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Vortrag einer
israelischen Mutter vor dem euroäischen Parlament
Nurit Peled-Elhanan
Strasbourg zum 4.7.2010 am
Internationalen Tag der Frauen
Dr.Nurit Peled -Elhanan ist die Mutter von Smadar Elhanan. Ihre 13
jährige Tochter wurde im September 1997 in Jerusalem bei einem
Selbstmordanschlag getötet.
Ich möchte Sie einladen gut zuzuhören
und zu verstehen, was eine Frau zu sagen hat, die um ihre Tochter
trauert, Opfer eines brutalen Attentats. Ich wage zu hoffen, dass
meine Überlegungen von denen angenommen werden, die sich für Frieden
in unserer aufgeregten und geteilten Welt einsetzen.
Zuerst möchte ich mich für Ihre
Einladung bedanken. Es ist mir eine Ehre hier im Europäischen
Parlament sprechen zu dürfen. Dennoch möchte ich anmerken, dass es
gerechter wäre, wenn Sie eine palästinensische Frau an meiner Stelle
eingeladen hätten, weil es die palästinensischen Frauen in meinem
Land sind, die am meisten leiden.
Ich möchte deshalb meinen
Vortrag Miriam R'aban und ihrem Ehemann Kabal de
Bet Lahiya aus dem Gazastreifen widmen: ihre fünf Kinder wurden
von israelischen Soldaten getötet, als sie Erdbeeren im elterlichen
Betrieb ernteten. Offensichtlich wird dieser Mord niemals vor
Gericht gebracht . Als ich die Organisatoren fragte, warum keine
Einladung an eine palästinensische Frau gerichtet worden sei, wurde
mir geantwortet, das Risiko von schwierigen Auseinandersetzungen sei
zu hoch.
Ich glaube nicht, dass Gewalt nicht
zu orten ist. Ich weiß dagegen, dass Rassismus und Diskriminierung,
auch als theoretische Konzepte und universelle Phänomene immer
lokale Auswirkungen haben!
Wir beklagen, dass sich Gewalt der
israelischen Regierung und Armee gegen palästinensische Frauen
überall ausbreitet. Es ist tatsächlich so, dass Gewalt,
gleichgültig, ob sie von Staat oder Armee ausgeht, kollektiv oder
individuell, zum Schicksal muslimischer Frauen wird, nicht allein in
Palästina, sondern überall: jede zu westlichen Einflüssen neigende
Region trägt diesen imperialistischen Stempel. Diese Gewalt erregt
fast nirgendwo Anstoss und wird von den meisten Menschen in Europa
und den Vereinigten Staaten hingenommen. Und nur weil sich die
sogenannte freie Welt vor Frauen mit muslimischer Prägung fürchtet..
Zum Beispiel das großartige Frankreich,
dessen Devise "Freiheit, Gleichheit,Brüderlichkeit" ist, fürchtet
sich vor dem Schleier der kleinen Mädchen. Das großartige Israel
fürchtet sich, wenn seine Minister die demoskopische Bedrohung
beschwören: muslimisch geprägte Frauen!
Die allmächtigen Vereinigten Staaten
von Amerika täuschen ihre Bürger, wenn sie ihnen blinde Angst vor
den Muslimen einjagen. Letztere werden mit jedem Namen benannt und
als gemein und blutrünstig beschrieben, abgesehen davon, dass sie
antidemokratisch und chauvinistisch seien und unzählige zukünftige
Terroristen produzierten. Trotzdem sind es nicht Muslime, die heute
die Welt zerstören; der Eine von ihnen ist ein eifriger Christ, der
Andere Anglikaner und ein Dritter nicht praktizierender Jude.
Ich habe nie die Leidenserfahrung
gemacht, wie sie palästinensische Frauen tagtäglich, ja stündlich
erleben und ich weiß nicht darum, wie Gewalt das Leben einer Frau in
eine immerwährende Hölle verändert. Diese Frauen erleiden das
Marthyrium durch die tägliche mentale und physische Folterung. Die
wichtigsten Menschenrechte, das Recht auf Würde und Intimität werden
ihnen verwehrt. So werden, gleichgültig ob am Tag oder in der Nacht
unter Waffenandrohung ihre Häuser angegriffen, sie werden gezwungen,
sich zu entkleiden, -nackt vor Fremden und unter den Augen der
eigenen Kinder. Diese Frauen, deren Häuser zerstört wurden , sind
nun mittellos und haben keine Aussicht auf ein normales
Familienleben. All das kenne ich nicht aus persönlicher Erfahrung.
