Liebe Leute,
vorweg, eine Bitte von den Eltern von KDVlern, die zur Zeit eine
28-Tage
Strafe nach der anderen absitzen müssen. Bitte eine Email senden mit
dem Text: Free the Occupation Refusers, mit Name und Emailanschrift,
an: Mirjam Hadar unter
mhadar(at)post.tau.ac.il
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Die Organisation Shovrim Shtika (Das Schweigen brechen) arbeitet
daran,
die Menschenrechtsverbrechen in den Palästinensergebieten einer
breiteren Öffentlichkeit in Israel bewusst zu machen. Dazu geben sie
Publikationen heraus - zur Zeit wird gearbeitet an einer Broschüre
über
Befehle und Vorgehen der israelischen Armee - z.B. Befehle, auf
Zivilisten zu schießen, die keine Bedrohung darstellen, Racheakte,
Schießung auf medizinisches Personal und noch mehr. "Diese Sammlung
belehrt über die Tiefe der moralischen Korruption innerhalb der
Armee,
über die Stumpfheit moralischen Empfindens auch in den höchsten
Diensträngen." Außerdem gibt es Eingaben an die Knesset, Touren für
Knesset Mitglieder in die besetzten Gebiete und eine rege
vortragstätigkeit. ____________________
Und nun der
vorgestern versprochene Artikel von Greta Berlin, dessen
Inhalt zwar nicht neu ist, aber so anschaulich geschrieben, man
meint
man wäre dabei.
Thema:
Rühr mich nicht an
Ich hatte es an meinem letzten Tag in
den besetzten Gebieten eilig, und
man sollte nie eilen. Israelische Soldaten, Polizei und Checkpoints
sorgen dafür, dass jeder, der ein Termin hat, ihn nicht erreichen
wird.
Ich habe es aber vergessen. Es ist leicht dass zu tun, wenn man die
Unterdrückung der Besetzung nicht gewohnt ist. Auch nach 5 Wochen
des
Demonstrierens und Beobachtens, habe ichs vergessen. Ich hatte den
Menschen in Beit Sahour, ein Vorort des sterbenden Bethlehems, auf
Wiedersehen sagen wollen. Es war kein Problem, reinzukommen. Die
Israelis haben eine riesige Mauer gebaut, die die Luft aus der
kleinen
Stadt saugt, sie lassen dich aber rein. Sie werden dich nur nicht
heraus lassen nach Jerusalem, eine Stadt, die sie zur Zeit jüdisch
machen.
Bethlehem ist eine Geisterstadt. Und Beit Sahour und Beit Jala sind
noch schlimmer. Läden sind geschlossen, Restaurants arbeiten nicht
mehr, die Christen gehen und die einzigen, die Handel treiben sind
entweder neben Rachels Grab oder der Geburtskirche. Busse kommen und
liefern Pilger und Juden, die nie die Mauern des Konzentrationslager
sehen wenn sie durch die schmale Öffnung fahren. Juden, die Rachels
Grab besuchen haben ihren eigenen Eingang gebaut mit einem ganz
neuen
Parkplatz auf den Häusern der Palästinenser gebaut, deren Land
konfisziert wurde.
Ich ging zum Büro in Beit Sahour und sagte auf Wiedersehen. Ein
junger
Mann fragte mich, wohin ich fahre.
"Ich gehe zurück nach Frankreich, dann fahre ich nach Genf, um
meiner
Tochter ihre Katze zu "ringen. Dafür werde ich etwa 4 Stunden
brauchen."
"Willst du sagen, dass du 4 Stunden lang fahren kannst ohne einen
Checkpoint zu sehen?". Seine großen braunen Augen schauten mich mit
Staunen an, dass ich reisen konnte ohne Soldaten, Polizei, Gewehre
und
Belästigung.
Ich blieb zu lange im Gespräch und als ich weg ging wurde mir klar
dass
ich nur ein paar Stunden hatte, um mein Gebäck in Jerusalem zu holen
und
zum Haus meiner Freunde in Tel Aviv zu fahren. Ich schnappte ein
Service (Sammeltaxi), der mich zum Checkpoint fuhr, lief durch die
schmale Öffnung in der Mauer und dann noch 200 m zum Olivgrünen Bau,
mit Kamouflagenetzt behängt, der als Checkpoint dient.
