armee während des neueren Ausbruchs von Kämpfen zwischen dem
israelischen Militär und palästinensischen Kämpfern.
Dies ist die Frontlinie des gefährlichsten
Kampfbereiches in den palästinensischen Gebieten. Während der letzten
Woche sind 14 Palästinenser und sieben israelische Soldaten in den
intensiven Kämpfen in Rafah getötet worden....
In den letzten 3 1/2 Jahren haben die israelischen
Militärbulldozer 1218 Häuser am nördlichen Stück der Grenze zwischen Gaza
und Ägypten zermalmt. Ein eine Meile langer Bereich von bröckelndem Beton,
zersplittertem Holz und verzerrtem Metal ist der ganze Rest von einer
engen Gemeinschaft von Familien und Nachbarn die sich hier vor einem
halben Jahrhundert in einer Gruppe von UN Zelten zusammenfand.
"Sie haben uns getrennt," sagte Abu Anzah vor ein
paar Wochen, in einem haus das inzwischen zerstört wurde. "Alle Nachbarn
waren meine Verwandte. Nun sind sie überall zerstreut.
Nachdem Israel 80 bis 120 Häuser in dieser Woche
zerstört hat, hat der Oberste Gericht eine einstweilige Verfügung gegen
die Zerstörung von Häusern hier, auf Antrag von einer palästinensischen
Menschenrechtsgruppe. Israelische Militärführer sagen, dass die
palästinensische Guerrilla mehr Angriffe gegen israelische Truppen in
diesem kleinen Bereich der Grenze als irgendwo anders in den
Palästinensergebieten ausführt. Im vergangenen Jahr hat das Militär fast
2000 solcher Angriffe gegen seine Soldaten von Raketen, Granaten, Gewehre
und bomben gezählt - doppelt so viele wie in der ganzen Westbank.
Innerhalb der Grenze hat das Militär eine über 8m hohe Stahlmauer gebaut,
mit kugelsicheren Beobachtungstürme, die technische Überwachunsapparatur
und Soldaten mit ferngelenkten Maschinengewehren enthalten.
Die Häuser an der Grenze, behaupten die Israelis,
verbergen palästinensische Schützen, die auf Soldaten schießen, und viele
Häuser stehen über den Eingängen zu Tunnel, die von Schmuggler benutzt
werden, um Waffen und anderes Gut von Ägypten rüber zu bringen. ... Abu
Anzah und ihre NachbarInnen sagen, sie sind gefangen zwischen dem
israelischen Militär und palästinensischen Guerrilla und Verbrecherbanden.
Und sie trauern nicht nur über den Verlust an Leben und Zerstörung der
Wohnungen, sondern auch über die Straßenweise Zerstückelung ihrer
Gemeinschaft.
Die Nachbarschaften innerhalb des Rafah
Flüchtlingslagers - wie Abu Anzahs Block O - behalten die bürokratischen
Bezeichnungen, die die UN in den frühen 50ern festgelegt hat, als die
Einrichtung für Palästinenser errichtet wurde, die aus dem neuen jüdischen
Staat entweder flohen oder vertrieben wurden. Aber sie haben sich
entwickelt in intime Enklaven von ein- und zweigeschössigen Betonhäusern
und mehrstöckigen Wohnhäusern, wo drei Generationen oft dieselben
Wohnungen teilen und Nachbarn untereinander heiraten und so die
Gemeinschaftsbanden noch enger ziehen.
Jetzt sind mehr als 11 000 Menschen - etwa einer aus
10 BewohnerInnen in dem ausgedehnten Lager von fast 100 000 Menschen -
entwurzelt worden, nach der UN Relief and Works Agency, das
Flüchtlingsgemeinden im Gazastreifen verwaltet. In Block O, eines der am
schlimmsten verwüsteten Nachbarschaften im Camp, sind mindestens 570
Häuser - fast die halbe Gemeinschaft - vernichtet oder so beschädigt
worden, dass sie nicht mehr bewohnt werden können.Unter dem Plan von
Premier Ariel Sharon, jüdische Siedler und israelische Soldaten aus dem
Gazastreifen zurück zu ziehen, sagen israelische Behörden, können noch
mehr Häuser im Block O und angrenzenden Nachbarschaften zerstört werden,
um Sicherheitszonen an der Straße zur Grenze, die Philadelphi Road [Straße
der Bruderliebe!]. Die Kontrolle über die Grenze zu Ägypten ist eines der
kontroversesten Fragen, die gelöst werden müssen, bevor eine Rückzugsplan
implementiert werden kann, wegen der komplexen Verhandlungen, die nötig
werden um die Autorität von Israel nach Ägypten zu verschieben.
Abu Anzah, deren Augen vom Dunkelbraun herbsüßer
Schokolade sind, zog aus Algerien nach Rafah mit ihrem Bruder 1994 in der
politischen Ruhezeit nach den Oslo Friedensverhandlungen. In jenen
hoffnungsvollen Jahren bedeutete das Flüchtlingslager nicht Vorläufigkeit
sondern eine Gemeinschaft in der sie familiäre Wurzeln schlagen konnte.
Am Ende des Sommers, durch ein Familienabkommen,
heiratete sie Musa Abu Anzah, eine lebenslanger Bewohner des Lagers. Beide
waren 20. Intterhalb eines Jahres wurde die erste Tochter, Jehan geboren.
Azizah Abu Anzah war von der verschwägerten Familie umgeben und von einer
Nachbarschaft von Großfamilien im block O umfangen.
