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ief-aus-Israel]


 

 From: "Angelika Schneider" <anka.sch(at)gmx.net To: <Brief-aus-Israel(at)yahoogroups.de Subject: [Brief-aus-Israel] Aktuelles aus den besetzten Gebieten  

 

Brief aus Israel 22.9.05
 

Liebe Leute,

vorweg, eine Bitte von den Eltern von KDVlern, die zur Zeit eine 28-Tage
Strafe nach der anderen absitzen müssen. Bitte eine Email senden mit
dem Text: Free the Occupation Refusers, mit Name und Emailanschrift,
an: Mirjam Hadar unter mhadar(at)post.tau.ac.il

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Die Organisation Shovrim Shtika (Das Schweigen brechen) arbeitet daran,
die Menschenrechtsverbrechen in den Palästinensergebieten einer breiteren Öffentlichkeit in Israel bewusst zu machen. Dazu geben sie Publikationen heraus - zur Zeit wird gearbeitet an einer Broschüre über Befehle und Vorgehen der israelischen Armee - z.B. Befehle, auf Zivilisten zu schießen, die keine Bedrohung darstellen, Racheakte, Schießung auf medizinisches Personal und noch mehr. "Diese Sammlung belehrt über die Tiefe der moralischen Korruption innerhalb der Armee, über die Stumpfheit moralischen Empfindens auch in den höchsten Diensträngen." Außerdem gibt es Eingaben an die Knesset, Touren für Knesset Mitglieder in die besetzten Gebiete und eine rege vortragstätigkeit.

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Und nun der vorgestern versprochene Artikel von Greta Berlin, dessen Inhalt zwar nicht neu ist, aber so anschaulich geschrieben, man meint man wäre dabei.

Thema:

Rühr mich nicht an

Ich hatte es an meinem letzten Tag in den besetzten Gebieten eilig, und man sollte nie eilen. Israelische Soldaten, Polizei und Checkpoints sorgen dafür, dass jeder, der ein Termin hat, ihn nicht erreichen wird.

Ich habe es aber vergessen. Es ist leicht dass zu tun, wenn man die Unterdrückung der Besetzung nicht gewohnt ist. Auch nach 5 Wochen des
Demonstrierens und Beobachtens, habe ichs vergessen. Ich hatte den Menschen in Beit Sahour, ein Vorort des sterbenden Bethlehems, auf Wiedersehen sagen wollen. Es war kein Problem, reinzukommen. Die Israelis haben eine riesige Mauer gebaut, die die Luft aus der kleinen Stadt saugt, sie lassen dich aber rein. Sie werden dich nur nicht heraus lassen nach Jerusalem, eine Stadt, die sie zur Zeit jüdisch machen.

Bethlehem ist eine Geisterstadt. Und Beit Sahour und Beit Jala sind noch schlimmer. Läden sind geschlossen, Restaurants arbeiten nicht mehr, die Christen gehen und die einzigen, die Handel treiben sind entweder neben Rachels Grab oder der Geburtskirche. Busse kommen und liefern Pilger und Juden, die nie die Mauern des Konzentrationslager sehen wenn sie durch die schmale Öffnung fahren. Juden, die Rachels Grab besuchen haben ihren eigenen Eingang gebaut mit einem ganz neuen Parkplatz auf den Häusern der Palästinenser gebaut, deren Land konfisziert wurde.

Ich ging zum Büro in Beit Sahour und sagte auf Wiedersehen. Ein junger Mann fragte mich, wohin ich fahre.

"Ich gehe zurück nach Frankreich, dann fahre ich nach Genf, um meiner Tochter ihre Katze zu "ringen. Dafür werde ich etwa 4 Stunden brauchen."

"Willst du sagen, dass du 4 Stunden lang fahren kannst ohne einen Checkpoint zu sehen?". Seine großen braunen Augen schauten mich mit Staunen an, dass ich reisen konnte ohne Soldaten, Polizei, Gewehre und Belästigung.

