Das Palästina Portal

Täglich neu - Nachrichten, Texte aus dem besetzen Palästina die in den deutschen Medien fehlen.

 KurznachrichtenArchiv - ThemenLinksFacebook   -   Sponsern SieAktuelle TermineSuchen

Israelische + Jüdische Stimmen
  Texte von Ran Ha Cohen


Zurück • Nach oben
 

 

Nennt es nicht Mauer!
von Ran Ha Cohen

Vor einem Jahr forderte ich die Leser auf, Präsident Bush’s „Wegeplan zum Frieden“ ,der mit viel Aufmerksamkeit nur Zeit verschwendete, zu vergessen. Er ist längst überholt. Man konzentriere sich auf die wirkliche Karte Palästinas, die sich durch den Bau von Israels Apartheidmauer, die praktisch von den internationalen Medien ignoriert wurde, radikal verändert hat. Ein Jahr ist vergangen, und das Schweigen wurde dank einiger Journalisten mit Gewissen gebrochen, dank auch palästinensischer Bemühungen, die Mauer vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen, der bald über seine Legalität entscheiden wird, und - last but not least - dank auch Tausenden von Palästinensern, Israelis und internationalen Aktivisten von Ta’ayush, Gush Shalom und vielen anderen Gruppen, deren tägliche gewaltfreie Demonstrationen mit unbarmherziger Brutalität der israelischen Armee aus einander getrieben wurden. Die Mauer ist nun auf der Tagesordnung - und das ist richtig so. Aber ist sie überhaupt eine Mauer?

Umstrittene Bezeichnungen

Die Bezeichnung ist von Anfang an umstritten gewesen: „Die Apartheidmauer“ ist der palästinensische Name für das, was Israel offiziell „Trennungszaun“ oder „Sicherheitszaun“ nennt. Ich möchte lieber den palästinensischen Ausdruck nehmen: denn „Zaun“ klingt für eine 8 Meter hohe Betonmauer mit einem 100m breiten Sicherheitsstreifen wie ein absurder Euphemismus – um nur damit zu beginnen. Gegenwärtig schließt das Überwachungsarsenal ( der Mauer) nicht nur Patrouillen und Kameras mit ein, sondern auch Maschinengewehre mit Fernbedienung. Sie wurden, wie israelische Medien stolz berichten, entwickelt, damit auch sanfte Soldatinnen hinter einem Monitor in einem meilenweit entfernten, klimatisierten Büro in der Lage sind, auf „verdächtige Bewegungen“ (d.h. menschliche Wesen) zu schießen. Für die Industrie des Tötens ist der Himmel die Grenze.

Tatsächlich sind beide Bezeichnungen – Zaun und Mauer – in die Irre führend. Obwohl die meisten Leute inzwischen wissen, dass die Mauer nicht auf der Grünen Linie (Grenze von vor 1967) gebaut wird, sondern tief innerhalb des palästinensischen Gebietes, und Israel also tatsächlich einen großen Teil (ein Drittel ?) annektiert, suggerieren beide Termini Zaun und Mauer so etwas wie eine nahe Linie mit Palästinensern auf der einen und Israelis auf der anderen Seite. „Wir hier – sie dort“, wie Baraks Wahlspruch lautete. Aber ist es das, was hier vor sich geht? Nicht ganz. Die Wirklichkeit ist weit erschreckender.

Was die Mauer wirklich ist

(Die Karte ist von Amira Hass’ Artikel vom 25.Juni 2004. Sie zeigt einen kleinen Ausschnitt der Mauer im sog. christlichen Dreieck im Süden von Jerusalem)

Die rote Linie ist die Mauer – in Teilen schon fertig gebaut., in anderen Teilen im Bau, in wieder anderen Teilen, wo sie noch gebaut werden wird. Nahalin, Husan, Batir, Walaje. (alle im Raum Bethlehem ) Auf welcher Seite der Mauer sind sie? Offensichtlich eine falsche Frage. Sie werden tatsächlich von der Mauer umgeben, sie sind wie in einer Falle gefangen. Batir und Husan zusammen, Nahalin und Walaje jedes für sich. Man betrachte die Größe : geht man von einer Seite der Enklave zur anderen, von Mauer zu Mauer, so ist das ein Gang von 20 Minuten. Kein Einwohner dieser Dörfer ist jemals mehr als einen Kilometer von der Mauer entfernt. Nicht nur landwirtschaftlich genutztes Land, sondern auch Schulen, Krankenhäuser, Kliniken, Märkte, Läden, Arbeitsstellen, von Erholungsorten ganz zu schweigen – alles ist außerhalb. Um hinauszukommen, muss man durch ein Tor, durch einen israelischen Kontrollpunkt. Das Tor ist wahrscheinlich geschlossen – weil es nur ein paar Stunden täglich geöffnet ist, oder weil jemand eine Alarmstufe ausgerufen hat, oder weil es ein jüdischer Feiertag ist, oder weil der Soldat vom Dienst nicht rechtzeitig kommt. Und wenn das Tor zufällig offen ist, wird dich der Soldat, (falls du die notwendigen Passierscheine hast) durch lassen oder auch nicht ( aus welchem Grund auch immer oder aus keinem Grund) oder fragt dich um etwas als Gegenleistung: ein kleines Geschenk, oder einen Fluch gegen Mohammad, Jesus oder Arafat oder eine Verneigung gegenüber deinem Nachbar oder Bruder. Wenn dein Arbeitsplatz, deine Gesundheit oder die Gesundheit deines Kindes davon abhängt, hinauszukommen, dann wirst du alles tun.. Dasselbe gilt natürlich auch fürs Hineinkommen – als Gast, LKW-Fahrer, Elektriker oder Arzt. Da gibt es Dutzende, ja Mengen von Dörfer, die wie diese überall in der Westbank von Mauern umgeben sind. Danny Rubinstein berichtet von 200 000 Palästinenser, die nördlich von Jerusalem leben. Viele von ihnen haben eine Jerusalemer Identitätskarte, und alle sind total von der Stadt abhängig, was die Schulen, Krankenhäuser und Arbeitsplätze betreffen. Alle müssen durch den einen einzigen , schmutzigen, überfüllten Checkpoint von Kalandia gehen: „Die Bewohner dieser Stadtteile sind auch schon davon informiert worden, dass weitere interne Zäune gebaut werden, die die Siedlungen mit Passagen versehen werden. Diese Zäune werden in einer 2. Phase des Mauerbauprojektes fünf große Inseln schaffen, in denen die palästinensische Bevölkerung in Quasi-Ghettos zusammengepfercht wird.“ Haaretz, 27.Juni 2004

