Der Ton macht die Musik
Uri Avnery,
6. Juni 2009
EIN
MANN sprach zur Welt, und die Welt hörte ihm zu.
Er
schritt zum Rednerpult in Kairo, allein, ohne Gastgeber und ohne
Assistenten. Und er hielt vor einem Auditorium von Milliarden eine
Predigt. Ägypter und Amerikaner, Israelis und Palästinenser, Juden
und Araber, Sunniten und Schiiten, Kopten und Maroniten - sie alle
lauschten ihm aufmerksam.
Er
breitete vor ihnen die Karte einer neuen Welt aus, einer anderen
Welt, deren Werte und Gesetze er in einfacher und klarer Sprache
darstellte – in einer Mischung von Idealismus und praktischer
Politik, von Vision und Pragmatismus.
Barack Hussein Obama – er legte deutlich Wert darauf, beim vollen
Namen genannt zu werden – ist der mächtigste Mann der Erde. Jedes
von ihm geäußerte Wort ist eine politische Tatsache.
„EINE HISTORISCHE REDE“, verkündeten Kommentatoren in hundert
Sprachen. Ich würde lieber ein anderes Adjektiv verwenden.
Die Rede war genau richtig.
Jedes Wort war an seinem Platz, jeder Satz präzise, jeder Ton in
Harmonie. Das Meisterstück eines Mannes, der der Welt eine neue
Botschaft bringt.
Vom allerersten Wort an spürte jeder Zuhörer in der Halle und in der
Welt die Ehrlichkeit dieses Mannes, dass sein Herz und seine Zunge
im Einklang waren, dass dies kein Politiker des alten und
wohlbekannten Schlages ist – heuchlerisch, frömmelnd, berechnend.
Seine Körpersprache war eindeutig, genau so sein Gesichtsausdruck.
Deshalb war die Rede so bedeutsam. Die neue moralische Integrität
und das Gefühl für Ehrlichkeit vermehrte die Wirkung des
revolutionären Inhalts.
UND ES WAR ganz gewiss eine revolutionäre Rede.
In
55 Minuten wischte sie nicht nur die acht Regierungsjahre von
George W. Bush weg, sondern auch vieles der vorausgegangenen
Jahrzehnte seit dem 2. Weltkrieg.
Das amerikanische Schiff drehte sich -- nicht mit großer
Schwerfälligkeit, wie jeder erwartete, sondern mit der Wendigkeit
eines Schnellboots.
Es
ist mehr als nur ein politischer Wandel. Dies geht bis an die
Wurzeln des amerikanischen Bewusstseins. Der Präsident spricht zu
hundert Millionen amerikanischen Bürgern, genau so wie zu einer
Milliarde Muslimen.
Die amerikanische Kultur gründet sich auf den Mythen des Wilden
Westens – mit seinen guten und seinen bösen Kerlen,
mit Gewalt im Dienste der Gerechtigkeit, Duellen in der
Mittagssonne. Da sich die amerikanische Nation aus Immigranten aus
aller Welt zusammensetzt, schien es, als bräuchte ihre Einigkeit
einen die Welt bedrohenden bösen Feind wie die Nazis, die Japaner,
die Kommunisten. Nach dem Kollaps der Sowjetherrschaft wurde diese
Rolle dem Islam übertragen.
Der grausame, fanatische, blutdürstige Islam; der Islam als eine
Religion des Mordes und der Zerstörung; der Islam, der nach dem Blut
von Frauen und Kindern schreit. Dieser Feind hatte die Phantasie der
Massen besetzt und versorgte die Medien – das Fernsehen und die
Filme – mit Stoff. Er lieferte Vorlesungsthemen für gelehrte
Professoren und inspirierte Schriftsteller der Populärliteratur.
Das Weiße Haus war von einem Schwachkopf besetzt, der einen
weltweiten „Krieg gegen den Terrorismus“ erklärte.
Wenn Obama jetzt diesen Mythos mit der Wurzel ausreißt,
revolutioniert er die amerikanische Kultur. Er wischt das Bild des
einen Feindes weg, ohne ein anderes an seine Stelle zu setzen. Er
predigt gegen die gewalttätige, feindselige Haltung selbst und
bemüht sich , sie durch eine Kultur der Partnerschaft zwischen
Nationen, Zivilisationen und Religionen zu ersetzen.
