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Die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ wünscht keine Gesellschaft.
  Ägyptens Revolution und Israel: „schlecht für die Juden“
 
Ilan Pappe,14.2. 11
(dt. Ellen Rohlfs)
 


Wenn die Tunesier und Ägypter mit ihren Revolutionen Erfolg haben, ist das nach Ansicht Israels nicht gut, sondern sehr schlecht.  Gebildete Araber  sind schlecht für Israel. Sie  sind keineswegs alle als „Islamisten“ gekleidet, und ziemlich viele von ihnen sprechen perfekt Englisch. Ihr Wunsch nach Demokratie wird ohne anti-westliche Rhetorik artikuliert.
 
Arabische Armeen, die nicht auf diese Demonstranten schießen, sind genau so schlecht wie die vielen anderen Bilder, die so viele Menschen in aller Welt bewegten und  begeisterten, sogar im Westen. Diese weltweite Reaktion ist auch schlecht, sehr schlecht. Das lässt die israelische Besatzung in der Westbank und im Gazastreifen und seine Apartheidpolitik innerhalb des Staates  wie Taten eines typisch „arabischen Regimes“ aussehen.
 
Eine Zeit lang konnte man nicht sagen, was das offizielle Israel dachte. In seiner ersten  vernünftigen  Botschaft an seine Kollegen bat Ministerpräsident B. Netanyahu seine Minister, Generäle und Politiker, die Ereignisse in Ägypten nicht öffentlich zu kommentieren. Einen Augenblick lang dachte man, Israel habe sich aus einem nachbarlichen Schlägertyp zu dem verwandelt, das es schon  immer war: ein Besucher oder ein „permanenter Bewohner“.
 
Es scheint, dass Netanyahu  wegen der unglücklichen Bemerkungen  zur Situation besonders verlegen war, die General Aviv Kochavi ( Chef des militärischen Geheimdienstes) öffentlich dazu äußerte. Dieser israelische Spitzenexperte arabischer Angelegenheiten stellte zuversichtlich vor zwei Wochen in der Knesset fest, dass das Mubarak-Regime fest im Sattel sitze und  auf Dauer stabil sei. Aber Netanyahu konnte seinen Mund nicht lange halten. Und als der Boss redete, folgten alle anderen. Ihre Antworten ließen die Kommentatoren von Fox News aussehen wie Peaceniks und Hippies der 60er-Jahre.
 
Das israelischen Narrativ kann auf einen ganz einfachen Punkt gebracht werden: Es geht hier um eine Art  iranische Revolution,  bei der Al-Jazeera nachgeholfen hat, und dummerweise wurde sie vom US-Präsidenten  Barack Obama genehmigt, dem neuen Jimmy Carter, und einer verblüfften Welt. Die früheren israelischen Botschafter in Ägypten  waren die Vorreiter dieser israelischen Interpretation. Während sie in einer Kairoer Hochhauswohnung eingesperrt waren, brachen all ihre Frustrationen wie ein unaufhaltbarer Vulkan aus. Ihre Tirade könnte mit den Worten  von einem von ihnen, Zvi Mazael, zusammengefasst werden: er sagte im israelischen TV-Kanal 1 am 28. Januar: „Dies ist sehr schlecht für die Juden, sehr schlecht.“
 
In Israel meint man natürlich  Israelis, wenn man „schlecht für die Juden“ sagt, aber man meint auch, was schlecht für Israel sei, sei auch schlecht für alle Juden weltweit ( obwohl  seit der Gründung des Staates genau das Gegenteil der Fall ist).
 
Aber was wirklich schlecht für Israel ist, ist der Vergleich. Egal wie das alles endet, es stellt den Irrtum und die Heuchelei Israels wie nie zuvor bloß. Ägypten  machte die Erfahrung einer friedlichen Intifada mit tödlicher Gewalt von Seiten des Regimes. Die Armee schoss nicht auf die Demonstranten. Und der Innenminister, der noch vor dem Abgang Mubaraks und nach sieben Tagen des Protestes seine Schlägertypen gegen die Demonstranten schickte, ist entlassen worden und wird wahrscheinlich vor Gericht gebracht.
 
Ja, dies wurde getan, um Zeit zu gewinnen und  zu versuchen, die Demonstranten davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen. Aber selbst diese Szene – inzwischen vergessen – könnte so nie in Israel passieren. Israel ist ein Ort, wo alle Generäle, die je das Schießen auf Palästinenser und jüdische Demonstranten gegen die Besatzung  befohlen haben, jetzt um den höchsten Posten als Generalstabschef wetteifern.
 
Einer von ihnen ist Yair Naveh, der 2008 den Befehl gab, palästinensische Verdächtige zu erschießen, selbst dann wenn man sie gewaltfrei verhaften könne. Er kam deshalb nicht ins Gefängnis. Aber Anat Kamm, die junge Frau, die diese Befehle  durch  Haaretz an die Öffentlichkeit brachte, soll nun neun Jahre hinter Gitter. Nicht ein einziger israelischer General oder Politiker hat nur einen Tag im Gefängnis  verbracht, weil er Soldaten den Befehl gegeben hat, auf unbewaffnete Demonstranten, unschuldige Zivilisten, Frauen, alte Männer und Kinder zu schießen. Das Licht, das von  Ägypten und Tunesien ausgeht, ist so stark, dass es auch  die dunkleren Ecken der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ erhellt.
 
