Eine Seite für Prof. Dr. Rolf Verleger
Ein gerechter ist von uns gegangen
Kritik an Israels Politik aus dem jüdischen Gebot der Nächstenliebe heraus
Ein Nachruf auf Rolf Verleger
Arn Strohmeyer - 9.11.2021
Die Nachricht vom Tod Rolf Verlegers muss alle, die sich für einen gerechten Frieden im Nahen Osten einsetzen, tief betroffen machen. Mit ihm verlieren wir zudem einen wunderbaren und liebevollen Menschen, den persönlich gekannt zu haben eine große Bereicherung war. Im Januar dieses Jahres hat er mir noch einen langen Brief geschrieben, in dem er auch auf seine Krankheit einging. Der Brief endete mit den Worten: „Ich muss sehr teure Pillen schlucken, und die Ärzte sind guter Stimmung. Mal sehen, wie es weitergeht…“ Er hat den Kampf gegen seine Krankheit verloren, er ist nur 70 Jahre alt geworden. Wir haben mit ihm einen der besten und kenntnisreichsten Mitstreiter für ein Ende der Gewalt und der Unterdrückung in Israel/Palästina verloren. Der Verlust wiegt sehr schwer.
Die Motivation für sein politisches Engagement war das Judentum, so wie er es verstand. Über diese Religion schrieb er: „Das Judentum war über Jahrhunderte eine Ideologie der Befreiung, der Möglichkeit der kommenden Erlösung, der Heilung der Welt durch Gottes Gnade.“ Das Gebot der Tora „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“ oder in anderer Übersetzung „Liebe Deinen Nächsten – er ist wie Du!“ war für ihn die universale Kernaussage dieser Religion. Er zitierte immer wieder den Satz, den der Rabbi Hillel (geb. 70 v.u.Z.) zu einem Schüler auf die Frage nach dem Wesentlichen im menschlichen Leben gesagt hat: „Was Dir verhasst ist, das tu Deinem Nächsten nicht an!“. Hillel fügte hinzu: „Das ist die ganze Tora. Der Rest ist Erläuterung.“
Dieses Liebes-Gebot hat Rolf Verleger ganz wörtlich genommen, und es war sein Motiv, sich in die israelische Politik einzumischen und einer ihrer entschiedensten Kritiker zu werden. Denn beruflich hatte er als Neurologe gar nichts damit zu tun. Angesichts der unsagbaren Verbrechen, die die Zionisten seit ihrer Einwanderung in Palästina an der indigenen Bevölkerung begangen haben, schrieb er: „Das Judentum, meine Heimat, ist in die Hände von Leuten gefallen, denen Volk und Nation höhere Werte sind als Gerechtigkeit und Nächstenliebe.“
Im Juli 2006 fiel Israels Armee erneut in den Libanon ein. Der Kriegsgrund war ein militärisches Scharmützel mit der Hisbollah an der Grenze zum Zedernstaat, bei dem mehrere israelische Soldaten getötet und zwei gefangen genommen wurden. Israel antwortete wie immer mit brutaler und unverhältnismäßiger Gewalt auf den Vorfall. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warb daraufhin in großen Zeitungsanzeigen für Solidarität mit der israelischen Kriegspolitik. Rolf Verleger, der Delegierter im Zentralrat war, schrieb aus diesem Anlass einen Brief an die Leitung des Zentralrats – die Präsidentin Charlotte Knobloch, Prof. Dr. Korn und Dr. Graumann. Darin kritisierte Verleger massiv die Parteinahme für Israels Invasion, denn diese Militäraktion werde Israel nicht sicherer, sondern unsicherer machen, weil es sich durch diesen Krieg erneut die Wut und den Hass der Nachbarstaaten zuziehen würde.
