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Muslime als Opfer eines neuen Ausgrenzungsdiskurses in Deutschland?

Historische und gegenwärtige Judenfeindschaft als Instrument zur wissenschaftlichen Einordnung von Islamfeindschaft entdeckt

 Mohammed Khallouk
 

 

Ergebnisse einer Fachexpertentagung an die Allgemeinheit weitervermittelt

Die dunklen Phasen deutscher Historie mit der Ausgrenzung und Stigmatisierung ethnischer, religiöser und anderer Minoritäten haben im demokratischen Nachkriegsdeutschland an Universitäten und höheren Bildungsinstitutionen als Reaktion darauf eine Kultur der gesellschaftswissenschaftlichen Reflexion von Ausgrenzungsmechanismen entstehen lassen. Man ist bestrebt, der Gesellschaft zu demonstrieren, wie sich Gruppenressentiments festsetzen können und welche Folgen Diffamierungen und Pauschalisierungen von Minoritäten für den Pluralismus ebenso wie deren persönliche und politische Freiheit hervorbringen können.

Die Tatsache, dass zum einen Juden eine der ältesten Minorität in der deutschen und europäischen Gesellschaft darstellen, die sich Diskriminierungen und Stigmatisierungen gegenübersieht, und zum anderen an Juden als Kollektiv begangene Verbrechen im nationalsozialistischen Deutschland absolut gesehen das erschreckendste Ausmaß angenommen hatten, ließ dem Antisemitismus in der deutschen Vorurteilsforschung eine zentrale Stellung zufallen. Hieraus ging schließlich auch das 1982 gegründete Zentrum für Antisemitismusforschung hervor, das an die Technische Universität Berlin angegliedert ist und seit 1990 von Wolfgang Benz geleitet wird.

Trotz der langjährigen Konzentration dieses Zentrums auf die Einstellungen von Nichtjuden gegenüber Juden haben die dortigen Wissenschaftler zu keiner Zeit die Augen davor verschlossen, dass Diskriminierungen andere Minoritäten und Religionen gleichermaßen betrifft. Vor allem in der zunehmenden Islam- bzw. Muslimfeindschaft in Deutschland und Europa erkannte man eine beklagenswerte Tendenz, der es mit wissenschaftlicher Aufklärung entgegenzuwirken gelte. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Zentrum im Dezember 2008 eine diesem Phänomen gewidmete Konferenz, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen begleitet wurde und deren wichtigste Beiträge man für die Allgemeinheit in einem von Benz 2009 herausgegebenen Buch mit dem Titel „Islamfeindschaft und ihr Kontext“ festgehalten hat.

Wie der Konferenztitel „Feindbild Muslim - Feindbild Jude“ erkennen lässt, sah man in den bereits vorhandenen Erkenntnissen über die Charakteristika der Judenfeindschaft einen geeigneten Weg, sich der angemessenen Begegnung der Islam- versus Muslimfeindschaft zu nähern und zog immer wieder Vergleiche zwischen den beiden Ausschließungsdiskursen. Der einleitende Beitrag des Buchherausgebers und Konferenzleiters Wolfgang Benz rückt die historische Entwicklung des neuzeitlichen, gegen Juden gerichteten, europäischen Antisemitismus in den Blickpunkt. Bereits im darauffolgenden Beitrag der ebenfalls am Zentrum für Antisemitismusforschung wissenschaftlich untersuchenden Historikerin Angelika Königseder wird jedoch herausgestellt, dass in Ausprägung und Mechanismus zwischen dem Antisemitismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und einem gegenwärtigen Antiislamismus durchaus Parallelen bestehen.

Die Kollektivfeindschaften äußerten sich gegenüber den damaligen Juden wie gegenüber den heutigen Muslimen in öffentlichen Auseinandersetzungen um Identifikationssymbole wie Kopftuch oder Minarett, mit denen sich die jeweiligen minoritären Religionen von ihrer Umwelt sichtbar abheben. Bei den Widerständen, denen sich gegenwärtig muslimische Gemeinden bei Moscheebauvorhaben in Deutschland beispielsweise entgegensehen, erkennt Königseder die gleiche Qualität und Argumentationsweise wie bei historischen Konflikten um die Errichtung von Synagogen.

Die Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpädagogin Sabine Schiffer verweist in ihrem Kommentar zu Königseders Vortrag zudem darauf hin, dass damals wie heute die Medien für die Konstruktion des kollektiven Feindbildes ein hohes Maß an Verantwortung tragen. Im Bewusstsein des katastrophalen Resultats der bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert sich landesweit ausbreitenden Judenfeindschaft im staatlich organisierten Massenmord ein halbes Jahrhundert später, gelte es der aktuellen medial gesteuerten Verbreitung von Ressentiments gegen Muslime bereits in der Gegenwart ebenfalls medial entgegenzuwirken. Mit der Porträtierung der Konferenzergebnisse und ihrer Veröffentlichung in jenem an breite Bevölkerungsschichten gerichteten Buch sollte diesbezüglich eine Wegmarke gesetzt werden.

