|
Faten Mukarker
Eine
christliche Palästinenserin berichtet vom Leben in Bethlehem und Beit Jala
Faten Mukarker
lebt mit ihrer Familie in Beit Jala, einem Nachbarort von Bethlehem.
Aufgewachsen in
Deutschland kehrte sie als junge Frau nach Palästina zurück, um zu
heiraten. Mit ihrem Mann und vier kleinen Kindern durchlebte sie die
Schrecken der ersten Intifada und des Golfkriegs. Nun steht Palästina
wieder im Brennpunkt einer Intifada, der sog. Al-Aqsa-Intifada, die seit
Herbst 2000 das Land erschüttert.
In den Medien wird über Anschläge und Gegenreaktionen immer knapper
informiert, über den Alltag in diesem unerklärten Krieg aber erfahren wir
so gut wie nichts.
Als christliche Palästinenserin schildert Faten Mukarker in ihren
Vorträgen das Leben zwischen
nationalen und religiösen Grenzen und erzählt in ihrer eindringlichen und
einprägsamen Art von dem sehr spannungsvollen Alltag, was z. B. eine
mehrwöchige Ausgangssperre, was Wasserrationierung in einem subtropischen
Land bedeutet, berichtet aber auch davon, wie die Gewalt Land und Menschen
verändert. Trotz Gewalt und Terror, die derzeit auf beiden Seiten die
Oberhand zu behalten scheinen, sieht auch sie die einzige Chance für die
Zukunft der Region in Friedens- und Versöhnungsbereitschaft, die von
beiden Seiten kommen muss.
Solange Pilger und Touristen ins Heilige Land kamen, hat Faten Mukarker
diese zu sich nach Hause eingeladen und über das Leben in Palästina
erzählt. Seitdem die Touristen ausbleiben, kommt sie nun ihrerseits nach
Deutschland und berichtet in Kirchgemeinden, Volkshochschulen, Akademien,
Schulen usw. über ihre Heimat. -
Quelle
weiteres aus ihrem Leben >>>
Literaturhinweis:
Faten Mukarker: Leben zwischen Grenzen. Eine christliche Palästinenserin
berichtet (Edition Zeitzeugen); Karlsruhe: Hans Thoma Verlag 1999
|
Brief von
Faten Mukarker: Ein kleines Licht
Im Advent 2007
Liebe Freunde in der Ferne
Ein kleines Licht
Das Jahr 2007 neigt sich seinem Ende zu.
Wie immer schaue ich auf das vergangene und verlorene Jahr
zurück.
Was hat es uns in Bethlehem gebracht oder auch nicht
gebracht?
Nach den Wahlen, die die Hamas in Palästina gewann,
wurden wir von der Weltgemeinschaft unter Sanktionen
gestellt.
Jegliche Hilfe wurde den Palästinensern verweigert.
Zuerst bestimmte Olmert und diktierte der Welt:
Die Palästinenser müssen Israel anerkennen,
der Gewalt abschwören und
die internationalen Verträge einhalten.
Bestimmt sind das Forderungen, die gerechtfertigt sind.
Doch ist nicht die Zeit gekommen,
einen Mittelweg zu finden, unseren jahrzehntelangen Konflikt
zu lösen?
Diesen Teufelskreis der Gewalt, in dem immer wieder
Vergeltung auf Vergeltung der Vergeltung stößt?
Ist nicht die Zeit gekommen,
auch von Israel zu verlangen,
das Recht der Palästinenser
als freie Menschen in einem freien Staat zu leben,
anzuerkennen,
anstatt in diesen Ghettos,
in die man uns durch den Bau einer zehn Meter hohen Mauer
gesteckt hat?
Und zeugen nicht die über 6000 Toten
- davon ein Drittel Kinder -
und die über 40 000 Verletzten in den letzten 7 Jahren
davon,
dass man auch von Israel verlangen kann,
der Gewalt abzuschwören?
Zeugen nicht auch die Siedlungen,
die wie Pilze auf unseren Hügeln sprießen,
obwohl Rabin in den Friedensverträgen von 1993 garantierte,
dass Israel keine neuen Siedlungen mehr auf unserem Boden
bauen würde,
die sich aber seitdem verdoppelt haben,
davon,
dass Israel die internationalen Verträge auch einhalten
sollte?
