Surrealismus in
Bilin
Adam Keller, Gush Shalom, 9.10.05
Die Armee verhängte eine
Ausgangssperre über Bilin und untersagte die wöchentliche
Anti-Mauer-Demonstration. Trotzdem fand der Protest mit Hilfe
mehr als 200 Israelis statt.
Wir sind Zeugen eines Versuches,
das Dorf Bilin zu einer Art Gegengewicht zur Räumung der
Siedlungen im Gazastreifen zu machen und brutale Gewalt gegen
die Palästinenser anzuwenden. „Wir israelischen
Friedensaktivisten weisen diesen Akt des „Gegengewichtes“ strikt
ab,“ sagen die Organisatoren der Solidaritätsaktion, die heute
hier im Dorf trotz der Bemühungen der Armee, sie zu verhindern,
stattfindet. Die Siedler im Gazastreifen haben mit Gewalt Land
an sich genommen, das ihnen nicht gehört und verletzten so das
Völkerrecht.
Die Menschen von Bilin wollen nur
ihr Land bewahren, das sie geerbt haben und das die einzige
Quelle ihres Lebensunterhaltes ist. Es ist Land, das die
israelische Regierung mit Hilfe des „Trennungszaunes“ enteignen
will und zur Ausdehnung von Siedlungen verwenden will.
Schon letzten Freitag fiel die
Armee in Bilin ein und wandte beträchtliche Gewalt an, um die
wöchentliche Demonstration zu verhindern. Damals verlangte der
Militärkommandeur, dass das Biliner Volkskomitee keine
israelischen Aktivisten zum wöchentlichen Protest mehr einladen
solle. Die Forderung wurde zurückgewiesen.
Heute Morgen kam die Armee und
Grenzpolizei schon um 5 Uhr morgens nach Bilin und erklärte eine
Ausgangssperre, untersagte die wöchentliche Demo und befahl den
8 Israelis, die übernacht in Bilin geblieben waren, wegzugehen.
Als sie dies verweigerten, wurden alle verhaftet. Inzwischen
kamen die Biliner Bewohner aus ihren Häusern heraus und brachen
damit die Ausgangssperre. Sie begannen auf den Straßen auf Töpfe
und Pfannen zu trommeln.
Erst als die Soldaten mit
Gummi-ummantelten Stahlkugeln, Tränengas- und Lärmbomben zu
schießen begannen, begann ein Teil der Dorfjugend mit Steinen zu
werfen.
Inzwischen waren mehr als 200
israelische Aktivisten, Unterstützer von Gush Shalom, Taayush
und Anarchisten gegen die Mauer und andere in einem Buskonvoi
aus Haifa, Tel Aviv und Jerusalem gekommen. Die Armee hatte alle
Zufahrtsstraßen nach Bilin abgesperrt – aber die Demonstranten
erreichten durch die ultra-orthodoxe Siedlung Modiin Illit (Kiryat
Sefer) , das auf dem Land von Bilin und den benachbarten Dörfern
gebaut wurde, ihr Ziel: Zuletzt kamen die Protestierer durch das
Baugebiet einer neuen Siedlung in die Olivenhaine und die Täler
von Bilin, die für die weitere Ausdehnung der Siedlung
vorgesehen sind. Ein Armeeoffizier, der sofort zur Stelle war,
rief über Megaphon: „Stop! Stop“ Sie betreten ein militärische
Sperrgebiet!“ Aber die Demonstranten ignorierten ihn und stiegen
in das felsige Tal hinunter.
Während sie einige Kilometer durch
schwieriges Gelände während der heißesten Zeit gingen, kamen sie
an der westlichen- der israelischen Seite – des Trennungszaunes
an. Militär und Polizei, die dort warteten, schossen mit
Tränengas und versuchten, sie zu verhaften. Die Demonstranten
teilten sich in mehrere kleine Gruppen und den meisten gelang
es, im Gebiet von Bilin anzukommen, wo sie weiter von Soldaten
und Polizei bis in die Seitenstraßen verfolgt wurden. Die
Bewohner von Bilin begrüßten sie mit großer Begeisterung und
boten ihnen in ihren Häusern Zuflucht an – und kaltes Wasser.
Etwa 25 Israelis wurden verhaftet, unter ihnen Dr. Anat Matar
von der Uni in Tel Aviv,(Philos. Fakultät) und der alte
Meretz-Aktivist Lativ Dori. Einige von ihnen wurden in
Polizeiwagen gezerrt, nachdem sie passiv der Verhaftung
widerstanden.
Über 100 Demonstranten gelang es,
zum Hauptplatz vor die Moschee zu gelangen, wo sie auf eine
große Zahl von palästinensischen Curfew-Brechern trafen. Es
waren auch viele internationale Aktivisten anwesend, die meisten
von ihnen US-Amerikaner. Etwas später kamen noch mehr Israelis,
die zurückgeblieben waren, aber nicht aufgegeben hatten. Unter
ihnen waren der frühere KM Uri Avnery von Gush Shalom, der am
nächsten Tag 82 Jahre alt wurde, Yakov Manor von Ta’ayush und
Dorothy Naor von New Profile.
Eine Stunde lange standen die
Demonstranten den Soldaten und der Grenzpolizei gegenüber und
sangen: „Der Zaun ist Terror, die Verweigerer sind Helden“, oder
„Das Militärgefängnis ist ein prima Platz, wenn du deinem
Gewissen folgst.“ Einige riefen den Soldaten zu: „Warum umarmt
ihr uns nicht wie die Siedler?“ Die Bevölkerung von Bilin
forderte zum Tanzen und Klatschen und Singen auf: „Wir werden
gewinnen, wir werden gewinnen, hier in Bilin, hier in Bilin,
Christen und Muslime, Hand in Hand, die israelische Bewegung ist
mit uns“. Dann fuhr der große Gefangenenwagen über den Platz mit
den verhafteten Aktivisten, die von drinnen trommelten. Andere
riefen: „Soldaten geht heim! Schluss mit der Besatzung!“ Zwei
weibliche Gefangene, die herauszuspringen versuchten, wurden von
Soldaten wieder hineingezerrt.
...
„Die Armee versuchte die
Bevölkerung von Bilin zu brechen und mit brutaler Kraft ihr
Recht zu protestieren zu verhindern. Vor allem wollten sie die
Ankunft von israelischen Unterstützern verhindern, deren
Anwesenheit der Armee die Freiheit zu Randalen nimmt. Die Folge
war das genaue Gegenteil. Heute kamen nach Bilin viel mehr
Israelis als am vorigen Freitag. Sie haben nicht nur nicht den
Marsch verhindert, sondern förderten ihn mehr als vorher“, sagte
Yonatan Pollak von den Anarchisten gegen die Mauer, einer der
Zentralfiguren bei den wöchentlichen Bilin-Protesten.
Kurz nach dem Ende der Demo wurden
die meisten Verhafteten entlassen. Die Armee behielt jedoch
Abdallah Abu Rahme, den wichtigsten Aktivisten des Bilin
Volkskomitee in Haft. Er war schon mehrfach in den letzten
Monaten in Haft . Die Koalition gegen den Zaun verlangt seine
sofortige Entlassung: Er ist in der ganzen Region eine wohl
bekannte Persönlichkeit für seinen totalen Einsatz beim
gewaltfreien Kampf. Es ist ein Skandal, dass solch ein Mann
immer wieder im Gefängnis landet.“
(dt. und etwas gekürzt: Ellen
Rohlfs) |