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Palästinenser in Deutschland und ihre Sicht des Nahost-Konflikts

Von Abdul-Rahman Alawi*, Köln


Militärische Aktionen, Gewalt und Gegengewalt im Nahen Osten beherrschen die Schlagzeilen und dominieren die Berichterstattung in den deutschen Massenmedien. Der Nahostkonflikt ist so präsent im Bewußtsein der Menschen wie kein anderes außenpolitisches Thema. Zieht man in Betracht, daß etwa 70.000 deutsche Juden und eine gleiche Anzahl von Palästinensern in Deutschland leben, kann man sich leicht ausrechnen, daß die Entwicklung im Nahen Osten die Belange und Sicherheit in diesem Land tangieren könnte. Die Debatte über den Antisemitismus ist ein Beweis dafür. Generell zielt diese Debatte für die in Deutschland lebenden Palästinenser im Wesentlichen darauf, Kritik gegen die israelische Besatzungspolitik verstummen zu lassen.

Palästinensische Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden oder aufgewachsen sind, vertraten im Rahmen eines Bildungsseminars in Zusammenarbeit mit der Universität Mainz im Mai dieses Jahres die Meinung, daß die Kritik an Sharon und seiner Besatzungspolitik der Hintergrund für die Antisemitismus-Kampagne ist. In der Tat kann man feststellen, daß der Begriff Antisemitismus aufgeweicht und inflationär gebraucht wird.

Die kürzlich in Berlin einberufene Konferenz gegen den Antisemitismus macht hier keine Ausnahme: Antisemitismus sei überall zu finden: linker, rechter, arabischer, islamischer Antisemitismus… Und Antisemitismus verstecke sich hinter Kritik gegen Israel, gegen den Zionismus, gegen die israelische Regierung und gegen jüdische Persönlichkeiten. Ein derart vermengter Begriff des Antisemitismus verharmlost im Nachhinein den Antisemitismus des Dritten Reiches, das die „Endlösung" der Juden-Frage anstrebte und dabei einen Völkermord beging. Zudem wird der Vorwurf des Antisemitismus bei der Kritik an der Politik Israels gegen die Palästinenser so entwertet, daß der tatsächlich noch in Deutschland existierende Antisemitismus verschleiert wird. Der berechtigte Kampf gegen den offenen und latenten Antisemitismus darf nicht mit der politischen und militärischen Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern vermengt werden. Eine solche Vermengung birgt die Gefahr einer Austragung des Nahostkonfliktes auf deutschem Boden.

Man kann anhand einer Analyse der verschiedenen Generationen der Palästinenser in Deutschland diesen Punkt beleuchten. Die Palästinenser, die direkt nach der Gründung des jüdischen Staates in Palästina nach Deutschland kamen, haben keinen Unterschied zwischen Jude, Zionist und Israeli gesehen. Die zweite Generation, die nach der Entstehung der palästinensischen Widerstandsbewegung und der Gründung der PLO im Laufe der siebziger Jahre nach Deutschland emigrierte, nahm eine klare Differenzierung wahr: Nicht jeder Jude ist Zionist oder Israeli. Diese Einstellung ist der palästinensischen nationalen Bewegung zu verdanken, die einen gemeinsamen demokratischen Staat in den historischen Grenzen Palästinas als Lösung für den Nahostkonflikt vorsah. Diese Differenzierung entfachte damals heftige politische Diskussionen mit zionistischen Studentengruppen, begünstigte aber auch den Dialog zwischen palästinensischen und jüdischen und israelischen Studenten. In diesem Zusammenhang sind prominente Namen wie Daniel Cohn-Bendit und Dan Diner erwähnenswert. Dieser Dialog führte sogar zur Zusammenarbeit der Generalunion Palästinensischer Studenten und den Mitgliedern der israelischen Mazpen.

Die Position der dritten Generation der Palästinenser ist problematischer. Mit der dritten Generation sind die Palästinenser gemeint, die in Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind. Viele von ihnen benutzen die deutsche Sprache als ihre einzige Muttersprache. Sie stehen zwischen der Loyalität ihrer Eltern zu der Heimat Palästina und der Loyalität zu Deutschland, das Land in dem sie leben, studieren und arbeiten.

 

Auch der Islamisierungsprozeß trägt zu einer fatalen Loyalität dieser jungen Generation bei. Eine beachtliche Anzahl junge Palästinenser sieht den Islamismus als Gegendruck zum Zionismus. Die noch nicht vollzogene Trennung von Staat und Religion im Nahen Osten trägt zu einem vereinfachten Weltbild der Menschen bei: Islamisierung steht gegenüber Judaisierung, Araber gegen Juden. Das Bestreben Israels, Juden in der ganzen Welt als israelische Bürger zu betrachten und dabei Zionist, Jude und Semit gleichzusetzen, führte zu irreführenden Reaktionen sowohl bei den Palästinensern als auch bei den Juden. Es entstand eine Überidentifizierung mit der „Heimat" der Vorfahren, die zwischen beiden Gemeinschaften in Deutschland gegenseitiges Mißtrauen erzeugte. Dabei wird die Entwicklung im Nahen Osten nur noch einseitig wahrgenommen.

