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Das
lachende Biest
Uri Avnery, 3.März 2012
WENN ICH dem Ruf meines Herzens folgte, würde ich
an unsere Regierung appellieren, die israelisische Armee nach Syrien
zu senden, die Assad-Gang aus Damaskus zu vertreiben, das Land der
syrischen Opposition oder der UN zu übergeben und nach Hause
zurückzukehren.
Das wäre noch nicht einmal schwer.
Damaskus ist nur einige Dutzend Kilometer von den
Stellungen der israelischen Armee auf den Golanhöhen entfernt.
Die syrische Armee ist damit beschäftigt, gegen
ihr eigenes Volk zu kämpfen. Wenn sie dies ändern und statt dessen
gegen uns kämpfte, würden die Rebellen in Damaskus hineinrauschen
und den Job selbst beenden.
So oder so, das Monster wäre verschwunden.
Wäre das nicht wunderbar?
Ja, das wäre es, aber leider ist es alles in
allem eine verrückte Idee.
Weil der Hass des
syrischen Volkes, einschließlich der
Rebellen, auf uns sogar noch größer ist als der Hass auf Bashar.
Wenn israelische Soldaten die Grenze überquerten,
würden die Syrier sich geschlossen hinter ihre Armee stellen und die
Revolte beenden.
Für die gesamte arabische Welt ist Israel ein
Anhänger des Teufels. Sogar die arabischen Länder, die wie Saudi
Arabien die Freie Syrische Armee unterstützen, müssten es sich
zweimal überlegen. Israels Unterstützung ist für jede arabische
Gruppe, mag sie progressiv oder patriotisch sein, ein Todeskuss.
Aus diesem Grund wäre sogar eine verbale
Unterstützung fatal. Einige Menschen sähen gerne, dass die
israelische Regierung an den Präsidenten, Barack Obama, und/oder die
UN appellieren würde, sich einzumischen. Dies würde (jedoch) falsch
aufgefasst werden. Es würde Bashar und seinen Spießgesellen dazu
verhelfen, die Rebellen als amerikanische Agenten und zionistische
Handlanger zu brandmarken.
Was also kann Israel tun, um dem leidenden Volk
nebenan zu helfen?
Nichts! Absolut gar nichts!
Weder eine militärische Intervention, noch
diplomatische Bemühungen, noch nicht einmal eine Geste der
Solidarität.
STATTDESSEN sollten wir über die Gründe
nachdenken, weshalb wir uns in dieser bedauerlichen Situation
befinden.
Es gab eine Zeit, in der die Menschen der
arabischen Welt Israel zwar nicht mochten, doch trotzdem das, was
Israel sagte, glaubten. Selbst, wenn ihnen die Äußerungen der
israelischen Armee zuwider waren, glaubten sie diese. Diese Tage
sind längst vorbei.
Wenn die israelische Armee verkünden würde, dass
sie in Syrien einmarschierte, um es von seinem Diktator zu befreien,
und sie sich danach sofort wieder zurückzöge, würde das Volk (nur)
lachen. Israel? Rückzug? Israel drang im Jahre 1982 in den Libanon
ein, um „bis zu 40 Kilometer von der Grenze ein Gebiet von
palästinensischen Terroristen zu befreien“, und brauchte 18 Jahre,
um es wieder zu verlassen – und das (auch) nur, nachdem es einen
heftigen Guerilla-Krieg verloren hat. Israel besetzte im Jahre1967
die Golanhöhen und hat seitdem keinerlei Absicht gezeigt, diese
jemals wieder zu verlassen.
Wenn Israel irgendetwas bezüglich der syrischen
Lage unternähme – gleichgültig was – würde sich die gesamte Welt
fragen: „ Was waren diese Israelis bis heute? Was sind ihre
Hintergedanken?“
Wer wäre so naiv, zu erwarten, dass ein Land, das
einen Avigdor Lieberman als Außen- und einen Ehud Barak als
Verteidigungsminister hat – ganz zu schweigen von Binyamin Netanyahu
- irgendetwas Selbstloses täte.
Also, vergessen wir das Ganze.
Doch, wie kann ich hier untätig dasitzen, während
sich weniger als 300 Kilometer von meinem Haus entfernt – näher als
Eilat – schreckliche Dinge ereignen?
Dies ist nicht nur eine Frage für einen Israeli.
Es ist eine Frage, die sich jeder Mensch in der ganzen Welt stellen
sollte.
