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Blau und weiß: wo Uri Avnery nicht recht hat

Michael Warschawski, Alternatives Informationszentrum (AIC), 31.8.10

http://www.alternativenews.org/english/index.php/blogs/michael-warschawski/2838-b…

 

Schon einmal hat Uri Avnery seinen Blog dazu benützt, die Boykott-, Divestment- und Sanktionen-Kampagne gegen Israel zu kritisieren. Unter dem Titel „Rot und Grün“ kommentiert Avnery das lange und interessante Programm, das kürzlich im israelischen Fernsehkanal 10  über die zunehmende internationale Isolierung Israels ausgestrahlt wurde..

Avnery der  erfahrene Journalist und Aktivist wiederholte sein Hauptargument gegen die „Boykott Israel“-Kampagne und die Notwendigkeit, sich bei Boykott nur auf die Siedler- und Siedlungsprodukte zu konzentrieren. Ich habe mich schon einmal  bei einer ähnlichen Kritik Avnerys geäußert, aber die wohl-verdiente Autorität Uri Avnerys innerhalb der internationalen Solidaritätsbewegung erfordert eine Debatte über das, was ich als seine  (tatsächlich sehr wenigen) irrtümlichen Ansichten betrachte. „Tatsächlich sei gar keine weltweite Organisation nötig, weil überall  spontane pro-palästinensische und anti-israelische Gefühle auftauchen. Nach der „Cast-Lead“-Operation und der Flotilla-Affäre, habe sich der Prozess beschleunigt,“ fasst Avnery zusammen.

 

Nach dieser Zusammenfassung konzentriert sich Uris Blog auf eine Kritik der Boykott-Israel –Kampagne. Sein Hauptargument ist, dass die Kampagne nicht  zwischen Israel und den besetzten Gebieten (OPT) unterscheidet. Während die OPT total frei von israelischer Kontrolle und Herrschaft sein sollten, sind die Gebiete westlich der „grünen Linie“ „natürlich“ israelisch, genau wie Manchester britisch und Hannover deutsch ist. Da sollte es keine Infragestellung dieser Realität geben, wie Uri einmal sagte. Er wäre der erste, der Israel vor solch einer Infragestellung verteidigen würde. Für Avnery ist die koloniale Natur des Staates Israel  innerhalb der Grenzen von 1948 obsolet.

 

Konfrontiert mit dem kolonialen Verhalten und  der fortgesetzten Dynamik des Staates Israel hinterfragen immer mehr Leute Avnerys Einstellung und haben Schwierigkeiten zu glauben, dass das koloniale Verhalten aller israelischen Regierungen seit 1967 nur eine lange Reihe von Fehlern sind - dank ernsthafter Blindheit. Im Gegensatz zu meinem Freund Uri denke ich nicht, dass unser Problem die rot- grüne Allianz ist, sondern  eindeutig das „blau und weiße“ Wesen Israels und sein struktureller Kolonialismus.

Gegen Ende seines Artikels schreibt Uri Avnery: „All dies wird möglich, wenn  es einen Aufruf zu einem Boykott aller Israelis gibt.“  Dies ist ein Irrtum, aber kein zufälliger: die BDS-Kampagne hat sich niemals gegen  Individuen gerichtet, sondern gegen Produkte und Institutionen. Der Irrtum jedoch reflektiert  eine grundsätzliche Unklarheit bei Avnery ( und anderen)  zwischen dem Staat, seinen Taten und seiner Bevölkerung.  Für Avnery sind der Staat und die Bevölkerung mehr oder wenige dasselbe; der Staat ist die kollektive Organisation der Bürgergemeinschaft, und wenn der Staat angegriffen wird ( und gar seine Legitimität geleugnet wird) ist dies synonym mit einem Angriff auf seine Bevölkerung und der Verweigerung seines Existenzrechtes als Kollektiv.

 

In Wirklichkeit ist der Staat jedoch eine Anhäufung von Handlungen und Institutionen. Der Staat und die zivile Gesellschaft ( seine organisierte Bevölkerung) sind zwei verschiedene Entitäten, oft einander feindselig gesonnen. Israel ist  in seinem  Modus Operandi, den Institutionen und seiner Geschichte ein kolonialer Staat, wie Südafrika ein Apartheid-Staat und die USA vor der Bürgerrechtsbewegung ein Staat, der die Rassentrennung befürwortete.

 

Uri Avnery weist zu Recht darauf hin, dass die BDS-Kampagne auf den kolonialen/Apartheidstaat Israel hinzielt, nicht nur auf die Siedlungen und ihre Produkte. BDS ruft zu einer dreifachen Revolution auf: Schluss mit der israelischen Besatzung der Westbank, des Gazastreifens, Ostjerusalems und den syrischen Golanhöhen, dem Sicherstellen der vollen individuellen und kollektiven Gleichheit ( der Araber) im Israel von vor 1967 und der Realisierung des Rückkehrrechtes für die palästinensischen Flüchtlinge. Nur die Erfüllung dieser drei Forderungen können  Israel zu einem zivilisierten Staat machen,  akzeptabel in der Gemeinschaft demokratischer Nationen. Bis dahin  wird Israel ( der wirkliche Staat Israel, nicht ein ahistorisches, abstraktes Konzept)  für alle Staaten, die zusammen die grundlegenden Menschenrechte und die Demokratie verteidigen, ein Pariastaat bleiben, der so boykottiert werden sollte wie der Apartheid Südafrika, das faschistische Spanien oder Griechenland während der Militärdiktatur.

 

Was die israelische Bevölkerung betrifft, die wir beide, Avnery und ich, gerne an der Frontlinie des Kampfes für einen gerechten Frieden in dieser Region  sehen würden, da lehrt uns die moderne Geschichte, dass nur die Effizienz des anti-kolonialen Kampfes und der höher werdende Preis – in Blut, Geld, internationaler Isolierung und interner Degeneration – für anhaltenden Kolonialismus bezahlt werden muss, um letzten Endes einen Wandel zu bringen. Bis dahin werden wir eine winzige Minderheit von Visionären bleiben und unsere wichtigen Stimmen  – wichtig, weil sie mitten aus dem Bauch des Biestes kommen – zu der wachsenden  internationalen Forderung nach Gerechtigkeit für das palästinensische Volk hinzufügen.

 

Im Gegensatz zu Uri Avnerys Behauptung, die Solidaritätsbewegung mit Palästina sollte nicht die israelischen Aktivisten unterstützen, sondern anders herum: die israelischen Aktivisten sollten die weltweite Kampagne unterstützen, die den israelischen Apartheidstaat isoliert, um der Rechte des palästinensischen Volkes willen wie auch um einer lebensfähigen Zukunft unserer Enkel willen. 

 

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

 

 

 

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