Warum ist Carter
„für Juden gut“
ein Brief an meinen Bruder, der
mich fragte, was ich dazu denke. Deb Reich
Lieber Jon!
Jede mögliche Ungenauigkeit in Carters Buch, das ich übrigens
noch nicht gelesen habe, verblasst neben seinem großen
Verdienst, den er für Juden ( egal wo) getan hat, trotz der
Beschimpfungen, mit denen die üblichen jüdischen Organisationen
ihn überhäuft haben - indem er in den USA eine Debatte ausgelöst
hat, und es (endlich) irgendwie anständig ist, sich ehrlich
mit dem zu befassen, was in Israel-Palästina geschieht. Dies ist
nicht mehr der „Exodus“-Film, Leute – wie es immer war. …(Die
ursprünglichen Amerikaner werden auch sagen, dass die
Wildwestfilme nichts mit der Gegenwart zu tun haben oder so
ähnlich –sie nennt Filme, die bei uns nicht bekannt sind ER….).
In den nächsten Jahren werden wir Juden uns schrecklich
schämen, wie werden klein beigeben und es wird uns sehr
peinlich sein . Wir werden sehr bedauern, dass wir die
Realität über Palästina so lange nicht wissen wollten – weder
die von heute noch die der Vergangenheit. Es geht jetzt aber
nicht um Motive und Absichten, nicht um Vergangenes oder
Gegenwärtiges - es geht um die schrecklichen Auswirkungen in
der Gegenwart heute. Wir weigern uns eigensinnig, das zu sehen,
was in unserm Namen geschieht. Komm und sieh dir die Mauer an,
ein paar der Kontrollpunkte usw. und sieh selbst. Ich kann für
dich eine Fahrt in die Realität mit Reiseleiter vorbereiten.
Rede nicht davon, dass „Palästinenser so und so sind …“ bis du
einige Palästinenser persönlich getroffen hast. Sie werden deine
Stereotypen auf immer beiseite wischen. Sie sind Leute genau
wie wir. Kein bisschen anders. Ja, ihre törichten Führer sind
genau so töricht wie die unsrigen.
Die obersten Prioritäten liegen jetzt nicht bei den Ursachen
der Gründung des Staates Israel, auch nicht bei Zahlen um den
Holocaust oder irgend eine Politik, die Israel in der
Vergangenheit verfolgt hat. All das ist im Augenblick
nebensächlich. Das Wichtigste ist jetzt, dem schleichenden
Völkermord, der im Augenblick auf der Westbank und im
Gazastreifen stattfindet, Einhalt zu gebieten. Der dann
schließlich (von Palästinensern) gesäuberte Staat, den die
israelische Armee und alle Regierungen Israels gerade für uns
bereiten, wird ein Gräuel für jeden sittlich denkenden, normalen
Menschen sein, aber dann könnte es zu spät sein. Eines ist
sicher: ein „jüdischer Staat“ wird es nicht sein . Im Judentum
ist es verboten: „Du hast getötet und das Erbe geraubt.“ ( 1.
Kön. 21.20) Geh, frag den Geist Rabins!
Die Leute fragen mich, warum ich nicht über die schlimmen
Dinge rede, die (einige) Palästinenser tun. Meine Antwort
lautet, dass es nicht mein Job ist, vor den Türen der andern zu
kehren, sondern was bei uns in unserm Namen geschieht und was
mit meinen Steuergeldern geschieht. Leute wie mich gibt es auf
der andern Seite und sie kämpfen heroisch nach ihrer eigenen
Agende, um ihre eigene Gesellschaft aufzubauen – und sie
verdienen internationale Anerkennung - erhalten sie aber nicht.
Unter vernünftigen Leuten hier gibt es keine
Auseinandersetzungen mehr darüber, dass täglich, ja stündlich
Gräueltaten von der israelischen Armee gegenüber unschuldigen
palästinensischen Zivilisten begangen werden. Jeder in Israel
weiß es, obwohl keiner eine Ahnung hat, was man dagegen tun
kann. Die Leute geben es zu, sogar Taxifahrer und andere
„Weise“, obwohl die gewöhnlich zum rechten Flügel gehören. Die
Cheneys, Rumfelds und Wolfowitzes Israels, die über die Armee
und die „Zivilverwaltung“ in der Westbank bestimmen, sind außer
Kontrolle. Der harte Kern der Siedler (lies: die widerliche
Bande) ist auch außer Kontrolle. Die Grenzpolizei ist außer
Kontrolle. Einheiten der Grenzpolizei jagen und schießen auf
Kinder – einfach so aus Spaß. Ist das nicht anormal? Ich denke
mir das nicht aus. Es steht in den Zeitungen. Jeder kann es
lesen.
Carter jedoch ist für mich ein Held, dass er dies ausgesprochen
hat, und wir sollten auf ihn hören. Ich hoffe wirklich (auch um
seinetwillen), dass er kein Antisemit ist oder anti-israelisch.
Aber selbst wenn er es wäre, dann wäre das nicht ungültig, was
er zu tun versucht hat: nämlich uns die Augen zu öffnen, dass
wir durch die geheiligten Mythen , mit denen Israel sich umgibt,
hindurchschauen und sehen, was Israel wirklich tut. Ob er uns
liebt oder nicht ,anscheinend versucht er, uns vor uns selbst zu
retten. Wir sollten ihm die Hand reichen.
Ich hoffe, dass ich deine Fragen beantwortet habe. Debora
PS: mein neuer Slogan: ich bin keine selbst-hassende Jüdin,
sondern ein selbstliebender Mensch.
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