Gewaltfreie, demokratische (religiöse oder nicht religiöse) Araber sind schlecht für Israel. Aber vielleicht gibt es ja schon immer solche Araber, nicht nur in Ägypten, sondern auch in Palästina. Die beharrliche Behauptung israelischer Kommentatoren, dass der wichtigste Punkt – der israelische Friedensvertrag mit Ägypten - nun auf dem Spiel stehe, ist eine Ablenkung und ist irrelevant für den mächtigen Impuls, der die gesamte  arabische Welt erschüttert.
 
Die Friedensverträge mit Israel sind Symptome moralischer Korruption - nicht das Übel selbst. Deshalb ist der syrische Präsident Bashar Assad – zweifellos ein anti-israelischer Führer – nicht immun gegen diese Welle der Veränderung. Was hier auf dem Spiel steht, ist der Anspruch Israel sei eine stabile, zivilisierte, westliche Insel inmitten einem rauen Meer islamischer Barbarei und arabischem Fanatismus. Die „Gefahr“ für Israel ist, dass die Kartographie dieselbe bleibt, aber die Geographie sich ändert. Es würde weiter eine Insel bleiben, aber eine der Barbarei und des Fanatismus’, in einem Meer von  neu gebildeten egalitären und demokratischen Staaten.
 
In den Augen großer Teile der westlichen, zivilen Gesellschaft ist das demokratische Image Israels schon vor langer Zeit verschwunden; aber es mag jetzt auch in den Augen derjenigen, die an der Macht sind und in der Politik das Sagen haben, trüber werden. Wie wichtig ist das alte, positive Bild Israels zur Aufrechterhaltung seiner speziellen Beziehungen mit den USA? Nur die Zukunft wird das zeigen.

Aber auf die eine oder andere Weise wird der Schrei, der von Kairos Tahrir-Platz ausgeht, eine  Warnung sein, dass die falsche Mythologien von der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“, hardcore christlicher Fundamentalismus (weit unheimlicher und korrupter als jener der Muslim-Bruderschaft), der zynische Profit der Militärindustrie, der Neo-Konservatismus und  der brutale Lobbyismus die Aufrechterhaltung der besonderen Beziehungen zwischen Israel und den USA nicht ewig garantieren werden.

 
Und selbst wenn die besonderen Beziehungen noch für eine Weile halten, ihre Grundlage ist unsicherer geworden. Die diametrisch entgegengesetzten Fallstudien der bis jetzt stabilen anti-amerikanischen regionalen Mächte Iran und Syrien und bis zu einem gewissen Grad auch der Türkei einerseits und der  gestürzten letzten pro-amerikanischen Tyrannen andrerseits, sind bezeichnend: selbst wenn sie noch weiter anhält, die amerikanische Unterstützung wird in Zukunft nicht genügen, um einen ethnischen und rassistischen „jüdischen Staat“ mitten in einer sich verändernden arabischen Welt aufrecht zu halten.
 
Dies könnten gute Nachrichten sein für die Juden, langfristig auch für die Juden in Israel. Es wird nicht leicht sein, von Völkern umgeben zu sein, die Freiheit, soziale Gerechtigkeit und  Spiritualität schätzen, die manchmal  sicher und manchmal heftig zwischen Tradition und Moderne, Nationalismus und Humanität, aggressiver kapitalistischer Globalisierung und dem täglichen Überleben navigieren.
 
Doch bestehen Aussichten und Hoffnung, dass es zu einem ähnlichen Wandel in Palästina kommt. Die über ein Jahrhundert währende zionistische Kolonisierung und Enteignung könnte zu einem Ende kommen und zu einer gerechten Versöhnung zwischen den palästinensischen Opfern dieser krimineller Politik und der jüdischen Gemeinschaft  führen. Diese Versöhnung könnte auf der Basis des palästinensischen Rückkehrrechtes aufgebaut werden und auf all den Rechten, für die das ägyptische Volk in den letzten zwanzig Tagen gekämpft hat.
 
Aber  natürlich werden die Israelis keine Gelegenheit auslassen um den Frieden zu verpassen.  Sie werden blinden Alarm schlagen. Sie werden vom amerikanischen Steuerzahler – auf Grund der neuen „Entwicklungen“ - noch mehr finanzielle Unterstützung verlangen und empfangen. Sie werden klammheimlich und destruktiv jeden Wandel zur Demokratie hin unterminieren (man erinnere sich mit welcher Wucht und Bösartigkeit sie auf die Demokratisierung der palästinensischen Gesellschaft reagierten.) Sie werden auch die islamfeindliche Kampagne auf nie da gewesene Höhen treiben.
 
Aber wer weiß, vielleicht wird der amerikanische Steuerzahler dieses Mal nicht nachgeben. Und vielleicht werden ja europäische Politiker den Empfindungen ihrer Öffentlichkeit Rechnung tragen und nicht nur Ägypten erlauben, sich dramatisch zu verändern, sondern auch  in Israel und Palästina einen ähnlichen Wandel willkommen heißen. In diesem Fall würden die Juden Israels eine Chance bekommen, Teil des  wirklichen Nahen Ostens zu werden und nicht ein fremdes und aggressives Mitglied eines Nahen Ostens, der  das Hirngespenst einer  zionistischen  Wahnvorstellung war.
 
Ilan Pappe ist Professor für Geschichte und Direktor des europäischen Zentrums für palästinensische Studien an der Universität von Exeter. Bekannt wurde er in Deutschland vor allem durch sein Buch: „Die ethnische Säuberung Palästinas 1948“.  

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

 

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