Liebe LeserInnen,
endlich finde ich etwas Zeit, um zumindest die letzten Mails, die
mich erreichten, für euch auszuwerten. Bis das wieder einigermaßen
regelmäßig geht, werden noch ein paar Wochen ins Land gehen.
Inzwischen danke ich Ellen Rohlfs, dass sie immer wieder informative
Artikel übersetzt. Besonders beeindruckt hat mich Uri Avnerys Rede
in Berlin, die in einer ihrer letzten Artikelsammlungen enthalten
war. Er zeichnet eindrucksvoll die tiefe Kluft nach zwischen dem
Geschichtsverständnis beider Seiten des Konflikts und wie sehr sie
die Verständigung erschweren bzw. unmöglich machen.
Mehrere Beiträge weisen auf dis
israelischen Versuche, in einer Öffentlichkeitskampagne Abu Mazen/Mahmoud
Abbas als Verhandlungspartner regelrecht zu diskreditieren. Immer
wieder wird behauptet, dass der Weg zu Verhandlungen irgendwelcher
Art erst beschritten werden kann, wenn "wirksame Schritte von der PA
unternommen werden, den Terror einzudämmen". Gleichzeitig wird auf
die Schwäche Abu Mazens hingewiesen und auf seine schwindende
Unterstützung im eigenen Volk, die diese wirksamen Schritte
unmöglich macht.
Dabei zeigt ein Artikel von Danny Rubinstein, veröffentlicht in
Haaretz am 17. Oktober, das Gegenteil auf:
Eine öffentliche Umfrage, die vorige Woche veröffentlicht wird,
zeigt einige überraschende Ergebnisse. Abu Mazen hat tatsächlich in
letzter Zeit an Kraft zugenommen. Die Umfrage wurde in der Westbank
und im Gazastreifen von der Bir Zeit Universität durchgeführt,
scheint also ziemlich zuverlässig zu sein.
Nach der Umfrage ist die allgemeine Unterstützung für Abu Mazen von
33% im April 2005 auf etwa 45% gestiegen, mehr noch in Gaza als in
der Westbank. Die meisten Befragten unterstützen seine Politik ganz
allgemein - vor allem den Waffenstillstand mit Israel und das
Verbot, öffentlich Waffen zu tragen. Man erwartet generell eine
Verbesserung des Funktionierens der Sicherheitskräfte. Zugleich
unterstützt eine besonders große Mehrheit Abu Mazens Entscheidung,
die Milizen nicht zu entwaffnen.
Bei seinem gegenwärtigen diplomatischen Besuchen will Abu Mazen
seine Gastgeber, vor allem Präsident Bush informieren, dass er keine
Fortschritt erzielen kann solange Israel ihn im Gazastreifen
zurückhält und Zäune und Trennungsmauer baut, Jerusalem weiter
judaisiert und die Siedlungen ausbaut. Er wird darauf hinweisen,
dass die Gewalt zunehmen wird, wenn Israel ihn weiterhin zu
schwächen sucht, um dann behaupten zu können, "Es gibt keinen
Gesprächspartner".
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Zum Thema Mauer schreibt Chris McGreal im Guardian am 18. Oktober:
Am nördlichen Stadtrand von Jerusalem, auf der Hauptstraße nach
Ramallah, kommen drei turmhohe Betonmauern um eine schnell gebautes
Labyrinth von Käfigen, Drehkreuzen und bombensicheren Räumen
zusammen.
Wenn die Bauarbeiten in Qalandia in den nächsten Wochen beendet
werden, werden die letzten Lücken in der 8m hohen Mauer geschlossen
und diejenigen, die noch reisen dürfen zwischen den beiden Städten
werden durch ein Gewirr von Identitäts- und Sicherheitschecks
geleitet, wie bei einer internationalen Grenze [und wo das, außer
vielleicht in Israel?]
