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Bevor Gilad Atzmon in Deutschland weiter
"hoffähig" gemacht wird, ist es an der Zeit,
ihn ein wenig kritischer, detaillierter
vorzustellen. Dann soll jeder entscheiden,
ob Gilad Atzmon der richtigen Partner für
unsere Solidaritätsarbeit ist.
Palästinensisches Angebot, deutsche
Debatten zu zivilisieren – bisher
ausgeschlagen
Sophia Deeg, März 2012
In einem Kommentar
von Evelyn Hecht-Galinski
zur Stuttgarter Konferenz steht:
"Dieser begnadete Jazz-Saxophonist wird von
verschiedenen „Kreisen“ verunglimpft, weil
man hier noch nicht so weit ist, sich
vorurteilsfrei mit seinen richtigen und hoch
intelligenten Thesen auseinanderzusetzen.
Wir hatten das Glück, Gilad Atzmon mit einem
Grußwort auf der Stuttgarter Konferenz
erleben zu dürfen"
Wie verändert sich die Beurteilung von Gilad
Atzmon, wenn man sich "vorurteilsfrei" mit
seinen angeblich "richtigen" Thesen
auseinandersetzt?
Warum muss eine kritische Auseinandersetzung
gleich eine "Verunglimpfung" sein?
Wie in der Stuttgarter Schlusserklärung
(Andersdenkenden sind Dogmatiker) versucht
man hier mit dem Stempel "verunglimpft"
notwendige, legitime Kritik ins Unrecht zu
setzen. Innerhalb der Palästina
"Solidarität" sollte man aber in der Lage
sein abweichende Meinungen ohne verbale
"kriegerische" Angriffe zu diskutieren,
wahrzunehmen.
Das "wir hatten Glück" ist ein Selbstlob,
der Autor dieser Worte selber hatte die
Einladung Atzmons organisiert und versucht
Atzmon in Deutschland "hofffähig" zu machen.
Verbaler Widerstand dagegen äußerte sich
schon auf der Stuttgarter Konferenz.
Das dadurch die Palästinasolidarität zu
Recht angreifbar, geschwächt wird, scheint
nicht zu kümmern.
Als einer, der die Stuttgarter
Palästina-Solidaritätskonferenz 'Getrennte
Vergangenheit – Gemeinsame Zukunft'
mitbeworben hat, trafen mich die
nachträglichen
unsachlichen,
diffamierenden Reaktionen (auf eine
berechtigte Kritik an der Schlusserklärung)
besonders.
Ich wurde nachdenklich. Meine Kritik gilt
immer noch und ausschließlich dieser
Schlusserklärung.
Unnötig spaltend,
auch mit dem Auftreten von Gilad Atzmon,
wurde dogmatisch und zunehmend ausgrenzend
agiert.
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Palästinensisches Angebot, deutsche
Debatten zu zivilisieren – bisher
ausgeschlagen
Sophia Deeg, März 2012
Wenn ein eher Unbekannter eine Versammlung mit einer
populistischen Tirade überrumpelt, ist das kaum von
Belang. Man distanziert sich und kann den Vorfall
getrost vergessen. Anders auf der Stuttgarter
Palästina-Konferenz im Herbst 2010 und in ihrer
Folge bis heute.
Einem in weiten Kreisen
der palästinensischen und internationalen Bewegungen
für die Rechte der Palästinenser wegen seiner
dubiosen Verschwörungstheorien ausdrücklich
unerwünschten „Mitstreiter“ wird hierzulande in der
„Palästina-Solidaritätsbewegung“, die immer noch
eher eine „Israel-Empörungsbewegung“ zu sein
scheint, sogar eine Bühne geboten. Es mussten erst
PalästinenserInnen kommen, um deutlich zu machen,
dass eine kulturalistisch antijüdische Ideologie mit
ihrer Bewegung unvereinbar ist.
Dabei ist der Fall sehr einfach, wie schon wenige
Sätze des „solidarischen Grußworts“ des
Überraschungsgasts von Stuttgart zeigen:
„...aber irgendwie
neigen wir dazu zu vergessen, dass das Wort
„universell“ der jüdischen Kultur sehr fremd
ist. Die jüdische Kultur ist tribal orientiert.
