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Ich bin sicher,
diese Besatzung wird enden
Jody Mcintyre,
20.9.10
Seit 2005 haben die Bewohner des besetzten
Westbankdorfes Beit Ommar gewaltfreie Demos aus Protest gegen den
zunehmenden Landraub durch die fünf sie umgebenden israelischen
Siedlungen praktiziert und für ein Ende der israelischen Besatzung alles
palästinensischen Landes aufgerufen. Trotz der brutalen Reaktionen der
israelischen Kräfte, die Tod, Verletzungen und Verhaftung von vielen
Teenagern aus dem Ort zur Folge hatten, blieben die Menschen aus Beit
Ommar standhaft. Jody McIntyre interviewte den Sekretär des Beit Ommar
Volkskomitees Ahmed Abu Hashem für die Electronic Intifada.
JM. Bitte stellen Sie sich selbst vor.
AAH: Ich bin der Sekretär von Beit Ommars
Volkskomitee, aber ich empfinde mich als die geringste Person. Keiner
von uns sieht sich als wichtiger an als die anderen, weil wir einander
beistehen. Viele haben versucht, uns zu trennen , die palästinensischen
Behörde, aber auch Leute aus anderen Dörfern. Aber es ist ihnen nicht
gelungen.
JM: Wie hat die israelische Besatzung Sie
persönlich betroffen?
AH Ich wurde das erste Mal 1984 verhaftet
und drei Monate in Verwaltungshaft gehalten ohne Anklage. Das nächste
Mal war ich zusammen mit meinem älteren Bruder zu Beginn der 1.
Intifada 1988. Er war 14 Monate im Gefängnis, ich 3,5 Jahre. Ich wurde
1992 und 1994 noch einmal 14 Monate lang verhaftet. 1998 wurden mein
jüngerer Bruder und ich für 6 Monate verhaftet. Und 2002 wurden wir
beide noch einmal für 6 Monate verhaftet. Als ich das letzte Mal im
Gefängnis war, wurde meine Mutter von einem israelischen Militärjeep
überfahren, meine Schwägerin wurde erschossen – beide am selben Tag. Vor
drei Monaten wurde ich noch einmal verhaftet und vier Tage festgehalten,
an denen ich von Hauptmann Tamir vom Geheimdienst verhört wurde.
Seit der ersten Intifada ist das so in
unserer Familie gewesen … wenn ich nicht im Gefängnis war, dann war es
einer meiner Brüder, oder eines meiner Kinder oder meine Neffen oder
meine Frau. Natürlich wissen wir, warum wir in dieser Weise extra
behandelt werden. Wir haben immer als Aktivisten gegen die Besatzung
gearbeitet.
Es ist klar, dass sie auch jetzt hinter mir
her sind. Wenn sie nicht kommen und mein Haus überfallen, dann werde ich
an einem Checkpoint festgehalten. Während der letzten fünfzig Tage haben
sie mein Haus 17 mal überfallen. An diesem Morgen rannte ich in einen
„fliegenden“ Checkpoint bei der Siedlung Gush Etzion. Dort gaben sie mir
ein Papier mit der Order, dem israelischen Geheimdienst einen Bericht
über das zu geben, was sich am Montagmorgen abspielte. Es war derselbe
Hauptmann, der mich schon einmal verhörte. Er selbst gab mir das Papier
in die Hand.
Das letzte Mal kamen sie zu meinem Haus und
gaben mir genau dasselbe Papier.
Ich ging zur Militärbasis und wartete dort
von halb neun am Morgen bis 5 Uhr am Nachmittag; sie gaben mir dann
nur ein anderes Papier, das besagte, sie würden mich wieder rufen. Dann
ging ich. 15 Minuten später riefen sie mich an, ich solle sofort nach
Gush Etzion kommen – aber ich weigerte mich.
JM: warum werden Sie vom israelischen
Militär so unnachgiebig verfolgt?
AH: sie denken, dass sie mich zwingen
können, ein Kollaborateur für sie zu werden – aber das liegt mir sehr
fern.