Verleger fragte dann in seinem Brief angesichts dieser Gewalteskalation: „Ist das noch dasselbe Judentum, das der Rabbi Hillel mit seiner Aufforderung zur Nächstenliebe meinte?“ Und er beantwortete die Frage so: „Das glaubt mir doch heutzutage keiner mehr, dass dies das ‚eigentliche‘ Judentum ist, in einer Zeit, in der der jüdische Staat andere Menschen diskriminiert, in Kollektivverantwortung bestraft, gezielte Tötungen ohne Gerichtsverfahren praktiziert, für jeden getöteten Landsmann zehn Libanesen umbringen lässt und ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legt. Ich kann doch wohl vom Zentralrat der Juden in Deutschland erwarten, dass dies wenigstens als Problem gesehen wird.“ Und er schloss seinen Brief mit den Worten: „Die israelische Regierung braucht unsere Solidarität. Im Moment ist sie aber auf einem falschen Weg, daher braucht sie von solidarischen Freunden jetzt nicht mehr Waffen oder mehr Geld oder mehr public relation, sondern mehr Kritik.“ Diese Kritik am israelischen Kriegszug und am Zentralrat kam in seiner jüdischen Gemeinde nicht gut an. Er verlor nach diesem Brief sein Mandat als Delegierter für das Zentralratsdirektorium.
Die Politik Israels gegenüber den Palästinensern warf für Verleger die Frage nach der jüdischen Identität auf. Für ihn war völlig klar, dass Israels Gewaltpolitik gegen ein ganzes Volk und der „erstickende“ zionistische Nationalismus nichts mit Judentum zu tun haben. Wenn es für ihn eine Identifikation mit Israel geben konnte, dann nur eine solche: „Für mich kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben, Jude sein bedeutet, neben dem Stolz auf die jüdische religiöse Tradition, sich dem jüdischen Staat zugehörig fühlen. Und dieses Gefühl der Zugehörigkeit bedeutet, sich dafür einzusetzen, dass dieser Staat Frieden mit seinen arabischen Nachbarn macht, indem er endlich aufhört, die arabischen Palästinenser als Menschen zweiter Klasse zu behandeln.“
An die Juden in Deutschland richtete er einen flammenden, aber auch warnenden Apell: „Juden in Deutschland, die ihre jüdische Identität auf diese Weise definieren, als Bekenntnis zur aktuellen Politik des jüdischen Staates, setzen Kritik an Israels Politik gleich mit Verrat am Judentum, denn gemäß dieser Identitätsproblematik gibt es kein Judentum außerhalb der Unterstützung der Politik Israels. Das ist Nationalismus als Identitätsersatz. Das ist nicht gut, denn übersteigerter Nationalismus hat schon andere Länder in den Abgrund geführt, und so könnte es auch Israel gehen.“
Aus diesem Geist heraus hat sich Rolf Verleger immer wieder mit seinem kritischen Intellekt, seiner humanitären Gesinnung und seinem hohen moralischen Anspruch in die politische Debatte über Israel und den Nahen Osten eingemischt. Seine Stimme, die nun verstummt ist, ist für uns ein unersetzbarer Verlust.
Was Dir verhasst ist, tu Deinem Nächsten nicht an.
Rabbi Hillel (zitiert im Buch von Rolf Verleger: Israels Irrweg. Eine jüdische Sicht)
Das Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V.
trauert um seinen Gründungsvorsitzenden
Prof. Dr. Rolf Verleger
Er hat authentisch und glaubwürdig ein humanistisches Judentum vertreten, das die Nazis in Deutschland fast vollständig vernichtet hatten und für dessen Fortexistenz er gekämpft hat.
Er ist ein Leuchtturm für alle Menschen, die nach einem gerechten Frieden in Israel/Palästina suchen.
Martin Breidert Ekkehart Drost Götz Schindler
Vorstand Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V. |
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Biographie von Rolf Verleger
Die Homepage von Prof. Dr. Rolf Verleger
Texte von Rolf Verleger im "Das Palästina Portal"
Resonaz auf Rolf Verleger
Rolf Verleger wird weiterleben
VIDEO - Rolf Verleger: Zionismus, Kolonialismus und die Entstehung Israels
weltnetz community channel - 4.09.2021
Prof. Dr. Rolf Verleger ist Vorsitzender des „Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern“ und spricht in einer Zoom-Konferenz über “Zionismus, Kolonialismus und die Entstehung Israels“. Nach dem Vortrag beantwortet der Referent Fragen aus dem Zoom-Chat.