Keiner stand in der Schlange, ein riesiger Unterschied gegenüber vor
2
Jahren, als sich im Checkpoint Straßenverkäufer und
PalästinenserInnen
drängten, die darauf warteten, nach Jerusalem durchzugehen. Wenn du
christlicher oder muslimischer Palästinenser bist und hast keinen
Jerusalem Ausweis kommst du nicht durch, auch wenn deine Familie
dort wohnt.
Aber Juden und internationale Pilger fahren durch den engen
Durchgang in
klimatisierten Bussen nach Bethlehem und schauen gar nicht aus dem
Fenster. Sie sind schließlich gute Deutsche, sehen nicht, hören
nicht,
bezeugen nicht.
Keiner war am Checkpoint als ich mich näherte und meinen Pass
herausgab,
außer neun Soldaten die rumstanden, Feigen aßen und Wasser tranken.
Sie
hatten ihre kugelsichere Westen in der Hitze ausgezogen und lehnten
sich
auf ihre M-16 Gewehre. Zwei weibliche Soldaten dirigierten den
Verkehr,
und sie bekamen gar keine kugelsichere Westen. Die israelische Armee
sagt, sie haben nicht genug, um auch Frauen die Westen zu geben. Was
ihnen an Ausrüstung fehlt, kompensieren sie durch ihre Einstellung.
Der Mann am zersplitternden Schreibtisch hatte einen Computer, schob
meinen Pass durch einen Schlitz, schaute sich den Ausdruck an und
sagte,
"Es tut mir leid, aber wir haben hier ein Problem mit Ihrem Pass."
"Ja, was denn genau für ein Problem?"
"Ich weiß es nicht aber Sie werden hier warten müssen bis wir es
geklärt
haben."
"Wie lange wird das genau dauern?"
"Weiß ich nicht, das ist nicht meine Verantwortung. Sie werden
festgehalten, bis wir es wissen." Damit drehte er sich um und ging
ans
Telefon.
Ich war natürlich verärgert. Ich musste zurück nach Jerusalem und es
gab keinen Grund mich festzuhalten, außer Belästigung. So nahm ich
mein
Telefon und rief eine Anwältin. Sobald sie mich am Telefon sahen,
kamen
zwei Frauen und ein Möchtegern Rambo zu mir und schoben mich an die
Wand
der Checkpointhütte.
Geben Sie uns Ihr Telefon." "Nein." "Geben Sie uns Ihr Telefon."
"Nein."
"Sollen wir sie festnehmen?" "Machen Sie ruhig, rufen Sie die
Polizei,
denn ich weiß, daß Sie mir nichts tun können, außer mich hier
festzuhalten."
"Hinsetzen." "nein." "DARÜBER GEHEN UND HINSETZEN." Er packte meinen
Oberarm.
"Rühr mich nicht an. RÜHR MICH NICHT AN" brüllte ich direkt in sein
Gesicht. Er ließ meinen Arm los und wich zurück.
"HINSETZEN." "Nein, ich setz mich nicht hin und gebe Ihnen nicht
mein
Telefon. Ich habe vor, im Stehen zu telefonieren."
Ich ging vor die kleine Tür neben dem Schreibtisch, in die Sonne,
und
wählte nochmal. Ich konnte niemanden erreichen, so führte ich ein
Fantasiegespräch mit einer Anwältin und sagte ihr, dass ich
festgehalten
wurde. Die zwei Frauen versuchten, mir das Telefon wegzunehmen. Das
war nun wirklich dumm, da sie mir kaum bis zur Schulter reichten und
meine Hand weit weg war. Sie erinnerten mich an zwei kläffende
Chihuahuas, die versuchen auf eine Dogge zu steigen. Ich war aber
nicht
gerade glücklich, dort alleine zu sein. Sie konnten sich leicht in
Pitbulls verwandeln, wenn keiner hinzu kam.
