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Rede von Miko Peled vor
der BDS-Konferenz in Chicago
November 2014
Der Grund, dass BDS und
andere Arten des Widerstands bestehen, liegt darin,
dass Palästina nicht frei ist, es ist besetzt;
sein Volk erträgt die Härten eines
unterdrückerischen Besatzungssystems, als Zionismus
bekannt. Die Palästinenser sind einer
unausweichlichen Brutalität ausgeliefert, die die
Besatzung mit sich bringt. Sie sind rassistischen
Gesetzen unterworfen, die dafür bestimmt sind, sie
zu diskriminieren und zu entrechten: ihnen ihr Land
wegzunehmen und sie letztendlich dahin zu bringen,
dass sie sich völlig ergeben, weggehen oder sterben.
Da gibt es ein sehr
ernst zu nehmendes Missverständnis, wenn man die
Besatzung Palästinas betrachtet und den Beginn des
Apartheidsregimes in Palästina. Wir hören die Leute
über „Israel und die besetzten Gebiete“ reden oder
Israel und die „Palästinensischen Gebiete“ und über
„die seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiete“.
Dieses Missverständnis wird nun verstärkt durch das,
was nur als ein gemeiner und symbolisch
unbedeutender Akt von sog. „Anerkennung“ angesehen
werden kann. Ich beziehe mich natürlich auf die
letzte Anerkennung verschiedener europäischer
Länder des sog. „Staates Palästina“. Dieser Staat
existiert wahrscheinlich irgendwo innerhalb eines
Gebietes, das im Allgemeinen die Westbank genannt
wird, und jetzt von Israel und den USA als „Judäa
und Samaria“ bezeichnet wird. Diese Anerkennung
hilft keinem einzigen Palästinenser; sie beendet die
unrechtmäßige Belagerung des Gazastreifens nicht,
entlässt auch palästinensische Gefangene nicht,
noch bringt es den in ständiger Angst lebenden
Palästinensern eine Erleichterung, da sie von
israelischen Siedlerbanden oder der israelischen
Terrororganisation AKA der IDF aus ihre Häusern
vertrieben werden. Aber diese Anerkennung
unterstützt die falsche Vorstellung der Besatzung
Palästinas, nämlich die falsche Vorstellung, die
sagt, die Besatzung Palästinas begann im Juni 1967.
Aber um den
Palästinensern Erleichterung zu bringen und
Palästina Gerechtigkeit muss dieses Missverständnis
richtig gestellt und ans Licht gebracht werden. …
Es gab zwei
Besatzungs-Stadien Palästinas. Das erste Stadium war
die ethnische Säuberung von 1948, als fast 800 000
Palästinenser aus Palästina vertrieben wurden, fast
alle Städte und Orte Palästinas zerstört wurden und
- wie wir wissen - nahezu 80% des Landes von
zionistischen Kräften erobert und besetzt wurde.
Dieser Teil Palästinas wurde dann Israel genannt.
Zwei Gebiete wurden von Israel, das jetzt „jüdischer
Staat“ genannt wird, außen vor gelassen: die
Westbank und der Gazastreifen, die später als
Gebiet geschaffen wurde, in dem die Palästinenser
eingesperrt wurden, die später im südlichen Teil
Palästinas Opfer der ethnischen Säuberung wurden.
Das zweite Stadium der
Besatzung Palästinas war die Vervollständigung der
Eroberung Palästinas durch das zionistische Regime;
es fand im Juni 1967 mit der Eroberung und
anhaltenden Besatzung der Westbank, des
Gazastreifens und Ost-Jerusalem statt. Dies war
nicht – wie einige behaupten – der Beginn der
Besatzung, sondern die Vervollständigung der
Besatzung Palästinas. Wie einige von ihnen, die mich
schon sprechen hörten oder mein Buch gelesen haben,
wissen, war mein Vater 1948 ein junger Offizier
und dann 1967 einer der Generäle in der israelischen
Armee. Ein Mitglied des Zentralkommandos der Armee.
Da bemühte man sich in
Israel und im Westen sehr, den ersten Teil der
Besatzung ab 1948 zu legitimieren und konzentrierte
jede Diskussion in Bezug auf Palästina und die
Rechte der Palästinenser nur auf das 2. Stadium und
schuf so den Eindruck, dass die Besatzung Palästinas
erst 1967 stattfand und die „besetzten Gebiete“ nur
die Westbank und der Gazastreifen sind. Der Rest des
Landes ist Israel, und die Palästinenser, die noch
innerhalb der Grenzen von 1948 leben, sind nur
Araber oder „Die Araber Israels“, wie Israel sie
nennt.
Das muss richtig
gestellt werden – die Diskussion über Palästina ist
zu lange von jenen kontrolliert worden, die
leugnen, dass ganz Palästina besetzt ist, dass ganz
Israel in der Tat ganz Palästina besetzt. Um die
Sache der Gerechtigkeit und des Friedens voran zu
bringen, muss die Wahrheit ausgesprochen werden. Wir
müssen ans Licht bringen, dass nicht nur die
Westbank und der Gazastreifen besetzt sind, sondern
auch Galiläa: die ganze Küste von Ras Alnaqura bis
Akko, Haifa, Jaffa, Isdud, Ashkalon, ja, die ganze
Gazaküste ist besetzt. Auch das Jordantal, die
Negevwüste, Beer Sheba und natürlich Jerusalem sind
alles besetzte palästinensische Gebiete.
