Sa'ed ist nicht alleine – und über
israelische Gerichte
Ilana Hammerman (Haaretz, 23.7.09)
Ich traf Sa'eds Familie, die Familie Hamamreh, vor vier Jahren. Die
Arbeiter, die mein Haus in Jerusalem bauten, stammten aus ihrem
Dorf, Hussan, in der Nähe von Bethlehem. Ich bat sie, mich mit einer
Frau aus ihrem Dorf bekannt zu machen, die mir die arabische Sprache
beibringen konnte. So kam ich zu Um Sa'ed, Mutter von sechs Kindern
(Sa'ed ist der älteste). Sie lehnte eine Bezahlung ab, sagte sie,
sie sei keine Lehrerin, sondern Krankenschwester von Beruf. Sie
schlug vor, dass wir einander kennen lernen sollten. Sollte sich
eine Freundschaft entwickeln, wäre dies, abgesehen von dem Arabisch,
ihr und mein Entgeld,.
So
entstand eine Freundschaft, nicht nur zwischen uns, sondern auch
zwischen mir und ihren Kindern, ihrem Ehemann, den Großeltern,
Tanten und Onkeln. Ich bin grundsätzlich säkular. Sie sind moderate,
aber konservative, strenggläubige Muslime: Ich bin eine Politikerin,
sehr involviert in öffentlichem Aktivismus; sie sind nicht
politisch, für sie ist das Wesentliche, ihren Lebensunterhalt zu
verdienen und das Familienleben (zu pflegen), obwohl sie natürlich,
im Gegensatz zu mir, direkt mit den schwerwiegenden Folgen der
politischen Situation konfrontiert sind – sowohl durch die
israelische Besatzung als auch durch die Konflikte und die Kluft
unter ihrem eigenen Volk und aufgrund der Korruption und Willkür der
verschiedenen Behörden auf beiden Seiten, die ihr Leben
kontrollieren.
Fast jede Woche gehe ich zu ihrem Haus, entspanne mich auf dem Sofa
und sauge all die Wärme und Aufmerksamkeit ein, die sie mir in einer
Art und Weise schenken, die mir nur selten zuteil wird; ich erzähle
und höre zu, argumentiere, lache viel, manchmal laufen mir auch die
Tränen runter aufgrund ihrer und meiner Probleme. Wenn ich nicht mit
eigenen Augen gesehen hätte, wie mein Land und mein Volk diesen
Menschen das Leben zur Hölle macht, indem man sie ihres Landes und
ihrer Freiheit beraubt, sie demütigt und sie auf unzählige Weise
schikaniert, wenn ich von alledem nichts wüsste, käme ich entspannt
und gestärkt von all meinen Besuchen dort zurück. Nicht nur, dass
ich dies alles sehe, ich lernte auch durch die Krankheit von Sa'eds
Schwester Saja die brutale Härte kennen, mit der die Bewohner der
Besetzten Gebiete, die das Pech haben, schwerkrank zu werden,
konfrontiert sind: das schlechte Gesundheitssystem, den furchtbaren
Zustand von einigen Krankenhäusern, die grauenvollen Konsequenzen,
wenn keine Krankenversicherung vorhanden ist, die diese Bezeichnung
verdient, vor allem auch, wie schwierig es ist, zu einer Behandlung
nach Israel und von dort wieder zurück zu kommen.
Während wir auf der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten für die
schwerkranke Saja waren, wurde ihr Bruder verhaftet und in ein
Gefängnis des Militärgerichts gebracht. Die Familie war völlig
schockiert, so eine Verhaftung hatten sie noch nie erlebt: Niemand
aus ihrer Familie war jemals verhaftet worden!
Was haben sie, eine religiöse Moslem-Familie, mit der Volksfront (Popular
Front), einer säkularen linken Organisation zu tun?
Sa'ed ist einer von 10 000 Palästinensern, die in Untersuchungshaft
von israelischen Militärgerichten sitzen, seitdem diese 1967
errichtet wurden. Die Millionen von Palästinensern, die diesem
System unterworfen sind, das nur vorübergehend sein sollte, können
kein faires Verfahren erwarten. Ein faires System würde nicht so
viele Tausende in: "Untersuchungshaft bis zum Prozessbeschluss"
schicken, so dass sie monatelang im Gefängnis bleiben. Manchmal
(dauert es) sogar ein bis zwei Jahre, bevor ihr Fall entschieden
wird. Ein faires Rechtssystem würde nicht 100% von ihnen
verurteilen. Ein faires Rechtssystem würde nicht so viele
Anklageschriften ausstellen, die sich lesen, als ob sie wie
Formbriefe automatisch von einem bedrängten Gerichtsschreiber
ausgefüllt worden wären; Anklageschriften, die keine spezifischen
Daten, Tatorte oder Anklagepunkte beinhalten, so dass es unmöglich
ist, seine Unschuld zu beweisen.
Wie kann zum Beispiel Sa'ed beweisen, dass er an keinem Treffen
teilgenommen hat, wenn dessen Daten sich über zwei bis drei Jahre
hinziehen und irgendwann in 2006 begonnen haben? Wie kann er
beweisen, dass er kein Mitglied dieser oder jener Organisation war,
mit Sicherheit führen diese keine offiziellen Mitgliederlisten? Und
wann gibt man ihm überhaupt eine Gelegenheit, auszusagen; er, der
kategorisch die Anschuldigungen der verworrenen Anklageschrift, die
man ihm vorliest, verneint und der sich weigert, mit seiner
Unterschrift das kurze und unzusammenhängende Verhör zu bestätigen,
wie in dem Bericht steht?
In
der Zwischenzeit wird er zu den Verhören in Handschellen und
Fußfesseln vorgeführt und hört ruhig den widersprüchlichen Worten
eines anderen jungen Mannes zu, der genauso deprimiert wie er selbst
ist, der sagt, dass man ihn noch nicht einmal kennt: noch nicht
einmal derjenige, der seinen Namen aus einer langen Namensliste
nennt, nach dem man ihn unter, wer weiß welchen Bedingungen, verhört
hat. Ein faires Rechtssystem würde auf diese Art und Weise nicht
agieren, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, obwohl eine
Militärorder besagt, dass " das Militärgericht seine Verhöre bei
geöffneten Türen abhalten soll", ist es der Öffentlichkeit nicht
gestattet, durch diese offenen Türen einzutreten, außer mit einer
Sondergenehmigung.
Aber die große Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit weiß nichts
und will nichts von der Existenz der Verhöre vor den
Militärgerichten wissen, nicht, wer diese Menschen sind oder wer von
ihnen seiner Freiheit für einen solch langen Zeitraum beraubt wird,
oder wo diese düsteren und menschenleeren Gerichtsräume gelegen
sind. In einem von ihnen, im Außenbezirk von Jerusalem wird in den
kommenden Monaten sehr langsam über Sa'eds Schicksal entschieden.
Notizen und Informationen über Gerichtsprotokolle, den Yesh
Din-Bericht von 2007 und den Machsom Watch-Bericht von 2008.
(Aus dem Englischen
übersetzt: Inga Gelsdorf)
http://www.haaretz.com/hasen/spages/1102353.html
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