Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei schicke ich den offenen Brief der
Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, als
Reaktion zu der Ausladung Herrn Hermann Dierkes:nach dem
Hermann Dierkes, Die Linke Mitglied, der über den Boykott
israelischer Waren ansprach, zurücktreten müsste, wurde er
durch ein offenen Brief von einer von der evangelischen
Kirche organisierten Diskussion in Duisburg ausgeladen:
Offener Brief des Diakonischen
Werkes Duisburg (Postfach
200251, 47018 Duisburg)
An Herrn Hermann Dierkes
Ratsfraktion Die Linke
Mülheimer Str. 57
47058 Duisburg
Sehr geehrter Herr Dierkes,
mit Schreiben vom 19.02.2009
haben wir Sie in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender der
Ratsfraktion Die Linke zusammen mit den Vorsitzenden der
anderen im Rat vertretenen Fraktionen zur Teilnahme an einer
kommunalpolitischen Podiumsdiskussion eingeladen, die der
Evangelische Kirchenkreis Duisburg am 07.05.2009 in der
Salvatorkirche durchzuführen beabsichtigt. Per E-Mail vom
19.02.2009 haben Sie Ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung
zugesagt.
Wir sehen uns nunmehr jedoch
gezwungen, die von uns ausgesprochene Einladung an Sie
zurückzuziehen. Nach den uns vorliegenden Informationen
haben Sie, offenbar unter Bezug auf die aktuelle Politik des
Staates Israel im palästinensischen Autonomiegebiet, zu
einem Boykott israelischer Produkte aufgerufen. Die
Tatsache, dass sich die geistige wie verbale Parallele zu
der Nazi-Parole „Deutsche, kauft nicht bei Juden“
unmittelbar einstellt, hat Sie davon, wenn die heutige
Tageszeitung Sie zutreffend zitiert, offensichtlich nicht
abgehalten.
Dieses Verhalten ist nicht nur
politisch vollkommen inakzeptabel, sondern verbietet es
auch, dass Sie zu einem öffentlichen Statement in einer
Veranstaltung der Evangelischen Kirche eingeladen sein
könnten.
Dass man die Politik des
Staates Israel unterschiedlich bewerten kann, ist
unstrittig. Ihre Einlassung hat jedoch keineswegs allein mit
politischen Ermessensfragen zu tun. Sie nehmen vielmehr
bewusst oder fahrlässig, jedenfalls billigend in Kauf, dass
Ihr Aufruf als antisemitische Attacke verstanden wird, die
sich unmittelbar gegen unsere jüdischen Glaubensgeschwister
richtet. Damit hat die Evangelische Kirche nichts gemein.
Mit freundlichem
Pfarrer Armin Schneider Pastor
Stephan Kiepe-Fahrenholz
Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises
Duisburg Leiter des Diakonischen Werkes Duisburg
Die Jüdische Stimme nimmt Stellung dazu (im Anhang auch):
Wie hält
es die Ev. Kirche in Duisburg mit der Meinungsfreiheit?
OFFENE Replik der
Jüdischen Stimme für
gerechten Frieden in Nahost
auf den Offenen Brief
des Diakonischen Werkes
Duisburg
vom 24.
Februar 2009
Gerichtet
an:
Pfarrer Armin Schneider Superintendent des Evangelischen
Kirchenkreises Duisburg
Pastor Stephan
Kiepe-Fahrenholz, Leiter des Diakonischen Werkes Duisburg
Am 24.02. d. J. richteten Sie
als Amts- und Würdenträger des Duisburger Ev. Kirchenkreises
und Diakonischen Werks an den Vorsitzenden der Fraktion
DieLinke im Duisburger Rat, Hermann Dierkes, einen „offenen
Brief“, in dem seinen Ausschluss aus einer
kommunalpolitischen Podiumsdiskussion kundtun, zu der er
zusammen mit den Vorsitzenden der anderen im Rat vertretenen
Fraktionen für den 7. Mai in die Salvatorkirche eingeladen
worden war:
„Nach den uns vorliegenden
Informationen haben Sie, offenbar unter Bezug auf die
aktuelle Politik des Staates Israel im palästinensischen
Autonomiegebiet, zu einem Boykott israelischer Produkte
aufgerufen. Die Tatsache, dass sich die geistige wie verbale
Parallele zu der Nazi-Parole „Deutsche, kauft nicht bei
Juden unmittelbar einstellt, hat Sie davon, wenn die heutige
Tageszeitung Sie zutreffend zitiert, offensichtlich nicht
abgehalten /…/Dass man die Politik des Staates Israel
unterschiedlich bewerten kann, ist unstrittig. Ihre
Einlassung hat jedoch keineswegs allein mit politischen
Ermessensfragen zu tun. Sie nehmen vielmehr bewusst oder
fahrlässig, jedenfalls billigend in Kauf, dass Ihr Aufruf
als antisemitische Attacke verstanden wird, die sich
unmittelbar gegen unsere jüdischen
Glaubensgeschwister richtet.“(Hervorhebung durch
Jüdische Stimme)
Zu diesem Vorgang nehmen wir
Stellung wie folgt:
Herman Dierkes wurde aufgrund
seiner öffentlich bezogenen Stellung zur Israelpolitik von
so vielen Seiten und so hart gescholten, dass er sich zum
Rücktritt von seiner Funktion im Duisburger Rat gezwungen
sah. Wie aus der Presse bekannt ist, wurde er wohl von der
Führung seiner Partei allein gelassen, wenn nicht sogar zum
Rücktritt gedrängt.