Im Juni waren wir 40 Jahre unter israelischer
Militärbesatzung.
Im November jährte sich die Teilung meiner Heimat zum 60.
Mal.
Der Bruderkrieg, der eine tiefe Wunde in uns hinterlassen
hat,
brachte uns dahin , wo man uns hinhaben wollte.
Eingesperrt, ausgehungert und gedemütigt, zerfleischen wir
uns gegenseitig.
Es tut mir weh, solche Begriffe in einem Adventsbrief zu
bringen,
doch das ist unsere traurige Realität.
Annapolis ist für viele der letzte Strohhalm.
Wird Annapolis die Erwartungen nicht erfüllen,
werden extreme Kräfte wieder Oberhand gewinnen.
Deren Motto heißt:
Was mit Gewalt genommen wurde, kann nur mit Gewalt
wieder zurück geholt werden.
Und dann?
Ich wünsche allen
eine gesegnete Adventszeit,
mit der Bitte:
Erinnert Euch an das kleine Licht,
das von Bethlehem ausging und die Welt erhellte.
Salam
Faten Mukarker
|
Ein
Abschiedsbrief oder
Auf welcher Seite?
Liebe Freunde
in der Ferne
Die letzten
Tage in Deutschland liegen vor mir.
Seit ungefähr
zwei Monaten bin ich hier.
Bin dankbar für
die Menschen, die zu meinen Vorträgen kamen.
Sie haben
aufmerksam zugehört und viele wollten auch den
Politikern schreiben und sie bitten, in ihren
Wahlprogrammen Stellung zu nehmen zum
Nahost-Konflikt.
Ist nicht
endlich die Zeit gekommen, dass man in
Deutschland differenzierter denkt?
Wenn der
Bundestagspräsident im Bundestag zu Katzav, dem
israelischen Staatspräsidenten, angesichts
seines Besuches – ,
40 Jahre
diplomatische Beziehungen mit Israel - sagt:
„Sie müssen
wissen, wir Deutsche sind an Ihrer Seite,“ dann
frage ich mich als Palästinenserin: Welche Seite
ist gemeint, die der Besatzung?
Die Besatzung,
die Menschen gezielt tötet - dabei in Kauf
nimmt, dass unschuldige Menschen sterben.
Oder gibt es
nur in Israel unschuldige Zivilisten?
Und auch
Schuldige sollten in einer Demokratie, wie
Israel sich nennt, das Recht haben, vor einem
Gericht zu stehen.
Welche Seite
ist gemeint,
die der
Besatzung?
Die Besatzung,
die Häuser zerstört. Begründung:
ohne
Baugenehmigung gebaut (diese wird nicht erteilt)
-
das Militär
braucht einen Überblick über das Gelände; die
Häuser stören dabei - Kollektivstrafe (verboten
nach Völkerrecht).
Welche Seite
ist gemeint,
die der
Besatzung?
Die Besatzung,
die jahrzehnte- und jahrhunderte alte
Olivenbäume zu Hunderttausenden mit ihren
Wurzeln ausreißt (Existenzgrundlage in
Palästina).
Welche Seite
ist gemeint,
die der
Besatzung?
Die Besatzung,
die eine acht bis zehn Meter hohe graue
Betonmauer (verurteilt vom Internationalen
Gerichtshof in Den Haag) um unsere Städte baut,
wobei uns die Hälfte der Westbank verloren geht.
Diese Mauer hat
unseren Traum, in einem FREIEN PALÄSTINA zu
leben, begraben!
Für wie viele
Generationen wird uns diese Mauer wohl hindern,
mit unseren
israelischen Nachbarn in Frieden zu leben?
Denn wir werden
nur voneinander getrennt und daran gehindert,
auf Versöhnung hin zu leben.
Und noch mal:
Ist nicht die
Zeit gekommen,
dass man in
Deutschland den Unterschied erkennt?
An der Seite
des jüdischen Volkes zu sein,
darf nicht
gleichzeitig bedeuten,
an der Seite
einer Besatzung zu sein.
Salam
Faten Mukarker
11.7.2005
|
Faten Mukarker -
Ostern 2006 - Ein Ostergruß aus Bethlehem – oder aus einem
großen Gefängnis.
Ich stehe auf meinem Balkon und sehe auf
Bethlehem. Es sieht so friedlich aus, doch der Schein trügt.
