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Ludwig Watzal
Die Stunde der Puritaner
PALäSTINA NACH DER WAHL-
Gelingt Hamas so etwas wie ein "demokratischer Islamismus"?Dieser grandiose Wahlsieg hat viele Väter. Der
"Friedensprozess" gehört ebenso dazu wie die Politik Ariel Sharons.
Oder das Unvermögen der Präsidenten Arafat und Abbas, dem Filz und
der Vetternwirtschaft ernsthaft Einhalt zu gebieten. Nicht zu
vergessen die Politik des Westens. Was im einzelnen den Ausschlag
gab für diesen "Triumph der Extremisten", lässt sich schwer
abschätzen. Nur soviel ist sicher - für die Palästinenser in den
Autonomiegebieten begann das Elend der Korruption mit der Rückkehr
der "Tunesier", wie man diejenigen nannte, die zusammen mit Yassir
Arafat nach dem Exil in Tunis Mitte der neunziger Jahre in die
Autonomiegebiete zurückkehrten und sich das Land mit seinen
spärlichen Ressourcen zur Beute machten. Für die "Tunesier" waren
die Hamas-Mitglieder stets "Puritaner", deren Idealismus so
weltfremd wie gefährlich schien.
Hamas müsste handeln wie einst die PLO unter
Yassir Arafat
Jetzt müssen die "Puritaner" zeigen, ob sie besser regieren können
als die "Tunesier". Ob sie verstehen, dass sich Arbeitslosigkeit und
wirtschaftlicher Niedergang im Gaza-Streifen und in der Westbank
kaum durch eine Islamisierung der Gesellschaft werden aufhalten
lassen. Der Ruf "Islam ist die Lösung" mag für Wahlkämpfe taugen -
beim Regieren hilft er wenig. Dennoch hat Hamas bereits die
Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft verkündet. Für die
Frauen wäre das ein ungeheurer Rückschlag. Ob auch für die Meinungs-
und Pressefreiheit, bleibt abzuwarten. Diese demokratischen Rechte
werden in Palästina - verglichen mit Ägypten oder Saudi-Arabien -
bislang in geradezu mustergültiger Weise respektiert. Gelingt Hamas
so etwas wie ein "demokratischer Islamismus"?
Zuvor ist ideologische Abrüstung geboten - Israel, die USA und die
EU haben Hamas stets als Terrororganisation verurteilt. Im
Umkehrschluss bedeutet dies, mehr als die Hälfte aller Wähler in den
Autonomiegebieten und in Ostjerusalem habe sich für "Terroristen"
entschieden. Weitblickende Israelis, der Mühe des Differenzierens
nicht abgeneigt, haben dagegen die soziale Leistungskraft von Hamas
hervorgehoben; einige wollten schon deshalb Verhandlungen mit ihr
nicht auf ewig verneinen. Vielleicht auch in der Überzeugung, dass
Islamisten die ihnen zuerkannte Macht durchaus pragmatisch zu
handhaben wissen, wird ihnen das dafür nötige
Verantwortungsbewusstsein nicht bestritten.
Hamas hat seit August 2004 keinen Terroranschlag mehr gegen Israel
verübt. Sollten Hamas-Politiker eine Regierung bilden, müssten sie
sich endgültig von einer Strategie verabschieden, die Gewalt nicht
ausschließt - sie müssten handeln wie einst die PLO unter Yassir
Arafat. Sie müssten das Existenzrecht Israels anerkennen und ihre
Charta ändern. Sie müssten der klugen Zurückhaltung nach dem 25.
Januar Taten folgen lassen.
Auch was die Autonomiebehörde unter Arafat und Abbas an Moral und
Wiederaufbau schuldig blieb, könnte Hamas durch Purismus gelingen.
Will heißen, ein Appell an das Ehrgefühl der Menschen und die
islamische Ethik, könnte - wenn nicht Berge versetzen - so doch
Müll- und Schutthalden in den verfallenden Stadtlandschaften der
Westbank beseitigen. An einer Zusammenarbeit mit Israel, die alles
andere als eine Partnerschaft wäre, führt dabei kein Weg vorbei.
Es wird zunächst darauf ankommen, nicht nur die Autorität der
Exekutive, sondern auch die Disziplin unter den rivalisierenden
Gruppen wieder herzustellen. Da Hamas hierarchisch straff gegliedert
ist, dürften andere Gruppen notfalls gewaltsam diszipliniert werden.
Möglicherweise wird eine Hamas-Regierung in Palästina den Terror so
bekämpfen, wie es eine Likud-Regierung in Israel immer gefordert
hat. Ist ein Junktim zwischen Terrorbekämpfung der einen und
politischen Konzessionen der anderen allzeit undenkbar?
Vorerst allerdings wird ein Ministerpräsident der Hamas keinen
israelischen Ansprechpartner haben. Im Gegenteil, der 25. Januar
stärkt die Scharfmacher unter Israels Rechten, besonders Benjamin
Netanyahu. Er hat den Abzug aus dem Gaza-Streifen immer mit dem
Argument abgelehnt, ein solcher Schritt begünstige die
palästinensischen Extremisten. Nun scheint sich die Prophezeiung zu
bewahrheiten. Als ob es unter diesen Umständen ein Imperativ wäre,
hat Ehud Olmert als amtierender Premierminister in Jerusalem sofort
die Flucht nach vorn angetreten und verfügt, den Bau von
Sicherheitszaun und Mauer schnellstens abzuschließen und damit die
"endgültige Grenze Israels" zu markieren. Sollte man in seinem
Kabinett tatsächlich glauben, Chaos und Elend der Palästinenser
würden hinter diesen acht Meter hohen Sperranlagen einfach
verschwinden? Und für immer verschwunden bleiben?
Neben der israelischen existiert nun auch eine
palästinensische Demokratie
Und was sagt George Bush? Hat für ihn das palästinensische Volk die
amerikanische Demokratisierungsstrategie glaubwürdiger umgesetzt als
das irakische? Es steht außer Zweifel, im Nahen Osten existiert
neben der israelischen nun auch eine palästinensische Demokratie.
Die Exklusivität, die Israel jahrzehntelang für sich in Anspruch
nahm, ist perdu. Alle arabischen Nachbarn müssten sich veranlasst
fühlen, dem palästinensischen Beispiel zu folgen - ob Hosni Mubarak,
König Abdullah von Jordanien oder die Herrscher aus dem Emiraten am
Persischen Golf. Es winkt ein "Regime Change" durch Wahlen. Wer
wollte da abseits stehen? Merkwürdig, dass ausgerechnet in einem
solchen Augenblick Boykottdrohungen laut werden und von versiegenden
Geldflüssen für die Palästinenser geredet wird. Und nicht über deren
wirkliche Probleme.
Bundeskanzlerin Merkel hat bei ihrem Besuch in Israel und Palästina
Anfang der Woche keinen der Spitzenkandidaten von Hamas treffen
wollen. Stattdessen sprach sie mit Präsident Abbas, einem König ohne
Volk und Land.
Quelle
Homepage Dr. Ludwig Watzal |
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