Ich bin aber Opfer dieser Gewalt gegen Frauen, denn Gewalt gegen
Kinder ist nichts anderes als Gewalt gegen Mütter.
So betrachte ich die palästinensischen,
irakischen , afghanischen Frauen als meine Schwestern, weil wir
alle auf die Gnade der gleichen gewissenlosen Verbrecher angewiesen
sind, die sich selbst zu Führern der freien emanzipierten Welt
ernannt haben. Und- im Namen dieser Freiheit und dieser Emanzipation
stehlen sie unsere Kinder.
Im Übrigen, eine wahrhaftige besondere
Beschaffenheit und Gehirnwäsche haben die israelischen Mütter,
Amerikanerinnen, Italienerinnen und Engländerinnen blind gemacht.
Sie können es nicht mehr verstehen, dass die einzigen Schwestern und
Verbündeten, die sie in dieser Welt haben können, muslimische
palästinensische, irakische oder afghanische Mütter sind, deren
Kinder getötet wurden von den Unsrigen, oder von denen, die es
vorziehen, sich in die Luft zu jagen und unsere Spröslsinge mit
sich in den Tod zu nehmen.
Sie können nicht mehr analysieren, da
ihr Gehirn nicht fähig dazu ist oder sogar von einem Virus durch
die Politiker infiziert wurde. Diese Viren werden unter ruhmreichen
Namen wie Demokratie, Patriotismus, Gott oder Vaterland verbreitet
; in Wirklichkeit sind sie identisch. So entstehen falsche und
irrige Ideologien, die die Reichen bereichern und den Mächtigen
Macht geben sollen.
Deshalb sind wir alle Opfer einer
zugleich mental, psychologisch und kulturellen Gewalt. Wir bilden
eine homogene Gruppe von trauernden oder potentiell trauernden
Müttern.
Westlich eingestellte Mütter sind, so
haben sie es gelernt, überzeugt, dass ihre Prägung ein nationaler
Trumpf ist, während die muslimische Prägung für sie internationale
Bedrohung bedeutet. Unglücklicherweise haben sie nie gelernt zu
sagen: "ich habe ihn in die Welt gesetzt und gestillt, ich werde es
niemals zulassen, dass er sich zu denen hingezogen fühlt, denen
menschliches Leben kein Sous, oder kein Tropfen Benzin oder in
Zukunft kein Stückchen Erde wert ist."
So sind wir alle aufgeschreckt durch
eine Erziehung , die uns vergiftet hat und die uns glauben macht,
dass alles, was wir tun können, ist, zu beten,dass die Kinder nach
Hause kommen oder wir stolz auf ihren Tod sind.
Ich betone, wir sind so erzogen worden,
alle diese Prüfungen still zu ertragen, Angst und Frustration zu
verdrängen, und niemals Mutter Courage in der Öffentlichkeit
anzurufen, niemals eine wirkliche jüdische, italienische oder
irische Mutter zu sein.
Ich bin ein Opfer von Staatsgewalt.
Meine zivilen und natürlichen Rechte als Mutter sind verletzt worden
und werden weiterhin verletzt, weil ich darum bangen muss, wenn mein
Sohn 18 Jahre alt wird und mir entrissen und weit weg von mir
gebracht wird,um Bauer zu werden im Schachspiel von Verbrechern wie
Sharon, Bush und Blair, sowie ihren nach Blut, Benzin und Boden
gierigen Generälen. Hinsichtlich der Welt, in der ich lebe, des
Staates in dem ich lebe, der Regierung, der ich mich beugen muss,
würde ich es sicherlich niemals wagen, muslimischen Frauen
vorzuschlagen, ihr Leben zu ändern; ich wollte nicht, dass sie den
Schleier ablegen oder andere Erziehungsvorstellungen für ihre Kinder
übernehmen. Ich würde es nicht zulassen, dass sie Demokratien nach
westlichem Stil aufbauen und einrichten, denn sie und die Ihrigen
wären tief enttäuscht.