Ich sehe Obama als den ersten großen Botschafter des 21.
Jahrhunderts. Er ist das Kind eines neuen Zeitalters, in dem die
Wirtschaft global ist und die ganze Welt sich einer
existenzbedrohenden Gefahr gegenübersieht. Eine Ära, in der das
Internet einen Jungen in Neuseeland mit einem Mädchen in Namibia in
Echtzeit verbindet, in der eine Krankheit in einem kleinen
mexikanischen Dorf sich innerhalb weniger Tage über den Globus
verbreiten kann.
Diese Welt braucht ein Weltgesetz, eine Weltordnung, eine
Weltdemokratie. Deshalb war diese Rede wirklich historisch: Obama
skizzierte die grundlegenden Umrisse einer Weltverfassung.
WÄHREND OBAMA das 21. Jahrhundert proklamiert, kehrt die Regierung
Israels ins 19. Jahrhundert zurück.
Es
war das Jahrhundert, in dem ein enger egozentrischer, aggressiver
Nationalismus in vielen Ländern Wurzel fasste. Es war das
Jahrhundert, das Nationen die Legitimität zusprach, Minderheiten
zu unterdrücken und benachbarte Staaten zu unterwerfen. Es war das
Jahrhundert, das den modernen Antisemitismus hervorbrachte und als
Antwort darauf - den modernen Zionismus.
Obamas Vision ist nicht anti-national. Er sprach voller Stolz über
die amerikanische Nation. Aber sein Nationalismus ist von anderer
Art: ein inklusiver, multikultureller und anti-sexistischer
Nationalismus, der alle Bürger eines Landes einschließt und andere
Nationen respektiert.
Dies ist der Nationalismus des 21. Jahrhunderts, der langsam
übernationale, regionale und weltweite Strukturen annimmt.
Verglichen damit, wie miserabel sieht da doch die geistige Welt der
israelischen Rechten aus! Wie miserabel ist die gewalttätige,
fanatisch-religiöse Welt der Siedler, das chauvinistische Ghetto von
Netanyahu, Lieberman und Barak, die rassistisch-faschistisch
verschlossene Welt ihrer Kahane-Verbündeten !
Man muss diese moralische und spirituelle Dimension von Obamas Rede
verstehen, bevor man noch seine politischen Implikationen
betrachtet. Nicht nur in der politischen Sphäre sind Obama und
Netanyahu auf Kollisionskurs. Die Hauptkollision geschieht zwischen
zwei geistigen Welten, die so verschieden sind wie Sonne und Mond
.
In
Obamas geistiger Welt gibt es keinen Platz für die israelische
Rechte und ihre Äquivalente anderswo. Weder was ihre Terminologie
noch ihre „Werte“ betrifft und am wenigsten ihre Aktionen.
AUCH IN der politischen Sphäre hat sich eine riesige Kluft zwischen
den Regierungen Israels und der USA gebildet.
Während der letzten paar Jahre haben auf einander folgende
israelische Regierungen die Islamophobie, die sich in der
westlichen Welt ausbreitete, geschickt zu ihren Zwecken
ausgenutzt. Die islamische Welt wurde als tödlicher Feind
betrachtet, Amerika galoppierte verbissen auf den „Kampf der
Kulturen“ zu, jeder Muslim wurde zum potentiellen Terroristen.
Die führenden Kräfte vom israelischen rechten Flügel konnten feiern.
Schließlich sind die Palästinenser Araber, und die Araber sind
Muslime, die Muslime sind Terroristen - so dass Israel als der
zentrale Ort im Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der
Finsternis galt.
Es
war ein Paradies für rassistische Demagogen. Avigdor Lieberman
konnte die Vertreibung der Araber aus Israel befürworten; Ellie
Yishai konnte Gesetze für die Außerkraftsetzung der
Staatsbürgerschaft von Nicht-Juden erlassen, obskure
Knessetmitglieder konnten mit Programmen Schlagzeilen machen, die so
aussahen, als seien sie in Nürnberg inspiriert worden.