Alle Palästinenser, die
in Palästina leben, leben unter Besatzung. Es gibt
keinen Ort, kein Dorf oder keine Stadt, kein
Stadtteil oder Straße, wo Palästinenser innerhalb
Palästinas frei leben können. Seien sie Bürger
Israels wie die in Qalansawe, Um-Alfahm oder
Nazareth, seien sie „fremde Einwohner“ wie die in
Jerusalem oder seien sie unter totaler
militärischer Herrschaft oder eingeschränkt in
Freiluftgefängnisse wie in Bethlehem, Hebron, Nablus
oder Gaza – kein Palästinenser ist in Palästina frei
– sie leben alle unter Besatzung.
Auch wenn ein Teil unter
militärischem Gesetz lebt und andere unter zivilen
Gesetzen, alle sind den Gesetzen rassistischer
Diskriminierung unterworfen, weil sie keine Juden
sind. Kein Palästinenser in Palästina kann so leben
wie ich, ein israelischer Jude. Ich lebe unter einer
Art von Gesetzen und sie unter einer anderen Art von
Gesetzen. Dieses Apartheidsystem wurde unmittelbar
nach der Gründung des Staates Israel eingeführt und
machte so keinen jüdischen Staat, sondern eher zu
einem kolonialistischen Unternehmen, das dem
jüdischen Volk exklusive Rechte auf gestohlenem
palästinensischem Land anbot.
Eine Reihe Gesetze, die
in den frühen 50er-Jahren verabschiedet wurden,
verfestigten den Status der Palästinenser als
minderwertig oder „Fremde in ihrem eigenen Land“,
wie Ilan Pappe sie kürzlich beschrieb, Dies wurde
der permanente Status der Palästinenser unter der
zionistisch kolonialistischen Besatzung.
Die drei deutlichsten
Beispiele sind das „Rückkehrgesetz“ und das Gesetz
der Naturalisierung, das den jüdischen Immigranten
als Bürgern in fast jedem Lebensgebiet den Vorzug
vor den einheimischen Palästinensern gibt. Und das
„Gesetz des jüdischen Nationalfond“ , der das Land
als ausschließlich ewiges Eigentum des jüdischen
Volkes bestimmt. Das bedeutet, dass ganz Palästina
und alles palästinensische Land vom Staat übernommen
wird und allein an Juden verkauft oder verpachtet
wird. Um 1950 kamen fast 8 Millionen acre (Morgen)
palästinensisches Land in die jüdische Agentur , die
es exklusiv zur Verwendung und zu Gunsten von Juden
verfügbar machte. ( s. Ilan Pappe: „Die vergessenen
Palästinenser“.
(bis hierher von Ellen Rohlfs
übersetzt.)
Die Besatzungsmacht,
Israel, schuf ein gänzlich abgegrenztes
Bildungssystem, ein System, bei dem die
Palästinenser selbst fast nichts zu sagen haben. Die
Rechte der Palästinenser, zu protestieren, werden
gravierend eingeschränkt. Das Nakba-Gesetz verbietet
die Erwähnung der Nakba an palästinensischen
Schulen. In einem Fall konnte ich am Nakba-Tag im
letzten Mai hören, wie ein Lehrer über die Nakba
sprach. Am folgenden Morgen erhielt der Direktor
einen Anruf von dem Staatssicherheitsbüro im
Bildungsministerium. Das ist ein Büro, das sich
ausschließlich mit Palästinensern befasst, die auf
dem Bildungssektor arbeiten. (Also) wurden Maßnahmen
ergriffen, um den Lehrern zu verdeutlichen, dass so
etwas nicht toleriert wird. Hochzeitsgesetze, die
die Staatsbürgerschaft von Palästinensern in Israel
gefährden und die Rücknahme des Bewohnerstatus der
Palästinenser aus Jerusalem, die sich entscheiden,
anderswo zu leben, gelten nicht für mich; ich bin
ein israelischer Jude. Ich wurde in Jerusalem
geboren und wuchs dort auf. Ich lebe in den USA und
habe eine doppelte Staatsbürgerschaft. Sollte ich
mich entscheiden, zurückzukehren und in Jerusalem zu
leben, könnte ich dies jederzeit tun und als Jude,
der zurückkehrt, würde man mich mit Geschenken und
Zusatzleistungen überhäufen.
Dies sind nur die
„Höhepunkte“ des Apartheidsregimes, das das Leben
der Palästinenser in Palästina beherrscht. Die
meisten davon existierten bereits vor der Eroberung
der Westbank.
Als die Eroberung von
Palästina im Jahre 1967 beendet war, wurden
Billionen von Dollar investiert. Städte und
Gemeinde, Autobahnen und Industrie wurden in den neu
eroberten Gebieten errichtet, jedoch nur für Juden.
