Der Abzug (aus dem
Gazastreifen) als Nebelvorhang
Jonathan Pollack*, 11.7. 05, Haaretz
Genau vor einem
Jahr entschied der Internationale Gerichtshof in Den Haag , dass der
Zaun, den Israel in den besetzten Gebieten baut, illegal ist. Doch
braucht man kaum zu erwähnen, dass der Bau davon nur minimal
betroffen wurde. Während der letzten beiden Jahre haben wir –
Israelis, Palästinenser und internationale Aktivisten - einen
gemeinsamen, allgemeinen und gewaltfreien Kampf gegen etwas geführt,
das uns als die wichtigste Maßnahme mit zerstörerischen Folgen
erscheint, die es in der Besatzungsgeschichte der besetzten Gebiete
gibt.
Vom ersten
Augenblick an fand Israel kein Mittel, das widerlicher wäre. Es
reagierte aggressiv, um diesen Kampf einfacher Leute, die ihr Land
und ihren Lebensunterhalt verlieren, zu zermalmen. Natürlich waren
es die Palästinenser unter uns, die den höchsten Preis gezahlt
haben: 9 wurden getötet, viele sind verwundet worden und viele
wurden verhaftet und kamen ins Gefängnis. Es scheint, dass allein
die Tatsache, dass wir einen zivilen Kampf gewählt haben und dass
bei unserm Protest Waffen keine Rolle gespielt haben, keinerlei
Einfluss auf die IDF und die Regierung hatte. Sie erklärten immer
wieder, dass alle unsere Demonstrationen illegal seien und sie nur
entsprechend reagiert hätten. Dass tatsächlich ihre Aktivitäten von
der höchsten legalen Behörde als illegal definiert wurden, hatte
nicht den geringsten Einfluss auf ihr Verhalten.
Nach vier Monate
langem Kampf im Dorf Bilin bin ich wieder dabei, vor einer dicken
Wolke von stinkendem Rauch zu fliehen, während Gummi ummantelte
Kugeln mir um die Ohren sausen. Es ist das übliche Muster, das sich
immer wieder wiederholt. Die israelische Politik wird einseitig von
Armee und Regierung bestimmt und zerstört Leben. Jeder Versuch zu
protestieren und gewaltfrei Widerstand zu leisten, wird mit harter
Hand unterdrückt. Abgesehen von der moralischen Boshaftigkeit
dieses Verhaltens, die ( bilaterale) Gespräche und zivilen
Widerstand unmöglich machen, trägt Israel so selbst zur Eskalation
der Feindseligkeit bei.
Kürzlich kam aus
der Richtung der Soldaten eine neue innere Einstellung. Ein Geist
der Versöhnung, der Geist des Abzuges, wurde uns gesagt.(Es ist
unklar, was der Schreiber im Zusammenhang mit Folgendem meint.
Übers.) Unter dem Deckmantel des Abzuges und mit ständiger
amerikanischer Unterstützung residiert Ministerpräsident Ariel
Sharon über der Besatzung der Westbank. Es scheint, Sharon weiß,
dass er Gush Kativ auf dem Altar des Abzugs opfern muss, um die
Westbank zu gewinnen . Er weiß auch, dass mit dem Rückzug aus dem
Gazastreifen der internationale Druck für einen Fortschritt im
Friedensprozess wiederkommt und das jüdische Siedlungsprojekt in der
Westbank – sein Lebenswerk – erneuert werden kann.
Unter dem
Deckmantel des Abzugplanes läuft der Zaun weit jenseits der
anerkannten Grenzen des Staates Israel weiter voran und schneidet
die Westbank in Kantone. Viele Wohneinheiten werden im Augenblick
weit entfernt von der Grünen Linie ( der Grenze vor dem 6-Tagekrieg)
gebaut . Das meiste Bauen geschieht zwischen dem Zaun und der
Grünen Linie als Teil eines Versuches, diese 1967er-Grenze zum
Verschwinden zu bringen und um mehr Land zu annektieren.
Apartheidstraßen – einige nur für Juden, und einige nur für
Palästinenser - werden auch weitergebaut. Das Rechtssystem mit den
Gesetzen der Besatzer gibt weiter nur Lippendienste, indem es
minimale Veränderungen an Orten anordnet, wo eine Veränderung von
Grund auf nötig wäre.
Und nun, nachdem
der Gerichtshof alle Interimorder, die den Bau des Trennungszaunes
verzögerten, gestrichen hat, hat es Sharon sehr eilig, den Bau
schnell fertig zu bekommen. (Haaretz 6.7.)
Vor einem Jahr
glaubte ich, dass die Verfügung des Internationalen Gerichtshofes
in Den Haag ein großer Erfolg gewesen sei – ein größerer Schritt auf
dem langen Weg zur Beendigung der Besatzung und dem rassistischen
israelischen Regime. Ich denke noch immer so, aber zu meinem
Bedauern wird dieser Schritt, solange die internationale
Gemeinschaft nicht als Ganzes und die USA insbesondere wirklichen
Druck ausüben, um die Besatzung zu beenden und den allgemeinen Kampf
dagegen, unterstützen , nur ein symbolischer Schritt sein. (Wenn es
im Interesse der USA liegt, wie im Libanon, dann tun sie dies.)
Jeder, der sich von den Sicherheitsargumenten - den Zaun betreffend
- hat blenden lassen und von den falschen Friedensversprechungen –
im Zusammenhang mit dem Abzug – wird zu spät entdecken, dass es
mit ihnen weder Frieden noch Sicherheit geben wird .
Dies sind
entscheidende Tage, und es bleibt nur mehr wenig Zeit. Nur die
Israelis haben die Macht, die Antisemitismus-Schreie
niederzuschlagen, die überall in der Welt zu hören sind, wenn Leute
Israel und seine Politik in den besetzten Gebieten zu kritisieren
wagen. Sie haben nicht nur die Macht dazu, sondern auch die
moralische Verpflichtung.
*Der Schreiber ist ein Aktivist bei
den „Anarchisten gegen den Zaun“ und wirkt mit ISM zusammen
(dt. Ellen
Rohlfs)
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