Wenn ich nach links schaue, sehe ich die
schreckliche Mauer. Wie eine giftige Schlange schlängelt sie sich durch
unser Land.
Sauber aneinander gereihte Betonklötze, acht,
neun und zehn Meter hoch.
Ich erschaudere bei dem Gedanken : Wir leben
in einem Ghetto.
Nach fünf Jahren Intifada und fünf
Invasionen, in denen viel Zerstörung stattgefunden hat, war Bethlehem
zur Ruhe gekommen.
Doch was bedeutet es für die Menschen, die
hier leben?
Als es noch täglich viele Tote und Verletzte
gab, lebten wir in einer sehr schweren Zeit. Doch die Menschen hatten
eine Hoffnung - die Hoffnung, dass der Tag kommen wird, wo wir in
Freiheit und Würde leben würden.
Die Mauer hat diese Hoffnung zunichte
gemacht.
Die Besatzung hat durch die Mauer ein Gesicht
bekommen.
In Bethlehem herrscht wie in allen
palästinensischen Gebieten eine hohe Arbeitslosigkeit.
Aber sie ist nicht so wie die in Deutschland,
wo es an Arbeitsplätzen fehlt. Unsere Arbeiter dürfen nicht mehr ihrer
Arbeit in Israel nachgehen.
In all den Jahren unter israelischer
Besatzung hat man nie wirtschaftliche Strukturen in Palästina
geschaffen. Die palästinensischen Tagelöhner sollten immer vom
israelischen Arbeitsmarkt abhängig sein, als billige Arbeitskraft und
natürlich sollen wir auch israelische Waren konsumieren.
Palästina mit mehr als drei Millionen
Menschen ist ein guter Absatzmarkt für die israelischen Waren.
Ich frage mich: Wie hat man sich das
eigentlich gedacht, uns einzumauern ohne wirtschaftliche Strukturen, wie
sollen wir leben, wie überleben?
Die Mauer trennt nicht nur Israelis von
Palästinensern, sondern sie trennt uns von unseren Familien, Feldern und
natürlichen Wasserquellen. Sie ist nicht auf der Grünen Linie gebaut,
der international anerkannten Grenze zwischen Israel und Palästina von
1967, sondern sie reicht tief in die palästinensischen Gebiete hinein.
Das heißt, viele Teile der Westbank werden enteignet
Unser Land, seit Generationen in unserem
Familienbesitz, mit vielen Obst- und Olivenbäumen, hat man für den
Mauerbau gerodet.
Es tut weh, die Bäume entwurzelt auf den
Feldern zu sehen. Die Menschen sind mit den Bäumen verwurzelt. Ein
Olivenbaum braucht viele, viele Jahre bis er Oliven trägt. Es gibt bei
uns einen Spruch, wenn zwei sich streiten und einer verhält sich einem
anderen gegenüber aggressiv, dann fragt man ihn, was habe ich dir
Schlimmes getan, habe ich dir etwa deine Bäume ausgerissen? Denn das
gilt als das Schlimmste, was man einem anderen antun kann.
Die Checkpoints, die sogenannten
Straßensperren, an denen wir gedemütigt und entwürdigt werden, wenn wir
von einer Richtung in die andere wollen.
Der Terminal, der neue Grenzübergang von
Bethlehem, ist eine Öffnung in der Mauer, durch die, wenige die
das Glück haben, eine Sondergenehmigung zu besitzen, nach Jerusalem
dürfen:
Man muss durch mehrere Drehtüren gehen,
seine Schuhe und Jacke ausziehen und alles, was an der elektronischen
Tür piepen könnte, ausziehen. Dann geht es weiter durch einen langen
vergitterten Gang. Er sieht aus wie der Raubtiergang in die Arena. Die
Soldaten sieht man nicht, man hört sie nur über Lautsprecher wie sie
die Menschen anschreien und ihnen Anweisungen geben. Man geht durch ihn,
und denkt man ist in einem Labyrinth und fragt sich, werde ich hier auch
wieder rauskommen?
Nachts wird der Terminal geschlossen. Was
das bedeutet kann man nur erahnen.
Für die Jugend ist es am schlimmsten. Sie
leidet an Perspektivlosigkeit. Kein Licht am Ende des Tunnels ist für
sie zu sehen.