Ausrichtung auf Islamfeindschaft ignoriert nicht bestehende Judenfeindschaft

Bereits im einleitenden Beitrag des Herausgebers Benz wird offensichtlich, dass diese Konferenz und ihre Fokussierung auf Islamfeindschaft von Anfang an unter einem hohen Rechtfertigungsdruck standen. Schließlich impliziert der Name des Zentrums eine vorrangige Beschäftigung mit Antisemitismus. Ebenso kann kein Zweifel daran bestehen, dass antijüdische Ressentiments bedingt durch den Nahostkonflikt im muslimischen Kulturkreis in den letzten Jahrzehnten überdurchschnittlich auf Resonanz treffen. Beidem trägt man jedoch Rechnung und lenkt die Aufmerksamkeit neben der Islamfeindschaft gleichermaßen auf eine nach wie vor existierende Judenfeindschaft - bei Muslimen ebenso wie bei Christen und Atheisten.

Nicht unerwähnt bleibt, in welchem Maße der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern und eine z.T. berechtigte Kritik an der israelischen Politik für die generelle Negativstigmatisierung von Juden instrumentalisiert werden. Demzufolge seien heutzutage antijüdische Ressentiments im arabischen Raum ebenso anzutreffen wie in der muslimischen Diaspora in Deutschland. Ungeachtet dessen stellt die Historikerin Juliane Wetzel eindeutig heraus, dass Antisemitismus als Phänomen, verstanden als rassistisch begründete Judenfeindschaft, einen europäischen, christlich-säkularen Ursprung besitzt.

Der jüdisch-sozialdemokratische Jurist und Publizist Sergey Lagodinsky verwahrt sich in seinem Kommentar auf Wetzels Beitrag gegen den seiner Ansicht nach unzutreffenden und verallgemeinernden Begriff des „islamischen Antisemitismus“. Der Islam als Religion sei in keiner Weise grundsätzlich gegen Juden eingestellt, wie wohl von radikalen Islamisten bestimmte Passagen aus Koran und Sunna derart interpretiert würden. Indem man diese Interpretationen als Kennzeichen eines vermeintlichen „islamischen Antisemitismus“ heranziehe, nehme man nicht nur eine Homogenisierung der gesamten muslimischen Zivilisation vor und trage damit zur Islamfeindschaft bei, sondern lasse außerdem erkennen, dass man das gleiche unreflektierte buchstabenorientierte Schriftverständnis besitze wie jene von judenfeindlicher Ideologie geleiteten Islamisten.

Der allgemeine Stellenwert, die historische Entwicklung im Widerstand gegen die zionistische Landnahme und das gegenwärtige Ausmaß der Judenfeindschaft in arabischen und muslimischen Kollektiven sind Gegenstand des Anhangs des Buches von Herausgeber Benz, wobei dem Einfluss von europäisch entstandenen, auf Juden bezogenen Verschwörungstheorien ein besonderes Augenmerk entgegengebracht wird. Sabine Schiffer merkt zudem an, dass auch im gegenwärtigen Deutschland und Europa nach wie vor ein Residuum von Antisemitismus vorhanden sei, er werde jedoch nicht mehr so offenkundig präsentiert, da die Gesellschaft insgesamt der Diskriminierung und Diffamierung von Juden, angesichts der historischen Erfahrungen, gegenüber erheblich sensibler reagiere als gegenüber öffentlicher Stigmatisierung des Islam, die vielfach als „legitim“ gelte.

 

Mediale Antiislampropaganda greift auf deutsche Erinnerungskultur und Strategien des Antisemitismus gleichermaßen zurück

Besonders anschaulich erläutern die Historikerin Yasemin Shooman an islamfeindlichen Websites sowie der Politologe Peter Widmann anhand des pseudowissenschaftlichen Publizisten und islamkritischen Orientalisten Hans-Peter Raddatz wie sehr sich die islamfeindliche Szene als Opfer zu inszenieren versteht. Hervorgehoben wird dabei, in welchem Maße die deutschen Erfahrungen mit Diktaturen allgemein und dem Nationalsozialismus im Besonderen für die eigene Agenda instrumentalisiert werden.

Man wähne sich auf dem Weg zu einer neuen, vom Islam und den muslimischen Immigranten getragenen Diktatur, gegen deren endgültige Etablierung man sozusagen die „letzten vorhandenen Widerstandskräfte“ mobilisiere. Den Eliten, die der muslimischen Minorität Respekt und Anerkennung entgegenbrächten, attestiere man dementsprechend ein „Mitläufertum“ und fehlende Zivilcourage. Diese Assoziationen an während des Dritten Reichs häufig anzutreffende, im Nachhinein als „beschämend“ charakterisierte Verhaltensweisen der Anderen verleite dem eigenen Handeln die Aura des Unangreifbaren und immunisiere gegen Rassismusvorwürfe.

