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Drohende Gefahr für Palästinensische Flüchtlinge in Syrien
Ramzy Baroud, 25. Juli 2012


„Jemand versucht, die Palästinenser ins Feuer zu ziehen, und die Flammen rücken dem Lager Jarmuk immer näher.“ Das berichtet der palästinensische Kommentator Rashad Abu Shawar (zitiert in Jerusalem Post vom 20. Juli 2012).

 

Jarmuk ist das größte palästinensische Flüchtlingslager in Syrien. Dort wohnen fast ein Viertel der insgesamt 500.000 in Syrien lebenden Flüchtlinge. Trotz Erinnerungskultur und Festhalten am Rückkehrrecht sind die Palästinenser in Syrien eine normale Gemeinschaft wie jede andere.

 

Allerdings passt der Begriff „Normalität“ mehr schlecht als recht auf die Situation der unglückseligen palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Ländern.  Wie schrieb doch der bekannte palästinensische Autor Ghassan Kanafani: „O ihr Palästinenser, hütet Euch vor einem natürlichen Tod!“ Und schilderte voller  Stolz, wie sein Volk für alle Schicksalsschläge gewappnet sei. Gemeinsam mit seiner Nichte wurde Kanafani selbst 1972 in Beirut bei einem Bombenangriff, Opfer des israelischen Geheimdienstes Mossad.

 

Auch die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien können nicht erwarten, dass ihr Leben ruhig und ohne Risiken erläuft. Ihre Brüder im Libanon haben das vor Jahr und Tag begriffen. Auch in Kuweit wurden Palästinenser  erheblich schikaniert und beschuldigt, auf Seiten Saddam Husseins zu stehen. Folgerichtig bekamen sie nach der US-Invasion im Jahr 2003 dann ihren Anteil an Misshandlung ab.

 

Das heißt nicht, dass die Palästinenser die einzige Gruppe sind, die unter bewaffneten Konflikten leiden. Aber weil sie keine Optionen haben, ist die dieser Flüchtlinge besonders gefährlich und verzweifelt. Sie sind staatenlos. Die meisten arabischen Länder geben ihnen absichtlich einen minderen Rechtsstatus, um sie leichter unter Kontrolle zu halten. Zum Problem werden sie bei kriegerischen   Auseinandersetzungen und darauf folgenden Massenfluchtbewegungen. Sie sind Strandgut, und als Staatenlose immer wieder Opfer von Misshandlung und Leid. 

 

Vor 2003 gab es im Irak eine relativ kleine Gemeinschaft von 35.000 Palästinensern. Die meisten hielten sich aus politischen Auseinandersetzungen  heraus. Nach der amerikanischen Invasion wurden sie jedoch ein leichtes Ziel für das US-Militär, verschiedene Milizen und kriminelle Banden. Es gab viele Tote. Die Überlebenden suchten verzweifelt Schutz in anderen Gegenden Iraks, und tausende strandeten jenseits der Grenzen in Flüchtlingslagern  auf jordanischem oder syrischem Gebiet. Damit wurde schlagartig klar, dass das palästinensische Flüchtlingsproblem so real und dringend war wie eh und je. Die Misere der Palästinenser beschämte zudem die Araber, die Israel immer wieder wortgewaltig den Krieg erklärten, es aber nicht fertigbrachten, die erneut geflohenen Flüchtlinge aufzunehmen. Und in Palästina selbst waren die verschiedenen Faktionen wie immer so sehr mit ihren internen  Querelen beschäftigt, dass sie für die Flüchtlinge nicht mehr als klägliche Solidaritätsbekundungen übrig hatten. 

 

Was Syrien betrifft, könnte die Sache noch schlimmer werden. In der Vergangenheit gab es bereits blutige Feindschaft zwischen Syrien und Palästinenserorganisationen, etwa mit der in der PLO vorherrschende Fatah sowie der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Zwar hatte Damaskus verschiedenen linksgerichteten palästinensischen Gruppen Gastrecht gewährt, die Hamas allerdings ließ sich erst nach ihrem Krach mit Jordanien dort nieder.

 

Vor ein paar Monaten hat Hamas still und heimlich ihre Büros in Damaskus geschlossen. Der Grund: die islamische Bewegung sah sich zunehmend in die unmögliche Situation gedrängt, für die eine oder andere  Partei zu ergreifen. Ihre Versuche, einen annehmbaren Mittelweg zu finden – das syrische Volk zu unterstützen und gleichzeitig zu warnen vor ausländischen Versuchen, Syrien zu schwächen – diese Versuche stießen auf taube Ohren. Einzelne arabische Regierungen verstärkten den Druck auf Hamas, eindeutig  Stellung zu beziehen in einem Konflikt, für den sie nicht verantwortlich ist, und zwangen sie damit schließlich, sich von Syrien zu verabschieden.

