7. September
2009 Sumaya Farhat-Naser - Jahresbrief 2009
Liebe Freunde
Mit herzlichem
Dank beginne ich meinen Brief an meine Freunde, damit ich
den Start finde, nach langer Zeit.
Ich könnte sagen: Es
ist der Berg Arbeit, den ich bewältigen muss, der das Schreiben
an Euch verdrängte. Aber nein, es ist mehr das Leiden, die Not
und die Verzweiflung, die unser Leben beschatten und kaum
Verschnaufpausen zulassen. Die Politik setzt sich brutal durch,
ohne Achtung vor Menschlichkeit und Konventionen. Die meisten
Menschen fühlen sich an die Grenze der Ohnmacht und
Aussichtslosigkeit gedrückt. Sie brechen zusammen, schweigen,
haben Angst, andere werden aggressiv oder wollen fliehen, sich
verstecken, werden krank, körperlich und in ihren Seelen.
Psycho-soziale Begleitung und Beratung individuell und in der
Gruppe werden im Rahmen unserer Friedenserziehungsprogramme
angeboten und ermöglicht.
Unsere Botschaft
ist, den Jugendlichen und den Frauen den Weg zu zeigen, die
Fähigkeiten beizubringen, damit sie nicht zerbrechen. Unser
Erziehungsziel ist, das Bewusstsein zu bilden, dass jeder Mensch
Aufgaben in die Hand zu nehmen, sich selbst zu helfen, selber
entscheidet, ob er oder sie sich ärgern will, wie lange der
Wutanfall dauern soll, wie lange ich die Provokationszeit und
Intensität auf mich wirken lasse oder ob ich mich sofort davor
schütze. Wir beschließen, Sorge zu tragen für sich selbst, uns
selbst zu erziehen und zu pflegen und vor allem jeder und jede
sich selbst zu schützen von dem, was Verletzung, Trauer und Wut
hervorruft. Wir lernen Vertrauen auszustrahlen und Vertrauen zu
empfangen, vom Guten auszugehen und Zuversicht zu behalten. Wir
lernen unsere Gefühle und Sorgen auszusprechen, unsere Wünsche
zu bekunden, und wollen aktiv sein, damit wir Ohnmacht und
Depression auffangen und unsere Probleme verwalten können. Auf
uns kommt es an, positive Änderungen herbeizubringen. Wir lernen
zu glauben.
Unsere
Fortbildung und Friedenserziehung mit Jugendlichen und Frauen
ist die Antwort auf alle Herausforderungen, die uns begegnen.
Vor sechs Jahren
begann die Arbeit mit drei Zielgruppen und heute haben wir acht
Zielgruppen mit mehr als 700 Jugendlichen und Frauen, die an
mehr als 15 Seminaren und Treffen pro Jahr teilnehmen.
Gewaltfrei kommunizieren, fühlen, denken und handeln muss die
Grundlage unserer Verhaltensweise und unseres Charakters werden.
Während der letzten
Jahre gelang es uns, acht Frauen zu trainieren, Mediatorinnen,
Gruppenleiterinnen und Friedensarbeiterinnen zu werden. Mehr und
mehr Schulen, Jugendclubs, Kirchengemeinden fragen nach Treffen
und Seminaren. Die Idee, Selbsterziehung und Stärkung durch
Programme der Gewaltfreiheit und Friedenserziehung ist nicht nur
akzeptiert, sondern auch erwünscht geworden. Sie beteiligen sich
an Planung, schlagen Themen vor, präsentieren und tauschen ihre
Gedanken und Fertigkeiten aus.
Der Sternberg bei
Ramallah in Palästina ist ein Rehabilitations-Zentrum für
geistig und teilweise auch körperlich behinderte Kinder und
Jugendliche. Die Arbeit entwickelte sich in den letzten Jahren
zu schnell. Die Zahl der aufgenommenen Kinder und der
einbezogenen Dörfer wuchs unverhältnismäßig gegenüber den
vorhandenen Kapazitäten, Fähigkeiten und dem vorhandenen
Verwaltungssystem. Viele Probleme entstanden, Streitigkeiten
auch mit und unter den Angestellten ließen die Probleme
eskalieren, sodass die Schließung des Zentrums drohte. Der
Vorstand der Herrnhuter Gemeinde in Bad Boll bat mich um Hilfe,
in dem ich als Mediatorin wirke. Ich nahm diese Aufgabe aus
tiefer Verantwortung an, denn ich bin seit meiner Kindheit mit
dem Sternberg verbunden. Als Talitha-Kumi-Schülerinnen schon in
den sechziger Jahren pflanzten wir den Wald, und immer wieder
machten wir dorthin Ausflüge und sangen für die Lepra-Patienten.
Später besuchten wir Diakonisse Schwester Johanna Larssen in
ihrem späten Alter und beteten und sangen gemeinsam. Ich
empfinde eine besondere Sensibilität und Verantwortung für
Behindertenarbeit.
Als Mediatorin wurde
ich für einige Monate eingesetzt, um den
Umstrukturierungsprozess durchzuführen. Viele einzelne und
gemeinsame Gespräche mit MitarbeiterInnen und der Leitung
zeigten die Vielschichtigkeit der Probleme auf. Der
Vermittlungsprozess begann: Aussprechen lassen, Gefühle und
Empfindungen zeigen dürfen, Erklärung der Situation seitens
jedes Einzelnen zulassen, zuhören, akzeptieren und respektieren.