Das Apartheidsystem wurde in seiner Gesamtheit
eingeführt, so dass Juden nach liberalen
demokratischen, in Israel für Juden gültigen,
Gesetzen leben können, wohingegen die
palästinensische Bevölkerung unter einem brutalen
und undemokratischen Militärrecht lebt. Nur um
deutlich zu machen, was das bedeutet: Wenn ich in
der Westbank verhaftet werde, werde ich von der
Armee festgenommen, einer regulären Polizeiwache
übergeben und mein Fall wird nach dem israelischen
Zivilrecht bearbeitet. Mir wird gestattet, sofort
meinen Rechtsanwalt zu kontaktieren, und in den
meisten Fällen gehe ich ein paar Stunden später,
wenn der Prozess beendet ist, nach Hause. Ein
Palästinenser (hingegen), der wegen des gleichen
Verstoßes angeklagt ist, kann auf unbestimmte Zeit
verhaftet werden und wird geschlagen. Einen Anwalt
sieht er meistens nicht, solange er oder sie nicht
die Tat gestanden hat.
Nur in seltenen Fällen
würde ein Soldat oder ein Polizist einen
israelischen Juden verletzten. Aber wenn dies
geschieht, wird darauf sofort reagiert. Wenn das
israelische Sicherheitspersonal Palästinenser
foltert, verletzt oder sogar tötet, weiß es, dass
dies keine gerichtlichen Konsequenzen nach sich
zieht.
Wenn wir von der
Notwendigkeit von BDS sprechen, so sprechen wir über
den Widerstand gegen ein Apartheidsystem, gegen ein
rassistisches koloniales Regime, das Palästina fast
sieben Jahrzehnte besetzt. Es ist methodisch
rassistisch, es ist brutal und unnachgiebig und wird
nicht enden, bis wir, die Menschen mit Gewissen, die
Wähler mit Gewissen, zusammenkommen, um es durch
eine Demokratie zu ersetzen, die alle Menschen, die
in Palästina leben, repräsentiert. So wie Menschen
mit Gewissen zur Abschaffung der Apartheid in
Südafrika beigetragen haben und wie Menschen mit
Gewissen das Apartheidsystem, das in den Südstaaten
der Vereinigten Staaten existierte, zu Fall gebracht
haben, müssen wir uns alle diesem Kampf anschließen.
BDS gibt uns die Mittel, dies auf einfache,
geregelte und geprüfte Art zu tun.
Wenn die Menschen mich
nach der Möglichkeit einer dritten Intifada fragen,
ist meine Antwort, dass eine globale Intifada,
Palästina zu befreien, bereits vorhanden ist. Man
nennt sie BDS.
Ich will mit einem
letzten Gedanken enden: Wir hören aus Israel und von
dessen Verbündeten in aller Welt Kritik an der
BDS-Bewegung. Das ist verständlich – Israel
investiert hunderte Millionen von Dollar, um gegen
BDS vorzugehen und ist dabei, zu verlieren. Sie
nennen sie „antisemitisch“, und diese Behauptung ist
schwächer als je zuvor. Aber wir haben alle Arten
von Kritik gehört, die die BDS-Bewegung angreift,
von Menschen, die behaupten, die palästinensische
Sache, die Sache der Gerechtigkeit für Palästina zu
unterstützen. So etwas halte ich für skrupellos.
Gewiss muss eine Debatte
über alle diese Themen begrüßt werden. Aber, als
Israel Millionen Tonnen von Bomben im letzten Sommer
über Gaza abgeworfen hat und als Israel Tausende
kaltblütig ermordet hat, hätten Menschen mit
Gewissen auf der Seite Palästinas und jeglicher Art
des palästinensischen Widerstandes gegen
israelische Gewalt stehen müssen. BDS hätte auf all
unseren Lippen sein müssen. Trotzdem hörten wir
diesen gewissenlosen, meist ungeheuerlichen Schwall
von Kritik gegen das, was wir als effektive und
reguläre Form des Widerstandes kennen, nämlich BDS.
Das halte ich für ungerechtfertigt und
unentschuldbar.
Man kann nicht beides
sein: „pro Israel“ und „pro Frieden“. Es ist eine
Wertefrage – entweder unterstützen wir Rassismus,
Kolonialismus und Apartheid, oder wir sind dagegen.
Man kann nicht zwischen den Stühlen sitzen, denn,
wenn wir nichts unternähmen, hieße das in den USA
und in Europa, wir seien einverstanden, (Israel)
Billionen zu geben, um die Ungerechtigkeit in
Palästina zu unterstützen.
Diejenigen, die sich
entscheiden, Israel zu unterstützen, werden eines
Tages leugnen, was sie taten, oder sich in Scham in
einer Ecke verkriechen.
Die Übrigen von uns
können dann stolz sagen, dass wir die Gerechtigkeit
unterstützt haben. Dank BDS hat die Gerechtigkeit
gesiegt.
Danke.
(Rest übers. v. Inga Gelsdorf )
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