Nach Lage der Dinge handelt es
sich hier um einen Vorgang, der keineswegs nur als
Duisburger Provinz-, sondern als bundesweiter
Demokratieskandal bedauert werden muss.
Dabei wird Dierkes Position von
breiten Teilen der internationalen sozialen Bewegungen -
darunter auch unzählige christ- und sogar
evangelisch-kirchliche und selbstverständlich viele jüdische
Organisationen – getragen.
Die internationale Bewegung „Boycott,
Investitionsstopp (Des-Investitionen) und Sanktionen (BDS)“
gegen die Politik Israels in den besetzten Gebieten von
Palästina und in Gaza ist in den meisten Ländern bereits
seit bekannt. Ihre Unterstützung nimmt weltweit zu. Einige
wenige Beispiele mögen dies belegen:
§
In Schweden wird der Boykott israelischer Produkte
bereits seit Jahren in Kirche und Gesellschaft
diskutiert und praktiziert. Nach Gaza diskutieren in
jüngster Zeit Organisationen der Zivilgesellschaft bis hin
zu Parteien Boykottaktionen auch gegen Sportveranstaltungen,
an denen Israelis beteiligt sind.
§
In Brooklyn, New York wird seit Ende Februar
in einer der größten Lebensmittelkooperativen (15.000
Mitglieder) öffentlich ein Boykott israelischer Produkte
diskutiert.
§
Auf seiner Sitzung am 20. Februar rief das
Exekutivkomitee des Weltkirchenrats im Dokument Nr. 12
die Mitgliedskirchen und deren Organisationen auf,
1.
hinsichtlich des Israel-Palästina-Konflikts ihre
Regierungen, unter Bezugnahme auf das Internationale Recht
und ihrer daraus resultierenden Verantwortung gegenüber
Drittstaaten, wo immer es nötig ist, zur Rechenschaft zu
ziehen und weiter
2.
die für Investitionen und Einkäufe zuständigen
kirchlichen Organe zu einer moralisch verantwortlichen
Praxis gegenüber Unternehmen zu verpflichten, deren Produkte
oder Dienstleistungen die Besetzung palästinensischer
Gebiete unterstützen.
§
Am 2. März verkündete die Britische Regierung
ihren Boykott gegen den Israelischen Baulöwen Lev Leviev
und nahm, unter Bezugnahme auf sein rassistisches Engagement
im illegalen Siedlungsbau Israels in den besetzten Gebieten,
ihre Entscheidung zurück, eine Etage in dem Kirya Turm in
Tel Aviv für ihre dortige Botschaft zu mieten. Der Turm
gehört Levievs Unternehmen Africa-Israel.
Der seit 1976 von
Palästinensern in Israel und allen Ländern am 30. März gegen
die anhaltende Konfiskation palästinensischen Landes
begangene „Tag des Bodens“ (Yaum Al-Ardh) wird von allen
palästinensischen und vielen internationalen
Nichtregierungsorganisationen als BDS-Tag begangen werden.
Superintendenten und Leiter kirchlicher Einrichtungen in
Deutschland irren,
wenn sie glauben ihrem Auftrag zu einem gedeihlichen
Miteinander der unterschiedlichen Religionen beizutragen,
mit falschen, an den Haaren herbeigezogenen
Analogisierungen, gerecht zu werden. Auch fragen wir uns, ob
sie ihren eigenen
Gläubigen und den vielen
Laienhelfern gerecht werden, die – z. T. in kirchlichem
Auftrag – Jahr um Jahr das in den besetzten Gebieten von
Israel hervorgerufene Elend zu lindern helfen.