Wir neigen immer wieder dazu, die eindeutige
Tatsache zu vergessen, dass Frieden in der Form
der Versöhnung, des Liebe deinen Nächsten - wie
gesagt, der jüdischen Kultur zutiefst fremd ist
... Es ist keine schlechte Idee, mit ihnen in
Frieden zusammen zu leben, aber dieser Planet
ist vermutlich nicht der richtige Platz dafür.
Einfach weil dieser Kultur die Vorstellung,
seinen Nachbarn zu lieben, fremd ist. (...)
unsere Politiker, die uns regelmäßig betrügen:
Seht euch nur eure Wirtschaft an. Die
Zionisierung westlicher Politik ist ein
Desaster. Und es liegt an ... dem zionistischen
Krieg, den wir führen und über den niemand reden
will ...“
Das konnte der Gast auf einer politischen Konferenz
vor recht gut gebildeten und zum Teil sich als links
verstehenden Deutschen, von denen sich viele zum
Beispiel über islamophobe Tendenzen in diesem Land
empören, und sicher jeder von sich behaupten würde,
er sei ganz gewiss kein Antisemit, unwidersprochen
äußern? Auf einer Konferenz, bei der die deutsche,
allzu deutsche Israel-Empörungs-Bewegung erstmals
mit den internationalen, aus der palästinensischen
Zivilgesellschaft hervorgegangenen,
basisdemokratischen Widerstandsbewegungen für die
Rechte der PalästinenserInnen in Berührung kam?
Nein, das Gerede des Gastes blieb nicht
unwidersprochen, denn glücklicherweise für uns, das
unbedarfte deutsche Publikum, waren palästinensische
AktivistInnen und TheoretikerInnen eben jener
Bewegungen anwesend und machten umgehend klar, dass
im gemeinsame Kampf für ein Zusammenleben von
Palästinensern und Israelis als Gleiche und gegen
Apartheid und Rassismus, wo auch immer sie
auftreten, krude Anschauungen wie die geäußerten
keinen Platz haben. Im Übrigen sprechen solche Ideen
der Rationalität Hohn, die jene Bewegungen
auszeichnet und sie wohltuend von der alten
moralisierenden, selbstgefälligen, intellektuell und
politisch muffigen Empörungssolidarität
unterscheidet.
Die BDS-Bewegung beispielsweise dekliniert präzise
durch, inwiefern gewisse Firmen oder gewisse
künstlerische Projekte von der Besatzung
profitieren, die Enteignung und Entrechtung der
PalästinenserInnen faktisch unterstützen, Israels
Verletzungen internationalen Rechts beschönigen
etc., und inwiefern der gezielte
zivilgesellschaftliche Widerstand gegen solche
Nutznießer des Unrechts ein wirksamer Hebel zur
Veränderung ist.
Niemand braucht, um
irgendetwas besser zu verstehen oder einen legitimen
Widerstand zu organisieren, verschwommene Theorien
über eine „jüdische Kultur“ oder auch den
„Zionismus“, die angeblich hinter allen Übeln dieser
Welt stecken. Im Übrigen ist man der locker
assoziativ gestrickten Rede von mal „jüdisch“ mal
„zionistisch“, als wären es Synonyme, nun wirklich
überdrüssig, da sie einem von der israelischen
Propaganda und dem ihr devot folgenden deutschen
Mainstream non-stopp serviert wird. Während sich,
als die haarsträubenden Sätze fielen, das Publikum
kaum rührte, äußerten manche deutsche, auch eine
französische Teilnehmerin im privaten Gespräch ihr
Befremden.
Manche waren zu
überrascht von dem Grußwort des Gastes, als dass sie
gleich hätten reagieren können. Die Vorstellung,
Krieg und Wirtschaftskrise habe nichts mit
gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und
alles mit den ewigen kulturellen oder ideologischen
Zügen einer Menschengruppe zu tun, schien einfach zu
bizarr. Man befand sich schließlich nicht auf einer
NPD-Versammlung oder einer Lesung mit Herrn
Sarazin...
Es gab und gibt aber auch einige, die jetzt erst
recht Gilad Atzmon, dem israelisch-britischen Jazzer
und selbst ernannten Kämpfer für die
palästinensische Sache, in Deutschland eine Bühne
bieten, denen er offenbar aus der Seele spricht.
