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Das
verwüstete Dorf Awarta
Mazin Qumsiye, April 2011
http://qumsiyeh.org
….Schließlich fuhren wir
in das Dorf Awarta und waren fassungslos
über das, was wir dort sahen und hörten.
Unterwegs hielten wir bei
dem winzigen Dorf Izbet al-Tabib, einem Dorf
mit 350 Einwohnern. Es hatte gerade eine
neue Order vom israelischen Militär
erhalten, dass es einen großen Anteil seines
Landes enteignen würde. Die Mauer, die dort
gebaut und das Land dahinter isolieren wird,
soll die illegale Schnellstraße 55 schützen,
eine israelische Straße, die schon auf
palästinensischem Land gebaut wurde. Sie ist
für die Siedlungen bestimmt, die auf dem
westlichen Wasseraquifer der
palästinensischen Westbank gebaut wurden.
Doch statt die Mauer auf
der kolonialen Straße 55 zu bauen, wird sie
in großer Entfernung von dieser im Norden
ganz nah am Dorf gebaut, um das reiche
landwirtschaftlich genützte Land dazwischen
auch zu bekommen. Die Dorfbewohner wissen
nicht, was sie tun sollen, außer zu den
voreingenommenen israelischen Gerichten zu
gehen, die von israelischen Richtern
geleitet werden, die ganz eindeutig
israelisch koloniale Interessen begünstigen.
Die Arbeit an der Mauer soll am Sonntag
beginnen, und die Dorfbewohner baten uns, ob
wir dann nicht kommen könnten.
Dann fuhren wir weiter in
Richtung Nablus und Awarta. Nach einem
kurzen Mittagessen in Nablus bei unserm
Freund Dr. Saed Abuhijleh ging es weiter
nach Awarta. Wir fuhren in das reiche Tal
von Westen, fuhren an einem israelischen
Militärlager vorbei und sahen überall auf
den Hügeln ringsherum die jüdischen
Siedlungen. Das ursprüngliche Dorf mit 6000
tapferen Seelen liegt am nördlichen Abhang
des Tales und die Dorfbewohner sind ständig
mit dem Anblick der auf ihrem Land
wachsenden Kolonialsiedlungen konfrontiert.
Die Hauptsiedlung auf gestohlenem Dorfland
wird von den Siedlern Itamar genannt. Über
12000 Dunum Land von Awarta wurden schon von
dieser Siedlung geraubt, die von den
fanatischsten der jüdischen Sieder bewohnt
wird. Zwei Palästinenser aus Awarta wurden
getötet, weil sie knapp 500 Meter vor den
befestigten Zaun dieser Siedlung geraten
waren. Dies ist einer der vielen Gründe,
warum wir überzeugt sind, dass die ganze
Geschichte über den Mord an einer
Siedlerfamilie durch zwei Teenager aus dem
Dorf von Awarta eine Lüge ist. Aber der Mord
an diesen Siedlern bereitete den Weg für den
Überfall der israelischen Armee auf das
Dorf: Die Leute wurden geschlagen, es wurde
viel zerstört, es wurde gefoltert und vieles
mehr – alles als kollektive Strafe. Es ist
schwer zu beschreiben, was wir sahen und
hörten. Das Video gibt nur einen kleinen
Teil wieder. ( unter
http://youtube.com/watch?v=4kmsI96i618)
Das Dorf hat in der
Vergangenheit schon wiederholt Angriffe von
Siedlern erlitten. Erst letztes Jahr haben
Siedler und Soldaten (aus nächster Nähe)
zwei Jugendliche (18 und 19 Jahre alte
Cousins ) erschossen: Salah und Muhamad
Qawarig), die auf ihrem Feld arbeiteten.
Dorfbewohner fragten uns, warum es da keine
Empörung gegeben habe und niemand für diese
brutalen Taten verantwortlich gemacht wurde.
Wir sind alle 100%ig davon überzeugt, dass
die Siedlerfamilie nicht von
palästinensischen Teenagern getötet wurde,
von denen die israelischen Behörden
behaupten, sie seien die Schuldigen. Die
Geschichte der kolonialen Armee ist so
voller Lücken, dass sie einfach nicht
glaubwürdig ist. Es sind Dinge, die keinen
Sinn ergeben.
Warum sollten zwei junge
Teenager, die nichts mit Politik zu tun
haben und von denen einer ein glatter
Einser-Student im letzten Gymnasialjahr war
und der andere ein westlicher Rapper ist und
sich am Leben erfreut - warum sollten die so
etwas tun? Kinder zu töten, wird in unserer
Kultur unter keinen Umständen geduldet. Wie
sollten solch junge Leute es fertig bringen,
eines der am schwersten bewachten und
abgesicherten Siedlungen in der Westbank
betreten . Wie sollten sie durch einen
Elektrosicherheitszaun und alle anderen
Barrieren in eine Siedlung kommen, die damit
prahlt, dass sie die Sicherste aller
jüdischen Siedlungen auf der Westbank sei.
