Der Jerusalemtag feiert
eine nicht vorhandene Vereinigung
Daphna
Golan
Ein paar Wochen nachdem
wir am Passahabend sagten: “Nächstes Jahr in
Jerusalem”, ist der Jerusalemtag gekommen und lässt
uns fragen, ob es dieses Jerusalem ist, das wir
meinten. Jerusalem erlebt gerade einen wunderschönen
Frühling. Die Sonne scheint. Und im Westen der
Stadt stehen die Verkehrsinseln in Blüte, während
Tausende von bewaffneten Polizisten und Zivilisten
sich vor der nächsten Explosion fürchten.
Ist das das Jerusalem,
nach dem sich Diasporajuden zurückzukehren sehnen?
Das vereinigte Jerusalem, das sich von Shuofat bis
Beit Sahour erstreckt? Eine Stadt, auf deren einer
Seite ein Monster wie der Holyland-Wohnungskomplex
gebaut wird und auf deren anderen Seite es keinen
Bauplan und fast keine Bauplätze gibt und Tausende
von Menschen in Angst leben, dass ihre Häuser, die
ohne Genehmigung gebaut wurden, abgerissen werden.
Hätten wir uns, die
wir als Juden nach Jerusalem zurückkehrten,
vorstellen können, dass sie Palästinenser aus ihren
Häusern vertreiben, um selbst darin zu wohnen? Ist
es möglich, dass wir die Vereinigung Jerusalems
feiern, wenn palästinensische Familien in Sheikh
Jarrah unter der Schirmherrschaft des Gerichtes aus
ihren Wohnungen vertrieben werden, um an ihrer
Stelle dort Juden wohnen zu lassen?
Im Gegensatz zu den
jüdischen Feiertagen, die zu Hause gefeiert werden
und die uns nahe an das Jerusalem bringen, das in
unsern Herzen lebt, lädt uns der Jerusalemtag ein,
nach draußen zu kommen, zu Veranstaltungen, Rallys
und zu einer Parade durch die Straßen der Stadt. Auf
Reklametafeln lädt uns Bürgermeister Nir Barkat ein,
den „43.Jahrestag der Stadtvereinigung zu feiern“,
und eine Bildungswoche, deren Thema ist „Mauern
durchbrechen“. Dieses Thema soll uns überzeugen,
dass durch kompetente Erziehung/Ausbildung es
möglich ist, aus dem gefährlichen Teufelskreis der
Gewalt auszubrechen, Hindernisse zu überwinden und
voller Hoffnung in die Zukunft zu schauen.“
Aber die Bildungswoche
„Mauern durchbrechen“ schließt nicht Nadia ein, die
ihre Schule in Jerusalem wegen der Mauer nicht
erreichen kann. Auch nicht den Gedanken an die
Tausenden von palästinensischen Kindern, für die die
Schulen keinen Platz haben oder an die Hunderten von
Kindern, die durch ( schwere) Luftverschmutzung aus
einer Fabrik in der Nähe ihrer einzigen Schule in
Ost-Jerusalem in Mitleidenschaft gezogen wurden. In
Jerusalem, das seinen Festtag mit Trommeln und
Tanzen begeht, leben 74% der palästinensischen und
47,7% der jüdischen Kinder in Armut.
Die Siegesparade am
Jerusalemtag feiert eine Städte-Vereinigung , die
niemals stattgefunden hat, deren Einheit erfunden
wurde. 1967 wurde Jerusalem um das Dreifache
vergrößert, Ost-Jerusalem wurde verschlungen und 28
Dörfer dazu. Heute ist es die größte Stadt Israels
und seine Grenzen sind wie eine Beleidigung. Mehr
als ein Drittel des Landes im Privatbesitz in
Ostjerusalem wurde enteignet und Stadtteile „nur für
Juden“ wurden auf diesem gebaut.
Jerusalem, das heute
seine Vereinigung feiert, ist eine Stadt von Juden,
für die die Stadt geplant wird, und von
Palästinensern, die der Staat als Ausländer in ihrer
eigenen Stadt ansieht. Der Bau für Juden geht
weiter, obwohl in den letzten Jahren das Wegziehen
von Juden angewachsen ist; so hat sich trotz
natürlichem Wachstum die Größe der jüdischen
Bevölkerung kaum verändert.
Aber für Palästinenser,
deren durchschnittliche Wachstumsrate höher ist und
die die Stadt nicht verlassen, wurde kein einziger
Stadtteil gebaut. Da gibt es keinen Gesamtplan, und
Baugenehmigungen sind äußerst selten. Aber es gibt
viele Abrissorder für Häuser, die ohne Genehmigung
gebaut wurden.
Das geteilte Jerusalem
feiert eine Vereinigung, die nie stattgefunden hat.
Es feiert Besatzung und anhaltende Diskriminierung
über mehr als ein Drittel der Stadtbevölkerung, der
die Stadtverwaltung weniger als 14% seines Budgets
zuweist.
Die Verbindung des
jüdischen Volkes zu Jerusalem hat keine Paraden mit
Tausenden bewaffneter Polizisten und Zivilisten
nötig. Was es aber dringend bedarf, ist ein neues
Denken, das aus der Vergangenheit lernt und Hoffnung
für all seine Bewohner, Palästinenser und Israelis,
Muslime, Christen und Juden anbietet.
Nächstes Jahr in
Jerusalem, das mit Gleichheit für alle wieder
aufgebaut ist, (wünsch ich mir.)
(dt. Ellen Rohlfs)
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