Das israelische Militär hat die Übergangsstelle während der letzten
Monaten ohne viel Aufsehen gebaut, mit anderen Posten der riesigen
neuen "Sicherheitsbarriere" entlang die Jerusalem umschließt,
während die Aufmerksamkeit der Welt auf die Entfernung der Siedler
aus dem Gazastreifen durch Ariel Sharon gerichtet war.
Aber diese de facto Grenzposten sind nur eine Element in einem Netz
von Bauten offensichtlich dazu gedacht, die Grenzen Israels neu zu
ziehen tief innerhalb der palästinensischen Gebiete und ganz
Jerusalem als Israels Hauptstadt zu sichern, und dies so schnell zu
machen , dass die ganze Frage nicht mehr verhandelbar ist. Während
ausländische Führer, einschließlich Tony Blair, Sharon lobten für
seinen "Mut" beim Gazarückzug, war Israel dabei, die Konstruktion
der Westbank Barriere zu beschleunigen, enteignete dabei mehr Land
in der Westbank als es in Gaza aufgab und baute tausende neuer
Wohnungen in jüdischen Siedlungen.
"Es ist ein Tauschgeschäft: der Gazastreifen für die
Siedlungsblöcke; der Gazastreifen für palästinensisches Land; der
Gazastreifen für einseitig auferlegte Grenzen," sagte Dror Etkes,
Direktor der israelischen Organisation Settlement Watch. "Sie wissen
nicht, wie viel Zeit sie haben: Sie bauen wie verrückt...
Parallel zur Mauer wurde der Bau in jüdischen Siedlungen während des
ersten Quartals diesen Jahres um 83% erhöht verglichen mit 2004. ..
Die Gesamtzahl der Siedler ist um etwa 14000 gestiegen, verglichen
mit 8 500, die aus Gaza vertrieben wurden... Allein im Juli hat
Israel mehr land gegriffen als es in Gaza aufgab: es zog sich von
etwa 19 Quadratmeilen zurück, während 23 Quadratmeilen um Maale
Adumim in der Westbank abgeriegelt wurden...
Vorige Woche sagte Sharon einem Treffen seiner Likudpartei dass es
wichtig sei, die Siedlungen zu vergrößern ohne die Aufmerksamkeit
der Welt zu erregen. "Reden ist nicht nötig. Wir müssen bauen, ohne
darüber zu reden." Ein paar Tage später sprach Eyal Arad, ein
Hauptberater Sharons öffentlich von "einer Strategie, einseitig die
permanenten Grenzen des Staates Israels festzusetzen."
Arabische Viertel der Stadt werden von ihrer Umgebung komplett
abgereigelt, der Norden vom Süden des palästinensischen Territoriums
am engsten Punkt durchtrennt. Organisationen wie die International
Crisis Group meinen, dies könnte explosive Konsequenzen haben.
"Gegenwärtige Maßnahmen in und um die Stadt herum werden künftige
Bemühungen, den Konflikt zu lösen, unendlich verkomplizieren und
vielleicht vernichten... eine Zweistaatenlösung unmöglich machen und
die Saat eines wachsenden Radikalismus ausstreuen."
Sharon rechnet scheinbar mit weiterem Schweigen seitens Amerika und
europäischen Hauptstädten, weil nächstes Jahr Wahlen bevorstehen,
und Washington möchte, dass er gegen seinen Hauptherausforderer,
Binyamin Netanyahu, gewinnt... Aber Yossi Beilin, früherer
israelisches Kabinettsmitglied und Friedensverhandler, weist
daraufhin, dass mangelnder Druck aus Washington und den anderen
Mitgliedern des Quartets, die die "Roadmap" beaufsichtigen, Sharon
freie Hand lässt beim Ziehen neuer Grenzen.
"Die Roadmap ist ein großer Witz. sie ist nichts als heiße Luft,"
sagte Beilin. "Ich bin sehr pessimistisch - ich sehe eine große
Lücke zwischen den Reden fremder Regierungen - und die
Tatenlosigkeit auf dem Boden. Sharon macht einfach was er will."