Wie sollten zwei Fremde es fertig bringen,
zwei Stunden in der Siedlung zu bleiben und
zu demselben Haus zurückkehren, um ein M
16-Gewehr zu holen, das dort im Schlafzimmer
lag (so die Armee)
Warum sollten zwei Leute,
die solch ein Verbrechen begangen haben
sollen, zurück zum Studium gehen oder sich
tagelang ihres Lebens erfreuen, wenn einer
von ihnen verhaftet wurde, 10 Stunden lang
verhört und dann entlassen wurde? Warum
nicht weglaufen?
Es gab Berichte in
israelischen Zeitungen, dass ein
Thai-Arbeiter, dem Tausende Schekel nicht
bezahlt wurden, in die Sache verwickelt sei
– aber plötzlich verschwand dies aus den
Medien. Warum wohl?
1.Was ist mit der
Behauptung der Dorfbewohner, dass dieser
ganze Vorfall dahin abzielte, weitere 1000
Dunum ihres Landes zu fordern?
2.Warum erlaubten die
israelischen Behörden den Medien nicht die
Untersuchung dessen, was wirklich
vorgefallen war?
3.Warum erlaubten die
israelischen Behörden keine unabhängige
Untersuchung oder internationalen Schutz
oder die Präsenz von Zeugen für das, was
vorgefallen war.
4. Warum wurde den beiden
jungen Leuten der Zugang zu Anwälten
verboten und der Besuch von
Familienangehörigen?
Diese und hundert andere
Fragen stellten die Dorfbewohner. Besonders
geschockt war ich von dem. was Um Adam, eine
77jährige Großmutter ( mit 14 Kindern und
über 73 Enkeln) erzählte. Sie war mit 100
anderen verhaftet und gezwungen worden,
einen DNA-Test zu machen und ihren
Fingerabdruck auf ein Papierdokument auf
Hebräisch zu setzen, das sie nicht lesen
konnte. Sie und hundert andere erhielten
während ihrer Haft keinen Zugang zu einem
Anwalt. 14 ihrer Kinder und Enkel sind noch
immer von den kolonialen Soldaten
gekidnappt. Eines ihrer Kinder, das noch
immer von den Israelis festgehalten wird,
ist der freiwillige Chef des Gemeinderats.
Ein anderes ihrer Kinder ist der einzige
Arzt des Ortes. Die Wohnungen dieser beiden
, auch ihre Wohnung und vieler anderer
wurden durchwühlt, geplündert und schwer
beschädigt. Der Raum des Arztes und seine
medizinischen Bücher und Medikamentenvorräte
wurden nicht geschont. Während wir fast drei
Wochen nach den Vorfällen kamen, waren viele
der Wohnungen/Häuser mit Hilfe
internationaler Freiwilliger aufgeräumt und
gereinigt worden. Trotzdem konnten wir die
Schäden noch sehen. Ein ganzes Dorf in
solcher Weise zu strafen, erinnert uns an
das schlimmste Regime in der Geschichte.
Es ist ein Schandfleck
auf der Menschheit, dass die Welt über diese
Praktiken von Landraub und Zerstörung der
Lebensgrundlage der Menschen schweigt. Nun
wo Hamas und Fatah einige ihrer Differenzen
aufgeben wollen, frage ich mich, ob einer
von ihnen (in der Position von „Autorität“)
etwas für die Dörfer Awarta oder Izbet
Al-Tabib tun wird. Wir sind traurig und
zornig, und wir bitten alle anständigen
Menschen (Israelis, Palästinenser und
Internationale) alles , was von unserer
kollektiven Apathie übrig blieb, abzulegen.
Wir müssen darauf bestehen, dass die Siedler
von allem gestohlenen palästinensischen Land
entfernt werden und dass Palästinensern
Schutz gewährt wird. Wenn den Palästinensern
nicht durch neutrale Parteien Schutz gegeben
werden kann, dann ist es fast sicher – auf
Grund unserer Geschichte von 15 Aufständen,
dass ein neuer Aufstand gegen diese
Ungerechtigkeit ausgeführt werden wird.
„Ein wesentlicher Faktor
ist, dass wenn Menschen nicht gezwungen
werden sollen, als letztes Mittel eine
Rebellion gegen Tyrannen und Unterdrückung
zu nehmen, dann müssen ihre Menschenrechte
per Gesetz geschützt werden.“ Präambel der
allgemeinen Menschenrechte.
(dt. Ellen
Rohlfs)
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