Dieses Paradies gibt es nicht mehr. Ob sich nun die Auswirkungen
schnell oder langsam realisieren - die Richtung ist offensichtlich.
Wenn wir auf unserm Weg weitergehen, werden wir eine
Aussätzigenkolonie.
DER TON macht die Musik – und dies gilt auch für die Worte des
Präsidenten, die er über Israel und Palästina gesagt hat. Er sprach
ausführlich über den Holocaust – ehrliche und mutige Worte, voller
Empathie und Mitleid, die von den Ägyptern schweigend, aber mit
Respekt aufgenommen wurden. Er betonte Israels Existenzrecht, und
ohne Pause dazwischen sprach er über das Leiden der
palästinensischen Flüchtlinge, über die unerträgliche Situation der
Palästinenser im Gazastreifen, die palästinensischen Hoffnungen auf
einen eigenen Staat.
Er
sprach auch respektvoll über die Hamas – nicht mehr als
„terroristischer Organisation“, sondern als einem Teil des
palästinensischen Volkes. Er verlangte, dass es Israel anerkennen
und der Gewalt abschwören solle, aber deutete auch an, dass er
eine palästinensische Einheitsregierung willkommen heißen würde.
Die politische Botschaft war klar und eindeutig: die
Zwei-Staaten-Lösung wird in die Tat umgesetzt. Er selbst will dafür
sorgen. Die Siedlungsaktivitäten müssen gestoppt werden. Er sprach
nicht wie sein Vorgänger nur über „Palästinenser“, sondern nannte
den ausdrücklichen Namen: „Palästina“ – also den Namen eines
Staates mit dem dazugehörigen Gebiet.
Und nicht weniger bedeutsam: der Iran war von der Agenda gestrichen,
der Dialog mit Teheran als Teil der neuen Welt ist zeitlich nicht
eingeschränkt worden. Ab jetzt kann keiner davon träumen, dass die
Amerikaner ein Okay für einen israelischen Angriff geben.
WIE HAT das offizielle Israel reagiert? Die erste Reaktion war
Leugnung. ‚Eine unwichtige Rede’. ‚Da gab es nichts Neues’, die
Kommentatoren des Establishments pickten einzelne pro-israelische
Sätze aus dem Text und ignorierten alles andere. Und schließlich
‚dies sind nur Worte. So hat er geredet. Nichts wird daraus kommen.’
Das ist Unsinn. Die Worte des Präsidenten der USA sind mehr als nur
Worte. Es sind politische Fakten. Sie verändern die Vorstellungen
von hundert Millionen. Die muslimische Öffentlichkeit hörte zu. Die
amerikanische Öffentlichkeit hörte auch zu. Es wird einige Zeit
dauern, bis die Botschaft durchsickern wird. Aber nach seiner Rede
wird die Pro-Israel-Lobby nicht mehr dieselbe sein wie davor. Die
Ära der „Foile Shtik“ ( jiddisch für raffinierte Tricks) ist
vorbei. Die gerissene Unehrlichkeit eines Shimon Peres, die
arglistigen Täuschungen eines Ehud Olmert, das süße Gerede eines
Netanyahu – sie gehören alle der Vergangenheit an.
Das israelische Volk muss nun entscheiden: ob es der rechts
orientierten Regierung in eine unvermeidliche Kollision mit
Washington folgen will, so wie die Juden vor 1940 Jahren , als sie
den Zeloten in einen selbstmörderischen Krieg gegen Rom folgten
, - oder ob sie sich Obamas Marsch in eine neue Welt anschließen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Gush Shalom
42
Jahre lang Besatzung –
42
Jahre lang das Land korrumpieren
42
Jahre lang langsame Annexion
42
Jahre lang Räuberbesiedlung
42
Jahre lang wachsende Gewalt
42 Jahre lang den Frieden sabotieren
Inserat in Haaretz am 5.Juni 2009
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Die Besatzung ist eine
Katastrophe
Beendet die
Besatzung! Zusammen mit anderen Friedensgruppen
Werden wir heute Abend, am Samstag auf dem Rabin-Platz
demonstrieren..
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