Es kam jemand. Als die Frauen rumsprangen und mir vorwarfen, dass
ich
nicht kooperiere ging ein britisches Paar durch. Man nahm auch ihre
Pässe und ließen sie sich auf der langen Bank möglichst weit von mir
weg
sitzen. Als der Mann sagte, er würde sich nicht hinsetzen
umzingelten
ihn zwei und drückten ihn auf den Sitz. Als sie versuchten, das mit
mir
zu machen, brüllte ich, sie sollten mich in Ruhe lassen und das
taten sie.
Das Alter hat auch Vorteile. (Dorothy sagt dazu es war wohl weniger
das
Alter als die Körpergröße.)
Nach 10 Minuten gab man dem Paar ihre Pässe und ließ sie gehen. Ich
stand immer noch dort, da sie meinen Rucksack geöffnet hatten und
ein
Kugelgehäuse, dass irgendein Kind in Ramallah mir gegeben hatte. Sie
fanden dazu noch 8 Streichhölzer auf dem Boden des Rucksacks.
"Warum haben Sie dieses Gehäuse?"
"Weil ein Kind es mir gab. Man findet sie überall in der Westbank."
"Was machen Sie mit Streichhölzern? Rauchen Sie?" "Nein, ich habe
immer Streichhölzer bei mir. Sie nicht?"
Fünf von ihnen standen vor dem Schreibtisch und verbrachten 10
Minuten
damit, die Streichhölzer in das Gehäuse zu stecken und sie wieder
raus
zu nehmen, während ich ihnen zuschaute. Je mehr sie sich verhielten
wie
schlechte Detektive aus einem zweitrangigen Film, desto wütender
wurde ich.
Ich fühlte mich sicherer, weil der Mann aus Großbritannien am Ende
der
langen Bank geblieben war und ich wusste, dass er auf mich
aufpasste.
"Warum sind Sie hier? Was wollten Sie in Bethlehem? Was machen sie
denn hier ganz alleine?" die Fragen kamen schnell, und ich sagte
immer
wieder ich hätte Freunde besucht, ich würde mich nicht setzen und
sie
sollten mich besser nicht anfassen. Schließlich nahmen sie mein
Telefon
und nahmen es auseinander. Sie konnten die Nummern nicht lesen, die
ich
eingegeben hatte, weil der Display kaputt war, von einem Jeep in
Bi'lin
vorigen Freitag überfahren.
Nach 45 Minuten kam ein anderer man, ein "good cop" rüber um mit mir
zu
reden. "Keine Sorge. Sie kriegen Ihr Telefon und Ihren Pass zurück.
Es gibt nur ein Problem damit und wir überprüfen es. Wenn Sie sich
drüben hinsetzen, bringe ich das Telefon zurück."
Als ich mich vorsichtig auf den Rand der kaputten Bank setzte kamen
zwei
israelische Frauen vom Machsom Watch durch das Röntgengerät am
Checkpoint.
"Ist alles in Ordnung? Warum werden Sie festgehalten? Brauchen Sie
Hilfe?"
"Mir geht's gut und ich hab keine Ahnung warum sie mich festhalten
und
würden Sie bitte Gaby L, meine Anwältin anrufen?" Ich gab ihnen
meine
Geschäftskarte mit meinem Namen. "Sagen Sie, dass man mich gegen
meinen
Willen am Bethlehem Checkpoint festhalten."
"Klar, machen wir." Als sie den schwach beleuchteten Gang
runtergingen
brüllte sie ein Soldat an und kam zu ihnen runter. Auf Hebräisch
verlangte er die Karte, die ich ihnen gegeben hatte und schnappte es
aus
ihren Händen während sie zurückbrüllten. Er hielt sie hoch, so dass
sie
nicht dran kamen und als er das tat kam der Brite, gute 1,80, von
hinten
und griff sie aus seiner Hand, gab sie den Frauen und setzte sich
wieder.
Die Soldaten war außer sich, schritten und stampften herum, konnten
aber
keinen festnehmen, das darf nur die Polizei und sie wollten sich
bestimmt nicht mit den Frauen vom Machsom Watch einlassen, so ließen
sie
sie durch ... mit meiner Karte.