Wer die Möglichkeit hat auszuwandern, der
geht.
Andere werden leichtes Futter für die
Extremen, die ihnen weis machen, dass ihr Leben, nach dem Leben viel
lebenswerter sein wird, und dass sie eine Zukunftsperspektive nicht auf
der Erde sondern im Himmel finden werden.
Das ist sehr gefährlich, denn wenn einem die
Zukunftsperspektive fehlt, ist einem alles egal, man hat nichts mehr zu
verlieren.
Ich träume davon, dass die Menschen in
Palästina eine Perspektive haben werden.
In Israel hat die Kadima Partei gewonnen.
Olmert, der neue Ministerpräsident, spricht jetzt auf einmal von Frieden
und einem palästinensischen Staat.
Aber er meint die Enklaven und Ghettos, in
die sie uns gesteckt haben, die dürfen wir dann seiner Meinung nach
Palästina nennen.
Das wird keinen Frieden bringen.
In Palästina gibt es jetzt eine
Hamasregierung. Man will ihr die Hilfen verweigern, wenn sie Israel
nicht anerkennt. Die Hamas sagt, die Israelis sollen zuerst die
Palästinenser anerkennen und die Besatzung beenden.
In der Realität heißt dieser neue Zustand,
dass die Palästinenser ausgehungert werden sollen.
Jerusalem ist bekannt
als der Ort, an dem Jesus die Völker und die Welt gelehrt hat, sich zu
lieben, zu respektieren, zu vergeben und sich zu versöhnen.
Jerusalem ist für uns heute unerreichbar
geworden. Grauer Beton trennt uns von dieser heiligen Stadt.
Doch die Osterbotschaft kennt keine Mauern
und keine Grenzen.
DAS LEBEN WIRD SIEGEN
Diese Botschaft der Hoffnung brauchen wir
nicht nur zum Leben, sondern zum Überleben.
Allen Freunden ein gesegnetes Osterfest.
Salam
Faten Mukarker
|
Liebe Freunde in der
Ferne
Wie lange kann man ohne
Nahrung oder wie lange kann man ohne Würde überleben?
Sieben Tage ohne Nahrung, ich
kann es mir kaum vorstellen, was
man dann für ein Gefühl hat,
ob es dann immer noch dieser beissende Hunger ist oder nur noch eine Leere
die man verspürt.
Es sind jetzt mehr als 7000
palästinensische Gefangene, die einen offenen Hungerstreik erklärt haben.
Ihre Forderungen für die
Verbesserung ihrer Lebenszustände wären in jedem anderen demokratischem
Land eine Selbstverständlichkeit.
Doch nicht in Israel, hier
werden die Palaestinser nicht als Menschen gesehen,
die eine Würde haben.
Man kann uns töten,
einsperren, foltern, unsere Häuser zerstören, unsere Olivenbäume
ausreißen, uns ohne Wasser lassen.
Ein israelischer Minister
meinte:
Auch wenn die Gefangenen sich
zu Tode hungern,
werden wir nicht nachgeben .
Ich frage mich
wie lange ein Mensch ohne
Nahrung UND ohne Würde wohl überleben kann?
Die Würde des Menschen ist
unantastbar,
heißt es bei den
Menschenrechten. Gehören wir nicht aus zu dieser Gattung Mensch,
oder warum schweigt die Welt?
Die Bilder aus dem Gefängnis
im Irak sind um die Welt gegangen. Sie haben Empörung und Entsetzen
ausgelöst. Hier ist man klüger – es gibt keine Bilder.
Salam
Faten Mukarker
|
Sent: Monday, August 09, 2004 12:16 PM
Subject: Aus den Augen aus dem Sinn oder die Rechnung
wird nicht aufgehen!!!
Liebe Freunde in der Ferne
Aus den Augen aus dem Sinn oder die
Rechnung wird nicht aufgehen
Man koennte auch an eine Kindertaktik
glauben, die Scharon entwickelt hat.
Er denkt, wenn er uns – die
Palaestinenser – hinter einer Mauer verschwinden laesst, also nicht mehr
sieht, dann gibt es uns nicht mehr.
Wenn ich an der Mauer in Bethlehem
stehe und an ihr hochschaue, verliere ich das
Gleichgewicht. Denn sie ist mehr als
acht Meter hoch.