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Zugleich geht natürlich die Gewalt gegen Palästinenser ungebrochen
weiter. In dem Dorf Salem wurden 200 ha Boden durch eine
nur-für-Siedler Umgehungsstraße abgetrennt. Der Zugang zu diesem
Land - besonders wichtig zur Zeit der Olivenernte - wird durch
Siedlergewalt unmöglich gemacht. Viele Hektar Olivenbäume wurden
durch ein von Siedlern entfachtes Feuer zerstört. Die Palästinenser
sind durch die fortdauernde Gewalt gezwungen, die israelische
Autorität um Schutz zu bitten, aber selbst wenn Soldaten zu diesem
Zweck geschickt werden, unternehmen sie gewöhnlich nichts gegen die
Angriffe.
Ein älterer Palästinenser wurde sogar durch eine Wildschwein
getötet. Da Wildschweine in diesem Gebiet normalerweise nicht
vorkommen, glauben die Palästinenser, dass israelische Siedler oder
Soldaten sie dort freigelassen haben, um die Ernte zu zerstören und
das Leben der Palästinenser zu bedrohen.
In einem besonders eklatanten Fall am 27. Oktober in Hebron hat die
israelische Polizei eine 15-jährige Schülerin festgenommen, die um
Schutz gebeten hatte, weil sie von einem israelischen Soldaten und
mehreren Siedlern misshandelt wurde. Menschenrechtsbeobachter, die
hinzukamen, wurden ebenfalls misshandelt. Daraufhin bat das Mädchen
die Beobachter, die Polizei zu rufen, in der Hoffnung, dass diese
sie
beschützen würde. Die Siedler haben sie und die
Menschenrechtsbeobachter weiterhin gestoßen und geschubst. Als die
Polizei kam, haben sie aber das Mädchen festgenommen, wie die
Siedler es verlangten. Sie wird (soweit berichtet wurde) weiterhin
festgehalten und sowohl einem Anwalt als auch ihrer Familie der
Zugang verwehrt.
Die (ausländischen ) Menschenrechtsbeobachter wurden weiterhin
misshandelt. Die Soldaten haben sich eine Zeit lang zwischen ihnen
und den Siedlern gestellt, sie aber schließlich zur Polizeistation
mitgenommen. Nach Anrufen durch ihre Konsulate wurden sie später am
Abend freigelassen.
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Bil'in geht der gewaltfreie Widerstand, mit allfreitaglichen
Demonstrationen unverdrossen weiter, trotz allen Bemühungen des
Militärs, ihn zu verhindern. Am 28. Oktober war ein Zug mit einem
20m-langen Transparent mit einem Botschaft im Geist der Urteile des
internationalen Gerichtshof. Die DemonstrantInnen wollen mit
verbundenen Händen marschieren und Namensschilder mit den Namen
derer, die aus Bil'in festgenommen wurden, tragen. Am Freitag davor
haben sie die Entscheidung des Gerichtes, dass die Barriere zu
entfernen sei, umgesetzt indem sie Metallpfosten entfernten, die als
Fundament dienen sollten.
Als Antwort führt das israelisch Militär Festnahmen während der
Nacht durch. Sie gehen von Haus zu Haus und sammeln AktivistInnen
ein, von denen man weiß, dass sie an gewaltfreien Demos teilnahmen
und verwehrten dabei dem ganzen Dorf den Schlaf. Am Sonntagabend
verteilten sie Flugblätter in denen sie die DorfbewohnerInnen
warnten, dass die Beschädigung des Zaunes "Gewalt gegen
Sicherheitseigentum" sei und dass das "Alltagsleben der Dorfbewohner
wegen solcher Handlungen gestört werden wird".