Ich würde sie höchstens vorsichtig
fragen , ob sie meine Schwestern sein mögen. Ich würde ihnen
eingestehen, dass ich ihre Beharrlichkeit und ihren Mut bewundere,
nicht aufzugeben, und weiter Kinder haben zu wollen, um ein Leben
mit Familie in Würde führen zu können, selbst unter den absurden
Lebensbedingungen, die ihnen durch meine Welt gestellt werden.
Ich würde ihnen auch versichern, dass
uns der gleiche zerreißende Schmerz vereint, denn wir alle sind
Opfer derselben Gewalt, auch wenn ihr Leiden das Unsrige übertrifft;
denn sie sind es, die von meiner Regierung und ihrer Armee,
finanziert von unseren Steuern, misshandelt werden.
Im Übrigen möchte ich feststellen, dass
der Islam , wie Judentum und sogar das Christentum keine Bedrohung
für mich sind. Im Gegenteil, die wahre Bedrohung geht vom
amerikanischen Imperialismus aus, von Gleichgültigkeit und der
Zusammenarbeit mit Europa, von israelischem Rassismus und seinem
feindlichen Besatzungssystem. Rassismus, pädagogische Propaganda und
Xenophbie haben sich bei den Menschen tief eingeprägt, und führen zu
Hetze und dazu, dass israelische Soldaten aus vorgeblichen
Sicherheitsgründen mit Waffenandrohung palästinensische Frauen
auffordern, sich vor den Augen ihrer Kinder auszuziehen. Es zeugt
auch von Verachtung und mangelndem Respekt, wenn amerikanische
Soldaten irakische Frauen vergewaltigen. Aus den gleichen Gründen
werden junge Frauen unter barbarischsten und brutalsten Bedingungen
ohne ein Minimum von Hygiene, von Israelis eingesperrt.
Die gefangenen Frauen haben im Winter
keine Elektrizität, Wasser oder saubere Matratzen. Schlimmer noch,
sie werden getrennt von ihren Kindern, die sie nicht stillen können
und von ihren Kleinkindern. Die Qual setzt sich fort, da der Weg zum
Krankenhaus, zu Bildung, für diese Frauen, versperrt ist. Ihre
Grundstücke werden konfisziert, die Bäume entwurzelt und es ist
ihnen von nun an verboten, auf ihren Feldern zu arbeiten.
Ich versuche , mich in eine
palästinensische Frau hinein zu versetzen, aber ich kann sie nicht
verstehen, mir ihren Schmerz nicht vorstellen. Ich weiß auch nicht,
wie ich solche Demütigungen und solche Missachtung der ganzen Welt,
überleben könnte.
Deshalb, bin ich ganz sicher, dass die
Stimme der Mütter, auf diesem von Krieg verwüsteten Planeten, sehr
lange unterdrückt wurde. Wie kann man die Tränen von Müttern
wahrnehmen und bezeugen, wenn sie nicht zu internationalen Foren,
wie diesem heutigen, eingeladen werden?
Auch, wenn ich nicht viel zu bieten
habe, bin ich davon überzeugt und werde das auch niemals vergessen,
dass diese Frauen meine Schwestern sind, dass es meine Pflicht ist,
für sie zu weinen und für sie zu kämpfen. Wir sollten uns erinnern
an die Frauen, die ihre Kinder im Erdbeerfeld oder auf schmutzigen
Straßen in der Nähe der check points verlieren.
Auf ihrem Schulweg werden
palästinensische Kinder getroffen von den Schüssen unserer Kinder,
die erzogen wurden nach dem Diktat eines Konzeptes, das Liebe und
Anteilnahme an Rasse und Religion bindet.
Allen diesen verratenen Frauen und
Kindern kann ich nur meine ganze Unterstützung zusagen, mit der
Frage von Anna Akhmatova ( eine Frau, die unter einem anderen
Gewaltregime gegen Frauen und Kinder gelebt hat): Warum zerreißt dir
ein Netz von Blut die Blüte Deines Lebens?
Quelle:
www.info-palestine.net
Übersetzung Gertrud Nehls
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