Ich blieb zu lange im Gespräch und als ich weg ging wurde mir klar dass
ich nur ein paar Stunden hatte, um mein Gebäck in Jerusalem zu holen und
zum Haus meiner Freunde in Tel Aviv zu fahren. Ich schnappte ein
Service (Sammeltaxi), der mich zum Checkpoint fuhr, lief durch die
schmale Öffnung in der Mauer und dann noch 200 m zum Olivgrünen Bau, mit Kamouflagenetzt behängt, der als Checkpoint dient.

Keiner stand in der Schlange, ein riesiger Unterschied gegenüber vor 2 Jahren, als sich im Checkpoint Straßenverkäufer und PalästinenserInnen drängten, die darauf warteten, nach Jerusalem durchzugehen. Wenn du christlicher oder muslimischer Palästinenser bist und hast keinen Jerusalem Ausweis kommst du nicht durch, auch wenn deine Familie dort wohnt.

Aber Juden und internationale Pilger fahren durch den engen Durchgang in klimatisierten Bussen nach Bethlehem und schauen gar nicht aus dem Fenster. Sie sind schließlich gute Deutsche, sehen nicht, hören nicht, bezeugen nicht.

Keiner war am Checkpoint als ich mich näherte und meinen Pass herausgab,
außer neun Soldaten die rumstanden, Feigen aßen und Wasser tranken. Sie
hatten ihre kugelsichere Westen in der Hitze ausgezogen und lehnten sich auf ihre M-16 Gewehre. Zwei weibliche Soldaten dirigierten den Verkehr, und sie bekamen gar keine kugelsichere Westen. Die israelische Armee sagt, sie haben nicht genug, um auch Frauen die Westen zu geben. Was ihnen an Ausrüstung fehlt, kompensieren sie durch ihre Einstellung.

Der Mann am zersplitternden Schreibtisch hatte einen Computer, schob meinen Pass durch einen Schlitz, schaute sich den Ausdruck an und sagte,
"Es tut mir leid, aber wir haben hier ein Problem mit Ihrem Pass."


"Ja, was denn genau für ein Problem?"

"Ich weiß es nicht aber Sie werden hier warten müssen bis wir es geklärt haben."

"Wie lange wird das genau dauern?"

"Weiß ich nicht, das ist nicht meine Verantwortung. Sie werden
festgehalten, bis wir es wissen." Damit drehte er sich um und ging ans
Telefon.

Ich war natürlich verärgert. Ich musste zurück nach Jerusalem und es gab keinen Grund mich festzuhalten, außer Belästigung. So nahm ich mein Telefon und rief eine Anwältin. Sobald sie mich am Telefon sahen, kamen zwei Frauen und ein Möchtegern Rambo zu mir und schoben mich an die Wand der Checkpointhütte.

Geben Sie uns Ihr Telefon." "Nein." "Geben Sie uns Ihr Telefon." "Nein."

"Sollen wir sie festnehmen?" "Machen Sie ruhig, rufen Sie die Polizei, denn ich weiß, daß Sie mir nichts tun können, außer mich hier festzuhalten."

"Hinsetzen." "nein." "DARÜBER GEHEN UND HINSETZEN." Er packte meinen Oberarm.

"Rühr mich nicht an. RÜHR MICH NICHT AN" brüllte ich direkt in sein Gesicht. Er ließ meinen Arm los und wich zurück.

"HINSETZEN." "Nein, ich setz mich nicht hin und gebe Ihnen nicht mein Telefon. Ich habe vor, im Stehen zu telefonieren."

Ich ging vor die kleine Tür neben dem Schreibtisch, in die Sonne, und wählte nochmal. Ich konnte niemanden erreichen, so führte ich ein Fantasiegespräch mit einer Anwältin und sagte ihr, dass ich festgehalten wurde. Die zwei Frauen versuchten, mir das Telefon wegzunehmen. Das war nun wirklich dumm, da sie mir kaum bis zur Schulter reichten und meine Hand weit weg war. Sie erinnerten mich an zwei kläffende Chihuahuas, die versuchen auf eine Dogge zu steigen. Ich war aber nicht gerade glücklich, dort alleine zu sein. Sie konnten sich leicht in Pitbulls verwandeln, wenn keiner hinzu kam.