Mit der konstruierten Allianz zwischen den als Hauptfeind auserkorenen Muslimen und den liberalen Eliten der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft wird zugleich eine Verschwörungstheorie aufgestellt, die unverkennbare strukturelle Ähnlichkeiten mit den bekannten, vor allem während der NS-Zeit populären antijüdischen Verschwörungsmythen wie den „Protokollen der Weisen von Zion“ aufweist. Die Unterstellung, Muslime würden gegenüber Nichtmuslimen ihre wahrhaftige Identität absichtlich verschleiern und besäßen von ihrer Religion sogar die Aufforderung, die „Ungläubigen“ zu täuschen, knüpft ebenfalls an bekannte Diffamierungstrategien der Antisemiten und Antijudaisten an. Shooman stellt heraus, wie derartige konstruierte Negativcharakteristika der stigmatisierten Religion, die christliche Antijudaisten seiner Zeit aus dem Talmud heraus zu erklären suchten, heute vielfach aus dem Koran heraus interpretiert werden.

Am Beispiel von Raddatz belegt Widmann zudem, dass eindeutig antijüdische Ressentiments und das besondere Eintreten für die Anliegen Israels oder der Juden als „Opfer des islamischen Terrors“ gelegentlich nebeneinander bestehen. Mit dem Image des Fachexperten ausgestattet, träfen die betreffenden Autoren trotz dieser widersprüchlich erscheinenden Kombination bei breitem Publikum auf Resonanz.

 

Die gesellschaftspolitische Botschaft steht im Vordergrund

Die Einführung des Herausgebers Benz ebenso wie die einzelnen Beiträge weisen immer wieder daraufhin, dass die Erforschung des Phänomens „Islamfeindschaft“ sich erst in den Anfängen befinde und die Ergebnisse dieser Konferenz daher mit Berechtigung angezweifelt werden dürften. In der fehlenden Bereitschaft, sich auf einen eindeutig definierten Terminus für das beschriebene Phänomen zu einigen, kommt allerdings eine wenig verständliche Unsicherheit der Vortragenden zum Ausdruck. Mag „Islamophobie“ angesichts der Assoziation an eine psychische Krankheit sich als ungeeignete Bezeichnung herausstellen, der Leser erwartet durchaus zu Recht einen eindeutig definierten Begriff von einschlägigen Wissenschaftlern, wie wohl diese Definition von anderen Fachvertretern aus plausibel dargelegten Gründen später zurückgewiesen werden kann.  

Zur Entlastung der Forscher dieses Zentrums sowie der Autorinnen und Autoren des Buches gilt es allerdings hervorzuheben, dass sie der gesellschaftspolitischen Botschaft gegenüber exakten wissenschaftlichen Ergebnissen und unzweideutigen begrifflichen Einordnungen gegenwärtig den Vorrang einräumen. Diese Absicht ist vor allem in der verschriftlichten Radiodiskussion im letzten Beitrag vor dem Anhang herauszulesen. Moderiert von Alfred Eichhorn von inforadio RBB offenbaren darin Benz, Lagodinsky, die Kölner Journalistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amipur und die aus Leipzig stammende Claudia Dantschke, die beim Zentrum Demokratische Kultur in Berlin aktiv ist, ihre gesellschaftspolitischen Ansichten.

Dem Leser werden die Auswirkungen der Islamfeindschaft lebensnah und eigenständig erfahrbar präsentiert. Auf diese Weise vermag das Buch eine erhöhte Sensibilität der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber den tagespolitischen Ereignissen und der Medienberichterstattung im Zusammenhang mit Muslimen hervorzurufen. Diesen wird wiederum aufgezeigt, wie die jüdische Minorität in Deutschland durch ihre Eigeninitiative und selbstbewusste Partizipation an kontroversen Debatten in der Öffentlichkeit erreicht, dass antijüdische Ressentiments in Deutschland zurückgegangen sind oder zumindest weniger ungeniert geäußert werden können. Die Muslime sollten dies als Ermutigung auffassen, ebenfalls die Scheu, vor kontroversen öffentlichen Debatten abzulegen und mittels Erläuterung der bestehenden Unklarheiten zur Verringerung der Unkenntnis viele Deutscher über ihre Religion und somit zum Abbau von Voreingenommenheit beizutragen. Sie können sich dabei der Unterstützung angesehener deutscher Gesellschaftswissenschaftler wie jenes Zentrums für Antisemitismusforschung gewiss sein.

 

Wolfgang Benz (Hrsg.): Islamfeindschaft und ihr Kontext

Dokumentation der Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“

Metropol Verlag, Berlin 2009

 

 

 

 
 

 

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