Betonklotz an Betonklotz, sauber und
ordentlich aneinander gereiht.
Wisst ihr, was ihr angerichtet habt,
fange ich ein Selbstgespraech mit ihnen an.
Ihr habt geteilt, zerteilt und
enteignet...
Doch wir werden nicht aufgeben, an
Freiheit und unsere Wuerde zu glauben.
Ein Gedanke, der mich kurz streift
und erschaudern laesst.
Ob wohl meine Enkelkinder auch hier
stehen werden?
NEIN, schreie ich zurueck, Scharons
Rechnung wird nicht aufgehen!!!
Salam
Faten Mukarker
|
Von Deutschland nach Palästina oder ich möchte wie
ein Mensch behandelt werden
Bis vor etwa sechs Wochen war ich in Deutschland,
habe viele Menschen erreicht, Menschen, die mir aufmerksam zuhörten.
Ich spürte ihre Betroffenheit und manchmal sogar ihre Sprachlosigkeit
über das, was ich berichtete. Am Anfang habe ich mich darüber gewundert,
denn ich weiss, dass Palästina in den deutschen Medien fast jeden Tag
vorkommt, doch dann meinte ein Mann, es ist anders, wenn Sie es uns
persönlich berichten.
Von Stadt zu Stadt bin ich gereist.
Beinah hatte ich mich schon an diese Freiheit
gewöhnt.
Die Zeit war um, und es hieß die Heimreise antreten.
Über Frankfurt nach Amman, weil wir seit mehr als drei Jahren den
Flughafen in Tel Aviv nicht benutzen dürfen.
Der Grenzübergang an der Allenby-Bruecke über den
Jordan ist sehr beschwerlich und zeitaufwändig. Nach dem Wechsel in
mehrere Busse erreiche ich dann endlich Jericho, doch es geht nicht mehr
wie früher über Jerusalem nach Bethlehem, sondern wegen der Abriegelung
über einen Umweg durch die judaeische Wüste. Plötzlich bleibt der
Taxifahrer stehen, eine lange Autoschlange ist vor uns. Die letzte
Hürde, der letzte Checkpoint. Die Zeit vergeht. Nach einer Stunde haben
wir uns immer noch nicht einen Zentimeter nach vorne bewegt. Im Auto ist
eine Hitze wie in einer Sauna. Das Baby auf dem Schoss seiner Mutter
scheint wie Butter zu schmelzen.
Nach zwei Stunden haben meine Geduld und meine
Nerven einen Tiefpunkt erreicht. Doch dann geht es weiter, einige Meter,
und wieder bleiben wir stehen.
Wieder eineinhalb Stunden - meine Wut im Bauch wird
immer groesser. Was wollen sie von uns, frage ich mich, stehen wir etwa
vor den Toren von Tel Aviv, nein, vor mir liegt Bethlehem, wo nur
Palästinenser leben.
Endlich, nach dreieinhalb Stunden, kommt unser Auto
bis zum Checkpoint. Ich halte meinen Ausweis schon bereit in meiner
Hand. Doch die Soldaten drehen sich um, sie lachen und unterhalten
sich. Der Taxifahrer sagt mir, dass sie jede Stunde drei Autos
durchwinken und sich dann einfach umdrehen, damit sie nicht die Menschen
sehen, die in der brodelnden Hitze im Auto sitzen. Bitte, schrei ich
ihnen zu, seht wenigstens die Ausweise, damit ich mich wie ein Mensch
behandelt fühle.
Salam
|
Sent: Saturday, September 20, 2003
2:03 AM
Subject: Ein Telefongespraech oder nothing to lose
Faten Mukarker
Ein Telefongespräch oder
nothing to lose
Liebe Freunde in der Ferne
Ein bekannter israelischer
Friedensaktivist wird 80 Jahre alt.
Ich als Palaestinenserin habe
grossen Respekt vor ihm.
Er hat praktisch sein Leben
lang für den Frieden zwischen seinem Volk und meinem Volk gekämpft. Ich
würde ihm und mir auch wünschen, dass die Zeit kommt wo er auch Ernten
kann, was er in all den Jahren gesät hat.