Es kam jemand. Als die Frauen rumsprangen und mir vorwarfen, dass ich nicht kooperiere ging ein britisches Paar durch. Man nahm auch ihre Pässe und ließen sie sich auf der langen Bank möglichst weit von mir weg sitzen. Als der Mann sagte, er würde sich nicht hinsetzen umzingelten ihn zwei und drückten ihn auf den Sitz. Als sie versuchten, das mit mir zu machen, brüllte ich, sie sollten mich in Ruhe lassen und das taten sie.

Das Alter hat auch Vorteile. (Dorothy sagt dazu es war wohl weniger das Alter als die Körpergröße.)

Nach 10 Minuten gab man dem Paar ihre Pässe und ließ sie gehen. Ich stand immer noch dort, da sie meinen Rucksack geöffnet hatten und ein Kugelgehäuse, dass irgendein Kind in Ramallah mir gegeben hatte. Sie fanden dazu noch 8 Streichhölzer auf dem Boden des Rucksacks.


"Warum haben Sie dieses Gehäuse?"

"Weil ein Kind es mir gab. Man findet sie überall in der Westbank."

"Was machen Sie mit Streichhölzern? Rauchen Sie?" "Nein, ich habe immer Streichhölzer bei mir. Sie nicht?"

Fünf von ihnen standen vor dem Schreibtisch und verbrachten 10 Minuten damit, die Streichhölzer in das Gehäuse zu stecken und sie wieder raus zu nehmen, während ich ihnen zuschaute. Je mehr sie sich verhielten wie schlechte Detektive aus einem zweitrangigen Film, desto wütender wurde ich.

Ich fühlte mich sicherer, weil der Mann aus Großbritannien am Ende der langen Bank geblieben war und ich wusste, dass er auf mich aufpasste.


"Warum sind Sie hier? Was wollten Sie in Bethlehem? Was machen sie denn hier ganz alleine?" die Fragen kamen schnell, und ich sagte immer wieder ich hätte Freunde besucht, ich würde mich nicht setzen und sie sollten mich besser nicht anfassen. Schließlich nahmen sie mein Telefon und nahmen es auseinander. Sie konnten die Nummern nicht lesen, die ich eingegeben hatte, weil der Display kaputt war, von einem Jeep in Bi'lin vorigen Freitag überfahren.

Nach 45 Minuten kam ein anderer man, ein "good cop" rüber um mit mir zu reden. "Keine Sorge. Sie kriegen Ihr Telefon und Ihren Pass zurück. Es gibt nur ein Problem damit und wir überprüfen es. Wenn Sie sich drüben hinsetzen, bringe ich das Telefon zurück."

Als ich mich vorsichtig auf den Rand der kaputten Bank setzte kamen zwei israelische Frauen vom Machsom Watch durch das Röntgengerät am Checkpoint.

"Ist alles in Ordnung? Warum werden Sie festgehalten? Brauchen Sie Hilfe?"

"Mir geht's gut und ich hab keine Ahnung warum sie mich festhalten und würden Sie bitte Gaby L, meine Anwältin anrufen?" Ich gab ihnen meine Geschäftskarte mit meinem Namen. "Sagen Sie, dass man mich gegen meinen Willen am Bethlehem Checkpoint festhalten."

"Klar, machen wir." Als sie den schwach beleuchteten Gang runtergingen brüllte sie ein Soldat an und kam zu ihnen runter. Auf Hebräisch verlangte er die Karte, die ich ihnen gegeben hatte und schnappte es aus ihren Händen während sie zurückbrüllten. Er hielt sie hoch, so dass sie nicht dran kamen und als er das tat kam der Brite, gute 1,80, von hinten und griff sie aus seiner Hand, gab sie den Frauen und setzte sich wieder.


Die Soldaten war außer sich, schritten und stampften herum, konnten aber keinen festnehmen, das darf nur die Polizei und sie wollten sich bestimmt nicht mit den Frauen vom Machsom Watch einlassen, so ließen sie sie durch ... mit meiner Karte.