Zum Thema: Das Zarenreich war um 1900 das größte jüdische Zentrum der Welt. Von hier kamen: Zionismus, Orthodoxie, der „Arbeiterbund“, jüdische Sozialisten, Auswanderung nach Amerika und Europa - und der Antisemitismus, der auch in den Einwanderungsländern zunahm, vor allem in Deutschland. Die führende Weltmacht Großbritannien wählte sich 1917 den Zionismus als ein Hilfsmittel für die Gestaltung ihrer Herrschaftsansprüche. Und so schuf der Zionismus, entstanden im Zarenreich zur Emanzipation einer diskriminierten Minderheit als Gegenspieler sowohl der jüdischen Orthodoxie als auch der sozialistischen Bewegung, mit Diskriminierung der Palästinenser und Landraub an ihnen nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit auf Erden.
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Rolf Verleger über Antisemitismus
:„Das ist doch kein Terrorangriff!“
Antisemit ist nicht, wer Israels Politik kritisiert, sagt Rolf Verleger, Psychologe aus Lübeck: Den Groll gegen die Juden befördert, wer jede Kritik unterbindet.
taz: Herr Verleger, wann wurde Ihnen erstmals Antisemitismus vorgeworfen?
Rolf Verleger: Das erste Mal, an das ich mich erinnere, war durch meine Großtante.
Weshalb?
Ich weiß nicht mehr, worum es genau ging. Aber irgendetwas Kritisches hatte ich als – ich weiß nicht, vermutlich 18-Jähriger – über Israel gesagt. Und das fand sie antisemitisch.
Ihre Kritik an Israel hat auch vor zehn Jahren zum Ausscheiden aus dem Direktorium des Zentralrats der Juden geführt. Nicht ganz freiwillig …
Das Direktorium ist die Delegiertenkonferenz der Landesverbände. Ich war damals Vorstand der Jüdischen Gemeinde Lübeck und auch Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Landesverbands, weil ich mich wesentlich für dessen Aufbau und die Eigenständigkeit von der Hamburger Gemeinde engagiert hatte. Deshalb war ich von 2005 bis 2009 Delegierter beim Zentralrat, hatte dann aber schon 2006 einen offenen Brief zu Israels Gewaltpolitik geschrieben.
Das war kein Problem?
Mit den meisten kam ich gut aus. Man hat da so einmal im Vierteljahr eine Sitzung, und da waren manche unverhohlen freundlich, andere offen feindselig.
Und dann?
Der Tropfen, der bei der schleswig-holsteinischen Basis das Fass zum Überlaufen brachte, war, dass ich einen Vortrag beim Jahrestreffen der Muslimischen Jugend Deutschlands hielt. Das war zu viel! „Bei den Muslimen: Das ist Verrat!“ Da wurde ich abgewählt. mehr >>>
VIDEO - Interview mit Rolf Verlege
4 min - 07.08.2014
Anti-israelische Proteste
„Wer hat uns das denn eingebrockt?“
Rolf Verleger, ehemaliges Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, wundert sich nicht über die neue Welle des Antisemitismus im Land. Im Deutschlandfunk warf er Repräsentanten des Judentums vor, jede Kritik an Israel als antisemitisch zu erklären. Es müsse erlaubt sein, die israelische Politik zu kritisieren.
Rolf Verleger im Gespräch mit Tobias Armbrüster - 22.07.2014
Rolf Verleger, ehemaliges Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden, äußerte sich im Deutschlandfunk kritisch zur israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Er selber wolle am Mittwoch an einer Demonstration gegen „das Massaker der Israelis in Gaza“ teilnehmen, sagte Verleger. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte sich gestern über eine neue Welle des Judenhasses in Deutschland beklagt. Rolf Verleger sieht diese Einlassung kritisch. Im Deutschlandfunk sagte er: „Wer hat uns das denn eingebrockt?“ Wenn Politiker und Medien in Deutschland Israels Politik für richtig hielten und Repräsentanten des Judentums jede Kritik an Israel zur Kritik an Juden erklärten, fordere man antisemitische Parolen geradezu heraus. Man könne ja „nicht jeden Quatsch, den Israel da macht, mitmachen“. mehr >>>
Bücher von Rolf Verleger
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Aufsätze von Rolf Verleger
Zu Vorurteilen gegen Muslime und Juden
Über Judentum
Zur Meinungsfreiheit
Zur aktuellen Lage in Israel/Palästina
Zur Geschichte des Palästinakonflikts
Zum Zentralrat der Juden in Deutschland
Zu Politik allgemein
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