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Entschuldigung
in Kafr Qasem
Von Tom Segev
Am 29. Oktober 1956 kurz nach 17 Uhr
waren einige Dutzend Bewohner von Kafr Qassem ( 20km östlich Tel
Aviv, nah an der Grünen Linie) von ihrer Arbeit nach Hause gekommen
und wussten nicht, dass eine Ausgangssperre erklärt worden war, weil
der Sinaifeldzug begonnen hatte. Die Grenzpolizei stellte sie in
eine Reihe und erschoss sie alle: 47 Leute, Araber, Bürger Israels.
Das für sie errichtete Denkmal, erinnert auch an den alten Mann, der
einen Schlaganfall bekam, als er davon informiert worden war, dass
sein Sohn unter den Getöteten war, auch an das Ungeborene, dass im
Leib einer der ermordeten Frauen war. Es waren auch Leute verwundet
worden. Das Morden hatte mit einem Plan zu tun, die Bewohner des
Dorfes nach Jordanien zu vertreiben. ( Die ethnische Säuberung nach
Plan Dalet 1948 sollte weitergehen die Übers.)
Zunächst versuchten die Behörden, diese Nachrichten durch den
Militärzensor zu verschweigen. Shimon Peres, der jetzige
Ministerpräsident Israels war damals der Chef des
Verteidigungsministeriums. Nur etwa ein halbes Dutzend Überlebende
des Massakers leben heute noch. Die meisten der 18 000 Bewohner des
Dorfes sind danach geboren worden, etwa 15% haben Verwandte unter
den Opfern . Sie leben mit dem Erbe des Massakers - es ist ein
Schlüsselelement ihrer Identität.
Letzte Woche ging Präsident Peres nach Kafr Qassem. Sein Büro sagte,
es sei, um den Al-Id-Feiertag zu ehren. Sorgfältig wählte er seine
Worte zu dem Massaker aus. Als Teil eines Statements, das den
Frieden preist, sagte er:" Ich habe Kafr Qassem ausgewählt, wo in
der Vergangenheit ein sehr schwerer Zwischenfall passiert ist, den
wir sehr bedauern - doch heute gibt es praktisch Zusammenarbeit und
ein Leben in Frieden zwischen Juden und Arabern." Der Bürgermeister
von Kafr Qassem Sami Issa deutete diese Worte als Entschuldigung.
"Wir bedauern" und "Wir entschuldigen uns" ist dasselbe" sagte er.
Nachdem er mit lokalen Führern gesprochen hatte, gebrauchte Peres
auch das Wort "Entschuldigung" - nach der Sprecherin des
Präsidenten. Peres ist der erste im Amt befindliche Präsident, der
sich für das Massaker entschuldigt.
Feierliche Entschuldigungen für historische Ungerechtigkeit und
Gesten nationaler Versöhnung sind heute ein überall ziemlich
normales Phänomen geworden von Südafrika bis Argentinien. Um dies
richtig einzuschätzen, müssen wir sie allerdings auf ihre
Ernsthaftigkeit und wirkliche Anerkennung der Verantwortung
überprüfen. Wir müssen auch nachprüfen, in wie weit Lektionen
gelernt wurden, die die Politik vor Ort gestaltete. Der israelische
Fall ist nicht eindeutig.
Das Kafr Qasem-Massaker schockierte das ganze Land und ließ eine
öffentliche Debatte über grundsätzliche Fragen der Moral und
Demokratie entstehen. Zwölf Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges fand
diese Diskussion auf dem Hintergrund des Holocaust statt. Die Mörder
wurden vor ein öffentliches Gericht gestellt. Benjamin Halevi, der
später einer der Richter bei Adolf Eichmanns Gerichtsverhandlung
war, fragte einen der Angeklagten, ob er auch einen Nazi-Soldaten
rechtfertigen würde, der nur Befehle ausgeführt hat. Der
Gerichtsprozess führte dahin, dass es die Verpflichtung eines jeden
IDF-Soldaten werden sollte, einem "offensichtlich illegalen" Befehl
den Gehorsam zu verweigern wie z.B. Zivilisten zu morden.
Die Mörder wurden jedoch nicht lange, nachdem sie für schuldig
erklärt und zu Gefängnisstrafe verurteilt worden waren, wieder
entlassen und ein paar Jahre später wurde die militärische Maßnahme
widerrufen. Die IDF tun nicht genug, ihre Soldaten dazu zu
verpflichten, "offensichtlich illegalen" Befehlen den Gehorsam zu
verweigern. Sie handeln absichtlich gegen gewissenhafte Einwände.
In den Jahrzehnten seit dem Massaker in Kafr Qassem haben IDF
-Soldaten Tausende von unschuldigen Palästinensern getötet, den
größten Teil im Gazastreifen und in der Westbank. Von Zeit zu Zeit
wurden auch arabische Demonstranten, Bürger Israels, getötet. Bis
zum heutigen Tag sind die Araber Israels keine Bürger mit den
gleichen Rechten. Israel besteht darauf, dass es kein Staat aller
seiner Bürger sein will, sondern eher ein "jüdischer und
demokratischer" Staat. Regierungsvertreter nehmen nicht an den
jährlichen Gedenkfeiern des Kafr-Qassem-Massakers teil, aber die
Entschuldigung des Präsidenten - in diesen Tagen - wird
wahrscheinlich eines Tages als erster Schritt zu einer historischen
Versöhnungserklärung zwischen Juden und Palästinensern angesehen
werden.
Für die meisten Israelis ist es schwierig, ihre historische
Verantwortung für die Schaffung des palästinensischen
Flüchtlingsproblems zu übernehmen. Die zionistische Vision gründet
sich u.a. auf der Voraussetzung, dass ihre Erfüllung niemandem
Ungerechtigkeit antun muss: wenn die Araber nur ihre
nationalistischen Wünsche aufgeben und unserm Traum zustimmen
würden, dann würde dies für jeden gut sein, auch für sie.
Diese historische Fiktion ist sehr schädlich, weil so lange wie wir
davon überzeugt sind, dass wir keine Verantwortung für die Schaffung
des Flüchtlingsproblems haben, wir auch keinen Grund haben, zu
versuchen, die Ungerechtigkeit zu korrigieren. Das ist der Sinn der
Anerkennung unserer Verantwortung. Wenn der Tag kommen wird, die
historische Erklärung zur Versöhnung zu veröffentlichen, wird es
auch möglich sein, sich an die Entschuldigung von Peres zu erinnern.
Die wichtigste Lektion daraus ist: Es schmerzt nicht, um Vergebung
zu bitten.
(dt. Ellen Rohlfs : am 29.Oktober 1992 nahm ich an der Gedenkfeier
in Kafr Kassem mit einigen Leuten aus dem israelischen Friedenslager
als einzige Ausländerin teil)
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