Ich wusste, dass sie einen Anwalt erreicht hatten, da Telefone im kleinen Raum anfingen zu klingeln. Sie brüllten ins Telefon, legten ein, es klingelte wieder, sie brüllten wieder, bis schließlich der "good cop" zurückkam mit einem Stück Papier in der Hand und meinem Telefon.
Das Blatt war auf Hebräisch ausgefüllt mit einem kleinen Absatz am Ende auf Englisch, das besagte, sie gäben mir meinen Eigentum zurück und dass
nichts beschädigt oder zerstört worden sei.


"Wir lassen Sie gehen wenn Sie dies unterschrieben haben."

"Ich kann Hebräisch nicht lesen und ich unterschreibe nichts, das ich nicht verstehe."

"Ach, Sie müssen nur das Untere hier unterschreiben, wo steht dass wir alles zurück geben und nichts beschädigt oder zerstört haben. Wollen Sie, dass ich es Ihnen vorlese?"

"Ich bin durchaus in der Lage, Englisch zu lesen, danke." Er sah töricht aus, gab mir das Blatt, sagte "Hier unterschreiben" und ging.

Ich schrieb sorgfältig, "Ich bestätige dass nichts beschädigt oder zerstört wurde," und unterschrieb mit Datum quer über das Blatt. Er schaute meinen Satz und die Unterschrift bestürzt an. "Sie sollten nur unterschreiben. Sie brauchten den Rest nicht zu schreiben."

"Ja, ich weiß, was Sie gesagt haben aber ich wollte klarstellen, dass ich nur den Kommentar unterschreibe, auf den Sie gedeutet haben. Ich lächelte schließlich.

Er gab mir mein Telefon und stampfte weg, seine "good cop" Rolle rutschte von seinem Gesicht runter wie eine Sonnenbrille. Ich machte das Telefon an; es funktionierte, und stand auf um zu gehen. Ohne ein weiteres Wort gab er mir meinen Pass.

"Ich hätte gerne einen Schluck Wasser bevor ich gehe." Ich konnte nicht widerstehen, noch einmal ihre Knöpfe zu drücken.

"Wir haben keine Becher.  Ein Soldat saß da und bewachte das Wasserfass
und rauchte eine Zigarette nach der anderen.

"Sie wissen ja, dass die Dinger Sie töten werden," lächelte ich ihn an als er zurückstarrte. "Dann muss ich wohl den Hahn aufdrehen und aus den Händen trinken."

Und das machte ich und schüttelte das Wasser in sein Gesicht als er da saß? Übertrieb ich mein Glück? Ich glaube nicht. Das war eine kleine Geste des Trotzes für alles was die Palästinenser gezwungen werden, Erniedrigung und Belästigung von Soldaten hinzunehmen mit kleinen Hirnen und großen Gewehren, Soldaten, die ein anderes Volk besetzt halten.

Als ich weg ging, den staubigen, kopfsteingepflasterten Weg entlang, stand der Brite auf, nahm seinen Rucksack und kam mit.

"Wie wussten Sie dass ich Hilfe brauchte?" fragte ich.

Als Sie nach Gaby L. fragten, wollte ich Sie möglichst nicht allein lassen. Ich habe voriges Jahr drei Monate bei der ISM gearbeitet."

Unser Privileg hat diesmal funktioniert, das Privileg Internationale zu sein in einem Land, dass die Einheimischen, die es besetzt hält, nicht respektiert. Und mein Alter hindert sie daran, mich anzugreifen, wie sie es mit jüngeren AktivistInnen gemacht haben.

Am nächsten Tag am Flughafen haben sie mein Telefon aus meinem Gepäck
gestohlen und die SIMkarte genommen, in der Hoffnung , dass sie meine Kontakte finden würden. Sie werden schrecklich enttäuscht sein, aber Israel ist ein faschistischer Staat, dass kein Interesse hat an "peace", es sei denn , dass man es "piece" buchstabiert.
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Gruß, Anka
 

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