In diesen Angriffen wurden 11 gewaltfreie Aktivisten festgenommen,
darunter eine 16-jähriger und 3 Brüder aus einer Familie. Am
gestrigen Donnerstag (den 27. 10.) sind zunächst weitere 4 Leute
festgenommen worden, später ist eine Truppe von etwa 20 Soldaten zum
vierten Mal in 5 Tagen eingedrungen. Die BewohnerInnen mit einigen
israelischen und internationalen Freiwilligen strömten aus den
Häusern, umringten die Truppe und fingen an zu singen und Sprüche zu
skandieren. Die israelisch Truppe hat sich schließlich zurückgezogen
und eine Liste von gesuchten palästinensischen Friedensaktivisten
hinterlassen.
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Immer wieder weist Dorothy darauf hin, dass die jüngst wieder
ausgebrochene Gewalt seitens einzelner Palästinenser eine Antwort
ist auf die andauernde Gewalt des israelischen Militärs, der im
September 38 Palästinenser zum Opfer fielen, mit 163 Verletzten, im
Oktober noch vor dem Mord an den Führer des islamischen Jihad 11
Getötete und 16 Verletzte. "Heute Abend noch," schreibt sie am 29.
Okt., "habe ich erfahren dass nachmittags einige Jeeps und 16
Soldaten in das Dorf Marda eindrangen gerade als die Leute beim
Gebet in der Moschee waren, andere den letzten Freitag des Ramadans
vor der Moschee genossen. Sie nahmen 2 Jugendliche von 14 und 19
Jahren mit. Im Lauf des Abends, nach vielen Anrufen, gelang es
herauszubekommen, wo die Jungen festgehalten wurden.
Angeblich waren erst der eine, dann auch der andere entlassen
worden, aber keiner schien sagen zu können, wo. "Ich nehme an, die
Soldaten und die Polizei glauben, dass das eine gute Methode ist,
Kindern beizubringen, keine Steine zu werfen. Lass sie 25 oder 30 km
mit leerem Magen stapfen (sie wurden vor dem Fastenbrechen
abgeschleppt, hatten also den ganzen Tag nichts gegessen oder
getrunken)! Sollen ihre Eltern schwitzen! Es scheint ihnen nie
einzufallen, dass, wenn sie aufhören würden in die Dörfer
einzudringen und die Bewohner zu beherrschen, die Jungen keinen
Grund hätten, mit Steinen zu werfen!"
Gestern kam ein ausführlicher Bericht über die Festnahme der Jungen
vom International Women's Peace Service, IWPS. Sie beschreiben wie
die Jungen willkürlich aufgegriffen wurden, nachdem Soldaten sagten,
ein Junge habe mit Steinen geworfen. Der Ältere sei 17 Jahre alt
gewesen.
Dem Vater des 14-jährigen haben sie gesagt, sie wollten ihn
außerhalb des Dorfes befragen. Der Vater konnte bis zum Dorfeingang
mitgehen und zusehen, wie sein Sohn mehrfach geschlagen wurde.
Schließlich wurde beiden Jungen die Augen verbunden und Handschellen
angelegt, und sie wurden weggebracht. Bei dem stundenlangen
Telefonieren, um die Jungen
zu finden, wurden immer wieder unterschiedliche Auskunft über ihren
Aufenthalt gegeben. Schließlich wurden sie - immer noch in
Handschellen und mit verbundenen Augen - um 1.45 Uhr vor dem Dorf
abgesetzt. Man habe ihnen Gewehre gegen den Kopf gedrückt und
gesagt, sie würden nun hingerichtet. Dann habe man die Augenbinde
des 14-jährigen entfernt und sie am Dorfeingang zurückgelassen.
Gegen 2 Uhr waren sie zuhause.
.......
Das Gesundheitsministerium in Gaza hat ein Bericht veröffentlicht,
nach dem 59 Menschen, einschließlich 37 Kinder psychischen Störungen
oder Komplikationen chronischer Erkrankungen unterworfen wurden
durch das fortgesetzte Durchbrechen der Schallmauer durch Flugzeuge
im Luftraum von Gaza. Drei Krankenhausangestellte wurden verletzt
als Möbel oderelektrische Geräte durch den Knall auf sie fielen. |