 

Zwar ist die militante Konfrontation das vorherrschende Mittel der Auseinandersetzung in Israel und Palästina, jedoch sind die Zeichen für die Entstehung einer neuen Generation auf beiden Seiten vernehmbar, die sowohl geschichtlich als auch aktuell neue Wege der Verständigung und des Dialogs sucht. Sicher belastet und überdeckt die Jahrzehnte lange militärische Konfrontation die noch scheinbar einflußlosen Kräfte. Sie sind jedoch die Vorhut des angestrebten gerechten Friedens im Nahen Osten.

Diese einseitige Wahrnehmung der Entwicklung in Palästina und Israel, begleitet von der undifferenzierten Antisemitismus- Debatte, erschwert und verhindert einen konstruktiven Dialog zwischen den Juden und Palästinensern in Deutschland bzw. jüdischen und palästinensischen Deutschen. Einem Palästinenser Antisemitismus vorzuwerfen, historisch und aktuell, ist falsch. Der Antisemitismus entstand und verbreitete sich in Europa. Im Nahen Osten, wo bekanntlich die Semiten (sprich Araber und Juden) herstammen, gab es keine Pogrome gegen Juden oder andere ethnische Minderheiten. Es gehörte einfach nicht zur Kultur dieser von vielen Völkern besiedelten Region, die für Jahrhunderte Zufluchtsort für verfolgte und bedrohte Völker vor allem aus Osteuropa war.

Auch wenn heute ein Palästinenser die Auseinandersetzung mit Israel mit dem „Kampf gegen die Juden" umschreibt, ist er noch lange kein Antisemit. Dies hängt mit der Entstehungsgeschichte Israels zusammen, das als Staat der Juden bezeichnet wird. Die Palästinenser müssen ihrerseits begreifen, daß der Antisemitismus in Europa und die Verfolgung und der Massenmord an den Juden in Deutschland eine tief greifende Traumatisierung der Juden verursacht hat. Die Hypersensibilität eines Juden auf Feindseligkeit, egal in welcher Form, ist daher verständlich. Die Palästinenser müssen auch einsehen, daß ein jüdischer Deutscher, auch wenn er seine Loyalität gegenüber dem Staat Israel bekundet, nicht für die brutale Besatzungspolitik Israels verantwortlich ist.

Die pro-israelische Haltung in Politik und Medien ist nicht nur aus dem schlechten Gewissen der Deutschen gegenüber den jüdischen Bürgern herzuleiten. Man kann sie auch positiv sehen. Diese kleine selbstbewußte jüdische Gemeinde ist sehr gut organisiert. Sie agiert als Teil der deutschen Gesellschaft und ist somit voll integriert in das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben. Sie kann ihre Belange auf höchster Ebene durch kompetente Persönlichkeiten vertreten.

Die dritte Generation der Palästinenser durchlebt eine Identitätskrise. Sie will Loyalität gegenüber ihrer Elterngeneration bekunden und strebt die Integration in der Gesellschaft an, in der sie lebt. Es scheint, daß die Loyalität gegenüber der fernen gebeutelten Heimat die Integrationsfähigkeit vermindert. Die Palästinenser müssen begreifen, daß sie vom deutschen Boden die Palästina-Frage nicht lösen können. Sie können eher ihren Einfluß ausüben, damit Deutschland bei den Friedensbemühungen aktiver und entschlossener vorgeht.

Dies zu erreichen, verlangt einen hohen Grad an Integrationsfähigkeit. Die Teilhabe an der Gesellschaft setzt voraus, daß man sich auf diese Gesellschaft einläßt und deren rechtstaatliche Regeln annimmt. Die deutsche Politik ist gefragt, die Zusammenhänge zwischen der Entwicklung im Nahen Osten und der menschlichen aber auch der politischen Konstellation in Deutschland wahrzunehmen. Die Belange der Bundesrepublik Deutschland erfordern besondere Anstrengungen, um Brücken für einen konstruktiven Dialog zwischen den jüdischen und palästinensischen Gemeinden zu bauen. Damit wäre nicht nur der inneren Sicherheit gedient, sondern man könnte auch zu einer friedlichen Lösung im Nahen Osten beitragen.

 

* Abdul-Rahman Alawi ist Korrespondent der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA, Gaza

 

 

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