Ich möchte ihm zum Geburtstag
alles Gute wünschen. Ich möchte es nicht nur durch eine Mail, sondern ich
möchte ihm persönlich am Telefon gratulieren und ihm sagen, dass wenn es
noch einige in Israel gäbe, die so denken wie er, sähe es in diesem Land
bestimmt anders aus.
Ich rufe die Auskunft an, um
seine Telefonnummer zu erfahren.
Doch die Nummer die ich dann
anrufe war nicht die richtige sondern nur eine Namensverwandtschaft. Ich
entschuldige mich. Sie sagt, kein Problem, ich wäre schon heute die Nr.
20, die hier anruft. Da ich seit nun fast drei Jahren kaum mehr
Gelegenheit habe mit Israelis zu sprechen, wollte ich mich etwas mit ihr
unterhalten.
Ich fragte, ob die Gleichheit
der Namen auch mit der gleichen Gesinnung verbunden ist, denn ich müsste
vorher wissen wie sie denkt. Sie meinte nicht ganz. Besser als wenn sie
mit Nein geantwortet hätte, dachte ich, und sagte ihr so nebenbei, dass
ich Palästinenserin bin.
Und so kamen wir ins Gespräch:
Hast Du Kinder?
Ja, mein Sohn ist beim Militär.
Dann möchte ich Dich etwas
fragen.
Weißt Du, wenn mein Sohn in
Gefahr ist, dann kann ich nicht einschlafen und wenn mein Sohn auf
Menschen schießt. Auf Zivilisten, auf Frauen und Kinder, dann kann ich
auch nicht schlafen.
Dann wie schläfst du ein?
Stell Dir vor, er kommt nach
Hause und sagt Dir: heute habe ich ein palästinensisches Kind erschossen.
Was wirst du tun. Ihm auf die Schulter klopfen oder entsetzt sein.
Natürlich wird mich das nicht
freuen, war ihre Antwort, doch wenn er einen Befehl von seinem
Commandanten hat, was kann er dagegen tun. Das war dann ein Befehl.
Aber, sagte ich, hättet ihr
euch nicht in euer Geschichte gewünscht, das Soldaten Nein gesagt hätten
und nicht nachher reuevoll von “Befehl” sprachen.
Vergiss nicht den Terror den
ihr verbreitet, antwortete sie mir.
Du meinst die
Selbstmordanschläge, erwiderte ich. Glaub mir, ich bin gegen sie, denn
immer treffen sie Unschuldige, doch kannst du sie nicht separrat von dem
sehen , was dein Militär bei uns macht. Und ich denke, wenn ein Soldat
eine F-16 Tonnenschwere Bombe auf ein Haus fallen lässt, wobei viele
Unschuldige sterben, und es damit gerechtfertigt wird, dass ein
Intifadaaktivist in dem Haus ist, dann weiß ich nicht, wie ich das nennen
soll. Das ist dann kein Terror??.
Ich denke beides ist Gewalt und
das Blutvergießen sollte aufhören.
Doch meine wichtigste Frage ,
wie denkt ihr, oder anders wo ist die Logik bei eurem Denken. Glaubt ihr
wirklich, ihr könntet gemütlich in euren Restaurants sitzen, eure Feste
feiern, sicher auf euren Strassen sein. Und nebenbei drei Millionen
unterdrücken, aushungern und demütigen.
Was denkt ihr, wo sollen wir
hin, wir können uns nicht in Luft auflösen.
Wir haben auch keinen anderen
Platz, erwiderte sie.
Dann sind wir uns ja einig,
meinte ich. Wir beide haben nur dieses Stück Land, dann lasst uns
friedlich hier zusammen leben.
Es wäre so einfach “Leben und
Leben lassen”.
Doch sofort kam ihr Einwand,
wer garantiert uns, dass, wenn wir euch die Westbank wiedergeben, dass
dann die Gewalt aufhört.
Sie wollte eine Garantie, ich
sagte ihr nicht mal, Gott gibt eine 100%ige Garantie.
Schau sagte ich, ihr seit sechs
Millionen, wir sind, die hier leben drei Millionen. Für all diese
Millionen lohnt sich ein Versuch.
Da wo wir heute stehen, wie
schnell können wir da wieder sein.
Ihr seit so stark an Waffen und
an Militär, das ihr in einigen Stunden die Westbank wieder besetzen könnt.
Also, was haben wir zu
verlieren. Nothing to lose.
Salam Faten Mukarker
|
|