Als sie ihre 3 Kinder gebar "war ich von
Familienmitgliedern umringt," sagte Azizah Abu Anzah. Als das Baby Ola in
diesem Jahr geboren wurde, "war keiner bei mir." Sie und ihr Mann, der
beim Zollamt am naheliegenden Grenzübergang arbeitet, waren die letzten
der Familie, die Block O verlassen haben.
Als die israelischen Bulldozer das Haus platt
machten, dass im Zentrum der Nachbarschaft lag, zog die Familie in ein
einst elegantes, butterfarbenes Haus, dessen saudi Besitzer es verlassen
hatten... Vorige Woche wurde dieses Haus durch das israelische Militär zu
Pulver zermalmt.
[Es folgt eine ähnlich ausführliche und anschauliche
Geschichte der Leiden einer zweiten Familie, die ich aus Zeitnot
überspringe. Der dritte Teil des Artikels wird überschrieben] Faustgrosse
Einschüsse
Um 11.15 Uhr an einem Frühlingstag in Block O, saß
Jehan Abu Anzah auf der Stufe in ihrer zerknitterten weiß-blauen
Schuluniform und wartete, dass ihre Mutter die Tür aufschloss. In der Nähe
trat die 2 1/2jährige Hallah nach Zigarettenkippen in der schmalen Gasse.
Ein UN-gesponsortes Team von psychologischen Beratern stand in der Nähe, m
Hallahs Eltern zu beraten, wie sie reagieren sollten, wenn sie Schüsse
hören. Bleibt ruhig, um die Kinder nicht zu alarmieren.
Ohne Warnung krachte Maschinengewehrfeuer durch die
Gasse aus Richtung eines Wachturms.
Die Erwachsenen - Eltern, Berater und ein Reporter -
erschraken im selben Augenblick und suchten nach dem nächsten Schutz.
Hallah mit durch Terror geweiteten Augen, hielt sich an der abgewetzten
Hose ihres Vaters fest und wimmerte wie ein Hündchen. Die 9jährige Jehan
schmiss ihre Bücher auf den Boden, knallte mit den Fäusten gegen die
Metaltür und schrie mit schreckenerhöhter Stimme "Yama! Yama!" - Mama!
Mama!
"Wir haben alle Angst," bekannte Bushra Ayyash,
einer der Berater, die nervös am schwarzen Burqa zupfete, das ihren Körper
bedeckte. Was denken Sie, was dieses Kind fühlte, die am Bein ihres Vaters
zerrt?"
"Die Menschen, die noch vor den israelischen Truppen
leben, sind wütender als diejenigen, die weggelaufen sind. Sie fürchten
sowohl den Verlust ihres Hauses wie den Tot durch Erschießen. Für sie ist
ihre ganze Gesellschaft zerstört.
Vor einigen Wochen wurde das zweigeschossige Haus
aus Hohlbausteinen, das Shadia und Abdulkarim Hamad mit ihren 7 Kindern
teilen von Einschusslöchern bedeckt -- faustgroße Kreise und eckige
Löcher, groß genug dass ein Arm durchgeht, dutzende Öffnungen die die
Bandbreite der israelischen Feuermacht demonstrieren.
Jetzt steigt die 42jährige Shadia Hamad, deren
weiches rundes Gesicht und braune Augen die Erschöpftheit ständiger
Müdigkeit widerspiegelt, hinauf in den zweiten Stock und erzählte von
ihrem Haus und ihren Ängsten.
Vor kurzem haben Soldaten aus dem Wachturm das Feuer
eröffnet, als ihr Sohn Alaa auf das Dach stieg um die Tauben zu füttern.
Um 11 Uhr an einem anderen Tag trafen zwei Kugeln einen Spiegel im
Schlafzimmer, nur Zentimeter von der 16jährigen Tochter Moha entfernt, die
ihr dichtes schwarzes Haar bürstete. An einem anderen Tag flog eine Kugel
über die Schulter von Moha als sie sich bückte um ihrem Vater eine Tasse
Tee im Wohnzimmer zu reichen. Die 14jährige Walaa stolperte als sie die
dunkle, geländerlose Treppe nach unten hinunterstürzte und brach sich die
Vorderzähne.
In einem Nachbarhaus, außer Hörweite seiner Eltern
räumte Alaa mit niedergeschlagenen Augen ein, "Ich habe Angst." Als er
nach seinen Bestrebungen gefragt wurde, sagte er, "Ich hoffe, Arzt werden
zu können." Er zögerte einige Sekunden und murmelte dann, "wenn ich noch
lebe."
Vorige Woche, als Kämpfe zwischen palästinensischen
Guerrilla mit primitiven Raketen getriebenen Granatwerfern und
israelischen Soldaten in gepanzerten Truppentransportern und Panzern,
evakuierten Alaa und seine Familie ihr Haus, Koffer, die sie für solche
Notfälle bereithielten, in der Hand. Am Freitag war ihr von Geschossmalen
übersätes Haus mit seinem "Sicherheitsraum" im Erdgeschoss nur noch ein
weiterer Haufen zerkrümelter Beton.
c 2004 The Washington Post Company
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Am Sonntag berichtete Ha'arez dass der Oberste
Gericht einen Antrag von 13 Bewohner des Rafah Flüchtlingslagers um einen
Verbot weiterer Häuserdemolierungen abgewiesen.
Am Wochenende wurden bis zu 88 Häusern nach UNRWA
Schätzungen zerstört.