Ich wusste, dass sie einen Anwalt erreicht hatten, da Telefone im
kleinen Raum anfingen zu klingeln. Sie brüllten ins Telefon, legten
ein, es klingelte wieder, sie brüllten wieder, bis schließlich der
"good
cop" zurückkam mit einem Stück Papier in der Hand und meinem
Telefon.
Das Blatt war auf Hebräisch ausgefüllt mit einem kleinen Absatz am
Ende
auf Englisch, das besagte, sie gäben mir meinen Eigentum zurück und
dass
nichts beschädigt oder zerstört worden sei.
"Wir lassen Sie gehen wenn Sie dies unterschrieben haben."
"Ich kann Hebräisch nicht lesen und ich unterschreibe nichts, das
ich
nicht verstehe."
"Ach, Sie müssen nur das Untere hier unterschreiben, wo steht dass
wir
alles zurück geben und nichts beschädigt oder zerstört haben. Wollen
Sie, dass ich es Ihnen vorlese?"
"Ich bin durchaus in der Lage, Englisch zu lesen, danke." Er sah
töricht aus, gab mir das Blatt, sagte "Hier unterschreiben" und
ging.
Ich schrieb sorgfältig, "Ich bestätige dass nichts beschädigt oder
zerstört wurde," und unterschrieb mit Datum quer über das Blatt. Er
schaute meinen Satz und die Unterschrift bestürzt an. "Sie sollten
nur
unterschreiben. Sie brauchten den Rest nicht zu schreiben."
"Ja, ich weiß, was Sie gesagt haben aber ich wollte klarstellen,
dass
ich nur den Kommentar unterschreibe, auf den Sie gedeutet haben. Ich
lächelte schließlich.
Er gab mir mein Telefon und stampfte weg, seine "good cop" Rolle
rutschte von seinem Gesicht runter wie eine Sonnenbrille. Ich machte
das Telefon an; es funktionierte, und stand auf um zu gehen. Ohne
ein
weiteres Wort gab er mir meinen Pass.
"Ich hätte gerne einen Schluck Wasser bevor ich gehe." Ich konnte
nicht
widerstehen, noch einmal ihre Knöpfe zu drücken.
"Wir haben keine Becher. Ein Soldat saß da und bewachte das
Wasserfass
und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
"Sie wissen ja, dass die Dinger Sie töten werden," lächelte ich ihn
an
als er zurückstarrte. "Dann muss ich wohl den Hahn aufdrehen und aus
den
Händen trinken."
Und das machte ich und schüttelte das Wasser in sein Gesicht als er
da
saß? Übertrieb ich mein Glück? Ich glaube nicht. Das war eine kleine
Geste des Trotzes für alles was die Palästinenser gezwungen werden,
Erniedrigung und Belästigung von Soldaten hinzunehmen mit kleinen
Hirnen
und großen Gewehren, Soldaten, die ein anderes Volk besetzt halten.
Als ich weg ging, den staubigen, kopfsteingepflasterten Weg entlang,
stand der Brite auf, nahm seinen Rucksack und kam mit.
"Wie wussten Sie dass ich Hilfe brauchte?" fragte ich.
Als Sie nach Gaby L. fragten, wollte ich Sie möglichst nicht allein
lassen. Ich habe voriges Jahr drei Monate bei der ISM gearbeitet."
Unser Privileg hat diesmal funktioniert, das Privileg Internationale
zu
sein in einem Land, dass die Einheimischen, die es besetzt hält,
nicht
respektiert. Und mein Alter hindert sie daran, mich anzugreifen, wie
sie es mit jüngeren AktivistInnen gemacht haben.
Am nächsten Tag am Flughafen haben sie mein Telefon aus meinem
Gepäck
gestohlen und die SIMkarte genommen, in der Hoffnung , dass sie
meine
Kontakte finden würden. Sie werden schrecklich enttäuscht sein, aber
Israel ist ein faschistischer Staat, dass kein Interesse hat an "peace",
es sei denn , dass man es "piece" buchstabiert.
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Gruß, Anka
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