Seinen AdeptInnen geht es nach eigenem Bekunden um
die Redefreiheit, die sie mit heroischem Gestus
verteidigen, obwohl sie ihrem Idol von niemandem
abgesprochen wurde, auch nicht von den
palästinensischen Kritikern. Diese nahmen sich
lediglich ihrerseits die Freiheit, ihren Standpunkt
zu begründen, dass anti-jüdische Ideen in den
palästinensischen und internationalen Bewegungen für
gleiche Rechte nichts zu suchen haben.
Weder Atzmon selber,
noch seine deutschen AnhängerInnen sind jemals auf
diese Argumente eingegangen. Er setzte vielmehr noch
einen drauf und schrieb unter dem Titel „Die
Wahrheit über Stuttgart“ auf seiner Website, nur ein
paar Juden (!) und eine Marxistin (Marxisten sind
Atzmon fast genauso verhasst wie anti-zionistische
Juden) hätten sich kritisch geäußert.
Atzmon spricht weiterhin, z.B. in den USA, wo er
derzeit sein neuestes Buch vorstellt, unbeirrt von
„unserer Bewegung“ und bleibt bei seinen
kulturalistischen Thesen, obwohl selbstverständlich
in den Solidaritätsbewegungen von Ländern wie
Großbritannien, den USA, Frankreich, vor allem aber
in Palästina und unter Palästinensern seine
Äußerungen auf präzise begründete Ablehnung stoßen.
Linke Aktivisten wie
Moshé Machover, Mitbegründer von Matzpen, werden von
Atzmon wüst beschimpft, sobald sie ihn kritisieren.
Intellektuelle wie Brian Klug, die zu Themen wie
Antisemitismus, Islamophobie und Nahost forschen und
publizieren, würden sich nicht mit Atzmon an einen
Diskussionstisch setzen.
Auch der
Holocaust-Überlebende Hajo Meyer, der dazu zunächst
bereit war, lehnte ab, nachdem er Äußerungen von
Atzmon gelesen hatte, die nichts weniger als eine
höhnische Leugnung dessen darstellen, was Meyer
selber erlebt und erlitten hat.
Am 13. März 2012 haben Ali Abunimah (u.a. Gründer
von http://electronicintifada.net/) und Haidar Eid
(u.a. Mitglied der PACBI-Kampagne: http://www.pacbi.org/),
die ihm auch in Stuttgart schon entgegentraten,
sowie eine ganze Reihe weiterer palästinensischer
Intellektueller/AktivistInnen erneut Stellung
genommen.
Ihre Erklärung ist u.a.
auf der Electronic Intifada Website veröffentlicht
(http://electronicintifada.net/blogs/ali-abunimah/palestinian-writers-activists-disavow-racism-anti-semitism-gilad-atzmon
) und kursierte binnen Stunden weltweit in
AktivistInnen-Kreisen, wo sie allgemein begrüßt
wurde.
Darin verwehren sie sich unter anderem gegen die
Arroganz und kolonialistische Haltung, mit der
Atzmon es „sich seit vielen Jahren zur Aufgabe
(macht), für die palästinensische Bewegung zu
definieren, welcher Art ihr Kampf und die ihn
begründende Philosophie sei“.
Möglicherweise reagiert die deutsche
„Palästina-Solidaritätsbewegung“ so gleichmütig (bis
begeistert) auf die Äußerungen Atzmons in ihrer
Mitte und ignoriert die Distanzierung seitens der
Palästinenser, weil die politische Kultur der
Diskurse und Aktivitäten gemeinsam und auf Augenhöhe
mit den Widerstandsbewegungen der Besetzten,
Ausgebeuteten, Unterdrückten hierzulande noch kaum
angekommen ist.
Anders gesagt: Was „irgendwelche“ palästinensischen
Aktivisten äußern, ist nicht so bedeutend, wie das,
was ein semi-prominenter Künstler und „Philosoph“
aus „unserer Sphäre“ stellvertretend (und ungebeten)
für sie sagt. Die intellektuelle Unlauterkeit, der
Bluff, die Verworrenheit fallen offenbar nicht auf,
wenn solche unbewussten Weichenstellungen erst
erfolgt sind, wenn der Begriff der Solidarität ein
herablassend kolonialistischer ist, der impliziert:
Wir wissen besser, was für sie gut ist.
Sophia Deeg, März 2012
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