Superintendenten und Leiter kirchlicher Einrichtungen in
Deutschland irren,
wenn sie glauben und
verbreiten, dass die von den Nazis ausgegrenzten,
vertriebenen, geschädigten und ermordeten Juden mit Israel
gleichzusetzen sind. Auch sehen sich viele der heute
lebenden Juden und Jüdinnen keineswegs durch Israel
vertreten. Als Juden und Jüdinnen in Deutschland halten wir
es für hochproblematisch, alle Juden und Jüdinnen in einem
Topf zu schmeißen: Es entspricht einer stereotypen
Einstellung, die uns nur als homogene Gruppe zu sehen fähig
ist. Ein Zugang, der jeder Form des Rassismus zu Grunde
liegt.
Um es klar zu sagen, Ihren
Bezug auf „unsere (?) jüdischen Glaubensgeschwister“ finden
wir anmaßend!
Als Mitglieder der Jüdischen
Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost – EJJP
Deutschland und als Freunde vieler vergleichbarer jüdischen
Organisationen auf allen Kontinenten – insbesondere auch in
den USA und Israel selbst – weisen wir das Ansinnen, den
Aufruf zum Boykott israelischer Waren als anti-semitisch zu
diskreditieren, auf das Schärfste zurück!
Ist den kirchlichen Amtsträgern
in Duisburg, die Israel – weshalb nur? – so gern eine
Sonderbehandlung angedeihen lassen wollen, nicht bekannt,
was in allen anderen europäischen Nationen und offenbar auch
in den meisten Kirchen seit Gründung der Vereinten Nationen
politisch unumstritten ist, nämlich, dass jedes Mitglied der
internationalen Staatengemeinschaft und mithin jeder Staat
zu ächten ist,
§
der sich dauerhaft über Internationales Recht
erhebt,
§
der anhaltend – im Falle Israel seit
nunmehr 61 Jahren - allen UN-Resolutionen (übrigens ganz
im Stile auch des Diktators von Sudan) „in den Wind pfeift“
§
der sich als Siegermacht grober Verstöße gegen die
Genfer Konventionen schuldig macht, indem er die
Besiegten unverhältnismäßig lange Zeit (im Fall Israel 42
Jahre) unter Besatzung hält
§
in besetzt gehaltenen Territorien den
Besetzten anhaltend Land, Wasser und andere Ressourcen raubt
sowie in illegaler Weise die eigenen Landesgrenzen ausdehnt
und durch eine Grenzmauer manifest macht, die selbst der
Internationale Gerichtshof gutachtlich für völkerrechtwidrig
erklärte.
§
nicht auf politische Verhandlungen und eine
dauerhaft gerechte Friedenslösung, sondern auf regionale
Vorherrschaft durch militärische Stärke, auf Angriffskriege
und Rechtswillkür setzt.
Wer der Ethik und Moral ganz
gleich welcher Religion oder auch nur den elementaren
Menschenrechten verpflichtet ist, muss gegen das von Israel
an den Palästinensern begangene Unrecht aufstehen!
Boykottmaßnahmen der
Zivilgesellschaft, Investitionsstopp durch Verbände und
Unternehmen sowie Sanktionen durch national- und
internationalstaatliche Institutionen sind bewährte
politische Instrumente der Völkergemeinschaft.
Die weltweiten Boykottkampagnen
von Bürger und Bürgerinnen aller Länder gegen
Nazideutschland in den 30er/40er Jahre, die Zivilbewegungen
gegen den Vietnamkrieg der 60er/70er und die internationale
Anti-Apartheid-Bewegung bis in die 90er Jahre, zeigen doch
unmissverständlich: Waren- und Veranstaltungsboykott,
Diskreditierung von einzelnen Kriegsverbrechern sowie von
Regierungen, die sich über Recht und Moral erheben, sind die
Mittel des einzelnen Bürgers und der einzelnen Bürgerin
politischen Druck gegen Unrecht auch individuell geltend zu
machen, wenn alle anderen politischen Aktivitäten und
Proteste versagen.
Wir bedauern daher zutiefst,
dass Herr Dierkes seine Funktionen niedergelegt hat.
Die Wählbarkeit der Partei Die
Linke, halten wir, angesichts der offenkundig
undemokratischen und mit Solidarität unvereinbaren
Dirigismen von oben, für mehr als fraglich. Herr Dierkes
muss rehabilitiert werden!
Was die Würdenträger der Ev.
Kirche in Duisburg anbetrifft, rufen wir alle demokratischen
Organisationen auf, ihnen durch Unterstützung der
vorliegenden Offenen Antwort die gebotene Rücknahme der
Ausladung von Herrn Gierkes nahe zu legen.
Berlin, 6. März 2009
Mit freundlichen Grüßen
Iris Hefets
Für die Jüdische Stimme in
Deutschland
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