Die tiefen Verletzungen zugeben, ansprechen, um Probleme
verwalten zu können. Letztendlich war es uns gelungen, die
Umstrukturierung und Einhaltung der Arbeitsgesetze gelten und
wirken zu lassen: Neue Verträge und neue Arbeitsbedingung, neue
Jobdeskription, klare Verwaltungskanäle. Das Zentrum blieb offen
und verrichtet die Dienste gegenüber den Behinderten weiter.
Alle Mitarbeiter und der Vorstand haben große Arbeit geleistet.
Die Mediation und Vermittlungsarbeit ist Friedensarbeit, eine
entwickelte Form der Integration der Friedenserziehung in den
Institutionen. Die Grundlage, Prinzipien und Ziele treffen sich
mit der Fortbildung und Friedensarbeit unseres Projektes, das
wir in unseren Gruppen in Talitha Kumi, Birzeit und Ramallah
Schulen, in Nablus mit dem Christlichem Jugendbund, mit Deir
Ibsi Frauen und mit Birzeit Frauen durchführen.
Ab Oktober werden
die neue Leiterin, die Reha-Programmleiterin und der
Verwaltungsmanager am Sternberg im Amt sein. Ich werde meine
Hilfe beratend anbieten, wo sie angefragt wird. Allerdings werde
ich meine Seminare mit den Mitarbeitern als eine Zielgruppe, wie
bisher, samstagvormittag, weiter machen.
Jerusalem:
Im Jahr 2008 entstand die Idee, Friedensarbeit in Jerusalem
durchzuführen. Probst Gräbe, Frau und Herr Wohlrab der Auguste
Victoria Stiftung am Ölberg begrüßten die Idee und gaben ihre
volle Unterstützung und wir einigten uns, dass die Arbeit
gemeinsam getragen würde. Ich machte viele Hausbesuche, um die
Frauen zu motivieren. Vier Treffen konnten stattfinden, dann
wurden sie unterbrochen, weil meine Genehmigung für Jerusalem
nur begrenzt und mit langen Pausen dazwischen gegeben wurde. Ich
besuchte drei Schulen, um zu erkunden, wie Friedenserziehung zu
verwirklichen wäre. Seit Februar 2009 gelang es der Propstei,
für mich eine Genehmigung für Jerusalem für sechs Monate zu
bekommen, und es ist sehr möglich, dass diese Genehmigung
erneuert wird. Sieben Treffen in der Schmidt-Schule fanden mit
der 9. und der 10. Klasse statt und wir machen weiter. Themen
waren: Selbstwert erkennen, Umgang mit Problemen, Zeitplanung,
Kontrolle über sich selbstbehalten, Verantwortung tragen, Umgang
mit Prüfungen, mit Enttäuschungen und wie man sich selbst stärkt
und aktiv macht, wie man sich selbst helfen kann. Einige
Lehrerinnen baten um ein Seminar für sich allein. Das planen wir
jetzt, damit sie die Arbeit in der Schule fortführen. Das ist
Training of Trainers.
Am 13. Oktober 2009
findet der dritte Vortrag im Rahmen der Deutschen-
Gemeinde-Abende statt.
Marion, eine
deutsche Frau, deren Mann an der Deutschen Botschaft in Tel Aviv
arbeitet, hörte meinen Vortrag am Gemeindeabend und hat mich
angesprochen, die Gruppe Sonnenaufgang mit einem Seminar
anzusprechen. Diese Frauengruppe setzt sich zusammen aus Frauen,
die Brustkrebsoperationen durchmachen mussten. Mit Gymnastik und
Therapie stärken sie sich gegenseitig. Meine Beteiligung an
dieser Stärkung und der Motivierungsprozesse waren ergänzend und
bereichernd. Wir haben beschlossen, dass wir weiter miteinander
die Seminare gestalten. In dieser Frauengruppe sind auch
europäische Frauen, die im Land wohnen. Die Gruppe trifft sich
zweimal monatlich zu Physiotherapie und Meditation und ich
schließe mich an.
Wir durften viel
Schönes in der Familie erfahren und wir sind dankbar für alles
Gute, das wir bekommen. Unser Sohn Anis und Dima haben
geheiratet und sie sind sehr glücklich. Wir haben ein
wunderschönes Hochzeitsfest und mehrere Festtage mit Familie,
Freunden, und Hunderten von Menschen gehabt. Es war sehr schön.
Dankbar sind wir ,
weil wir so viel Freude an unseren Enkelinnen Reena (zwei Jahre)
und Dara (sieben Monate) haben. Sie sind wie alle Kinder hübsch
und pfiffig.
Meine beiden Knie
bereiten mir viele Schmerzen. Schwere Artrose habe ich. Ich muss
operiert werden, vielleicht um die Weihnachtszeit und ich hoffe,
das könnte in Berlin sein. Es wird alles gut gehen, ich vertraue
darauf.
Eure Unterstützung
und Begleitung hat uns soweit gebracht und die Kontinuität
ermöglicht. Dafür danke ich herzlich.
Alles Liebe und Gute
Sumaya Farhat-Naser
Telefon und Fax:
00972 2 28 10 919
sumaya@mac.com
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