Manchmal werden Häuser individuell eingezäunt: IsraelsTV Kanal 2 ( 25.6. 2004) berichtete kürzlich von zwei Häusern am Rande eines palästinensischen Dorfes, die von einer gewachsenen jüdischen Siedlung umgeben sind. Die beiden Familien wurden deshalb mit „Ihrem eigenen“ Zaun umgeben, der sie von drei Seiten von der jüdischen Siedlung trennt und auf der vierten Seite vom Rest ihres eigenen ( umzäunten) Dorfes.

Also dies ist keine Ausnahme: es ist die Regel. Alle Palästinenser sollen so eingezäunt/ ummauert enden. Die glücklicheren von ihnen werden sich eines irgendwie größeren Käfigs erfreuen. Der Verlauf der Mauer folgt dem Standard der israelischen Daumenregel: ein Minimum an Land für die Palästinenser, ein Maximum für die Juden. Die Mauern werden nur Meter entfernt vom letzten Haus des Dorfes gebaut; aber in vielen Fällen werden auch Häuser zerstört, um Platz zu machen. Sogar kultivierte Felder und Wasserquellen werden meist außerhalb der Mauer gelassen, so dass sie für die Besitzer nicht mehr zugänglich sind. Auf der Landkarte kann man tatsächlich sehen, wie all die offenen Landstriche für die israelischen Siedlungen von Gilo, Har Gilo oder Betar Illit bestimmt sind, wobei für die arabischen Dörfer und Städte kein Quadratmeter mehr übrig bleibt.

„Mauer“ eine falsche Bezeichnung

Nun ist das weder eine Mauer noch ein Zaun. So wie du ein Buch nicht nur „ein Papier“ nennt oder Brot „Mehl“, so kann man dies nicht Mauer nennen. Was Israel in der Westbank baut, besteht aus Mauern und Zäunen, aber es ist weder eine Mauer noch ein Zaun. Es ist etwas völlig anderes. Ich bin mir mit dem eigentlichen Namen nicht sicher: Ghettos? Außergerichtliche Verhaftungslager? Open-air-Gefängnisse ? Ein Netzwerk von Käfigen für Menschen? Ich bin mir nicht sicher, ob es dafür überhaupt einen Namen gibt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es in der menschlichen Geschichte dafür Vorläufer gibt. Die Mauer/ der Zaun hat auch nichts mit der im Vergleich kleinen Berliner Mauer zu tun. Es hat ganz klar auch sehr wenig mit den Apartheid-Bantustans zu tun, die Zehntausende von Quadratkilometern groß waren. Die Westbankkäfige umfassen oft nur ein paar Hektar, was natürlich einen großen Unterschied darstellt.

Vor Jahrzehnten war es ein gewöhnliches israelisches Argument, dass die Westbank und der Gazastreifen für einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu klein sind. Sei es, wie es ist, keiner wird behaupten, dass ein 2x2 km bebauter Käfig ohne öffentliche Einrichtungen, ohne Landreserven für Hausbau, keine Felder und mit einem Tor, das von einer feindlichen Macht bewacht wird, ein lebensfähiger Ort ist, in dem man leben kann. Die israelischen Behörden wissen das sehr genau: trotzdem ist ihre eigene Leidenschaft/ Gier nach Land unersättlich. Ihre Absicht ist klar: früher oder später wird die hoffnungslos eingesperrte Bevölkerung einfach gehen, um dem Hungertod zu entgehen. Das ist ethnische Säuberung, indem man das Leben unmöglich macht, so dass die Palästinenser gezwungen werden, wegzugehen. Je näher man an die Grüne Linie kommt und zu größeren Siedlungen, um so kleiner werden die Käfige. Das sind die Gebiete, die Israel am meisten zu haben wünscht, also werden dort die Lebensbedingungen so gestaltet, dass sie die einheimischen Palästinenser so bald wie möglich vertreiben.

Diejenigen, die an einem fairen Frieden im Nahen Osten interessiert sind, sollten deshalb einen passenden Terminus für das Käfignetzwerk finden, das in diesen Tagen in der Westbank gebaut wird, einen Terminus, der seine wahre Natur reflektiert. Sie sollten eine größere Kampagne starten, die seine Bedeutung klar stellt. Es ist nicht Trennung, sondern eine systematische, absichtliche Zerstörung der grundsätzlichen Bedingungen für menschliches Leben, die unvermeidlich zum Hungertod oder zu ethnischer Säuberung führt.

*Ran HaCohen wurde 1964 in den Niederlanden geboren und wuchs in Israel auf. Er ist Dozent an einer Universität in Israel. „Brief aus Israel“ erscheint gelegentlich bei www.Antiwar.com

dt. Ellen Rohlfs – wird in INAMO im Dezember 2004 erscheinen   

 

Start | oben

 Impressum           Haftungsausschluss              KONTAKT               Datenschutzerklärung                arendt art