 

Die politische Diskussion um Syrien schürt mehr als alles andere die Fronten  im Umgang mit dem sogenannten arabischen Frühling. Und die Palästinenser sind zwischen diese Fronten geraten. Der Sender Al Jazeera hat den palästinensischen Flüchtlingen einen Bärendienst erwiesen, indem er darauf bestand, die Palästinenser als Teil der größeren Auseinandersetzung um Syrien darzustellen. Dabei weiß der Fernsehsender sehr wohl, was staatenlose, verwundbare Palästinenser in Konfliktsituationen erwartet. Im Irak hatten Al Jazeeras Reporter  gute Arbeit geleistet, indem sie die Demütigung der Palästinenser dokumentierten. Schon allein aus humanitären Gründen sollten sich arabische Medien bemühen, die Rolle der Palästinenser  im Konflikt um Syrien neutral darzustellen.

 

Palästinenser sind auch jetzt schon im Visier. Seit dem Beginn des Konflikts in Syrien wurden 300 Palästinenser Opfer der Auseinandersetzungen. Die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah sagt, sie sei im ständigen Kontakt mit den syrischen Behörden, um die Sicherheit der Flüchtlinge zu gewährleisten. Tödliche Zwischenfälle hat es vor allem in Jarmuk gegeben. Arabische Medien, die gegen die Regierung von Bashar Al Assad  sind, geben dessen Sicherheitskräften die Schuld an den Angriffen auf Palästinenser. Andere Medien erzählen eine andere Geschichte.

 

Über den schlimmsten Zwischenfall, bei dem sechzehn Mitglieder der von Syrien unterstützten palästinensischen Befreiungsarmee (PLA) getötet wurden, berichtet Khaled Toumeh in der Jerusalem Post vom 20. Juli: „Sie wurden von Bewaffneten erschossen, die ihren Bus überfallen und die Insassen gekidnapt hatten. Die Leichen wurden später mit durchschnittenen Kehlen auf einem Feld in einem Außenbezirk von Damaskus entdeckt.“

 

In einer von AFP verbreiteten Erklärung der „Freien Syrischen Armee“ vom 16. Juli werden „regime-treue Palästinenserführer auf syrischem Boden als legitime Ziele“ bezeichnet. Wenn man bedenkt, dass es seit Jahrzehnten Zusammenarbeit zwischen Syrien und verschiedenen PLO-Faktionen gegeben hat, klingt diese Erklärung wie eine Todesdrohung an die Adresse  der Palästinenser in Syrien. Dabei hat die Palästinensische Befreiungsarmee dieses Mal eine mehr oder weniger symbolische Rolle gespielt. Sie war kaum militärisch aktiv, weder in Syrien noch außerhalb. Das scheußliche Massaker an den Angehörigen der PLA erscheint eher als ein Versuch, unbeteiligte Palästinenser in Angst zu versetzen.

 

Palästinensische Flüchtlinge könnten einmal mehr zur Flucht gezwungen sein. In dieser lebensbedrohenden Lage sollten die Parteien in Palästina ihre egoistischen Interessen hintan stellen und zum Schutz der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien gemeinsam handeln - jedenfalls vorübergehend. UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, dem „der Schutz der Rechte und des Wohlergehens von Flüchtlingen“ aufgetragen ist, muss sofort tätig werden, um die Sicherheit der palästinensischen Flüchtlinge zu gewährleisten. Die Arabische Liga, die bisher wenig getan hat, um von regionalen Konflikten bedrohte palästinensische Flüchtlinge zu schützen, sollte diesmal rechtzeitig handeln, um Fehler der Vergangenheit gutzumachen.

 

Als Flüchtling erneut fliehen zu müssen ist schlimm genug. Noch schlimmer ist es, als Staatenloser wieder und immer wieder auf der Flucht zu sein und kein Land zu haben, in dem man Zuflucht suchen kann. Die arabischen Medien sollten sich klar machen, was es bedeutet, die Palästinenser als handelnde Partei in das syrische Blutvergießen hineinzuziehen. Ihr Vorgehen läuft darauf hinaus, diese Menschen einer schlimmen Gefahr, um nicht zu sagen einer Katastrophe auszusetzen.

 

Der aus Gaza stammende Autor Ramzy Baroud (www.ramzybaroud.net) ist ein international bekannter Kommentator und der Herausgeber des PalestineChronicle.com . Vor kurzem erschien sein Buch „My Father was s Freedom Fighter – Gaza’s Untold Story“ bei Pluto Press, London.

http://www.palestinechronicle.com/

Übersetzung Ulrike Vestring

 

 

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