Ich könnte ein alter Bursche sein, aber ich
hoffe, weiter – mein ganzes Leben lang - gegen die Mauer und die
Siedlungen zu kämpfen.
JM: was motiviert Sie, weiter gegen die
Besatzung zu kämpfen?
AH: Mein Vater war ein Teil der Fedayeen (
der Bauernrebellion 1948 gegen die ersten Siedler von Gush Etzion). Er
wurde von einer Landmine während einer Schlacht verletzt. Er erzählte
mir davon, als ich noch sehr jung war. Das inspirierte mich. In der
Schule erfuhr ich eine Menge über die Besatzung. Ich las viel über den
Krieg von 1948 und was die Errichtung des Staates Israel und die
anhaltende Ausdehnung für die Palästinenser bedeutet. Ich denke, es war
eine Kombination von allem, die mich entscheiden ließ, immer für unsere
Freiheit zu kämpfen.
JM: haben Ihre Söhne auch so unter der
Besatzung gelitten?
AH: Als mein Sohn Yousef verhaftet wurde,
war er zwölf Jahre alt. Er ist im Augenblick zum dritten Mal im
Gefängnis – er ist jetzt 17 Jahre alt. Mein ältester Sohn ist zum 2.
Mal im
Gefängnis. Ein anderer Sohn, Emad wurde von
einem israelischen Soldaten angeschossen und hat noch immer Splitter in
seinem Kopf von der Verletzung. Die beiden Söhne meines Bruders waren
gerade nach drei Jahren Haft entlassen worden; sie sind 19 und 21 Jahre
alt. Sie wurden also beide während ihres Studiums verhaftet. Natürlich
ist die Armee daran interessiert, die klügeren Jugendlichen zu
verhaften, weil sie wollen, dass diese mit ihnen als
Kollaborateure in der Universität
zusammenarbeiten. Was die betrifft, die sich entschieden haben, als
Kollaborateure zu arbeiten, deren Herz ist gestorben – denke ich.
Ich bin einer der wenigen Farmer, der die
Arbeit auf dem Land weitergemacht hat, obwohl dies sehr nah am Zaun der
Siedlung Karmel Sur liegt. Tatsächlich gehört dieses Land meinem Cousin.
Aber ich schaue nach ihm als ein Akt des Trotzes gegen die Besatzung.
Die Siedler sind so frech und nehmen den Palästinensern das Land weg,
weil sie sich ausdehnen wollen. Sie tun also alles, um uns daran zu
hindern, unser Land zu bearbeiten. Bei vielen Gelegenheiten sehe ich,
wie die Siedler auf mich schießen und ich höre wie die Kugeln über
meinen Kopf fliegen. Einmal schossen die Sicherheitsleute der Siedler
mit scharfer Munition meinem sechsjährigen Sohn Qossei ins Bein. Er
blieb drei Tage im Krankenhaus. Die Kugel hatte einen Knochen in seinem
Bein gebrochen.
Qossay, der nun acht Jahre ist, hat sich
völlig verändert. Er hatte sonst immer große Angst vor den Soldaten und
versteckte sich unter dem Bett, wenn sie in unser Haus einbrachen. Aber
seitdem er angeschossen wurde, ist er bei den Demos vorne weg. Auch wenn
keine Demo ist, geht er nach draußen und provoziert die Soldaten
irgendwie.
JM: Denken Sie, dass die Demonstrationen
hier die Zukunft irgendwie verändern können?
AH: Wir kämpfen darum, dass die Siedlungen
hier nicht größer werden, dass die Verhaftungen aufhören, dass das
Schießen aufhört. Ich weiß nicht, ob dies noch zu meinen Lebzeiten
geschieht oder erst in Hundert Jahren, aber ich bin sicher, die
Besatzung wird ein Ende finden.
Jody McIntyre ist britischer Journalist,
der für die Elektronic Intifada arbeitet.
(dt. Ellen Rohlfs)
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