Ob Israeli oder Norweger, Brasilianer oder
Pakistani, wir – die Bürger dieser Welt – sitzen vor den
Fernsehbildschirmen und sehen voller Schrecken die Bilder, die aus
Homs kommen, und fragen uns mit wachsender Verzweiflung: „Sind wir
vollkommen ohnmächtig? Ist die Welt gänzlich ohnmächtig?“
Vor 70 Jahren beschuldigten wir die Welt, keinen
Finger gekrümmt zu haben, als Millionen Juden, Roma und andere von
Einsatzgruppen und in Gaskammern ermordet wurden. Aber das war
inmitten eines schrecklichen Weltkrieges, als der Westen und die
Sowjetunion der unbarmherzigen Nazi-Militärmaschinerie, die von
einem der größten Tyrannen der Geschichte angeführt wurde,
ausgesetzt war.
Und dennoch – auch heute werden wir mit einem
Westentaschen-Diktator eines kleinen Landes konfrontiert, der sein
eigenes Volk massakriert. Sind wir wieder einmal unfähig, dies zu
unterbinden?
Das übersteigt noch die schrecklichen Ereignisse
in Syrien.
Die Hilflosigkeit der Weltgemeinschaft,
euphemistisch „die Familie der Nationen“ genannt - dass sie in
solch einer Situation nichts unternehmen kann, schreit bis zum
Himmel.
Die schlichte Wahrheit ist, dass das
internationale politische System, zu Beginn des dritten Millenniums,
im Zeitalter der wirtschaftlichen Globalisierung und des weltweiten
Netzes der direkten Kommunikation, immer noch Jahrhunderte
hinterherhinkt.
Nach dem schrecklichen Ersten Weltkrieg wurde die
Liga der Nationen geschaffen. Aber die Anmaßung der Sieger und ihre
Rachsucht gegenüber den Besiegten ließen sie eine falsche Struktur
schaffen, die bereits bei der ersten Bewährungsprobe scheiterte.
Nach dem noch schrecklicheren Zweiten Weltkrieg
versuchten die Sieger bedeutend realistischer zu sein. Aber die
Struktur, die sie schufen – die UNO (Organisation der Vereinigten
Staaten) – enthält andere Fehler. Die syrische Krise zeigt sie im
grellsten Licht.
Das schlimmste Charakteristikum der UNO ist das
Veto. Regelmäßig verdammt es die Organisation zu völliger Ohnmacht.
Es ist umsonst, Russland und China des
unverfrorenen Zynismus zu beschuldigen. Sie unterscheiden sich nicht
von anderen Großmächten. Die USA haben das Veto viel öfter
eingesetzt, vor allem, um Israel zu schützen. Russland und China
dienen ihren vermeintlichen kurzfristigen Interessen, zur Hölle mit
den Opfern. Schrecklich, verabscheuungswürdig, aber alltäglich. Die
Geschichte ist voller Beispiele. Das Münchner Abkommen und der
Hitler-Stalin-Pakt kommen einem sofort ins Gedächtnis.
Aber dient das schreckliche russische Veto gegen
eine zahnlose Resolution im Sicherheitsrat tatsächlich irgendwelchen
realen russischen Interessen? Ich meine, dass es Moskau besser
wissen sollte. Seine Waffenverkäufe an Syrien sind nur ein geringer
Faktor, ebenso die russische Marinebasis in Tarsis. Es erscheint mir
eher wie ein bedingter Reflex. Wenn etwas von den USA unterstützt
wird, dann muss es schlecht sein. Letzten Endes war Ivan Petrovich
Pavlov ein Russe.
Bedeutender ist vielleicht die russische oder
chinesische Furcht vor einem neuen Präzedenzfall einer ausländischen
Einmischung in innere Angelegenheiten, wie Gemetzel, Tyrannei und
Mini-Genozid.
Aber auf lange Sicht kann es nicht im Interesse
von Russland liegen, sich hinter einer Mauer von Zynismus zu
verbarrikadieren. Ein „ehrbarer Respekt vor der Menschheit“, wie es
Thomas Jefferson formuliert hat, scheint viel moderner zu sein als
Stalins „Wie viele Divisionen hat der Papst?“
Übrigens, es wäre auch für Israel gut, sich an
Jeffersons Regel zu halten.
Bashar Al-Assad lehrt uns, dass eine völlige
Überarbeitung der UN-Charta (dringend) erforderlich ist. Mit dem
Veto muss begonnen werden.
Die Teilung der Macht, die es darstellt, ist
lächerlich veraltet. Warum China und nicht Indien? Warum Frankreich
und nicht Deutschland?
Aber das ist nur ein unwesentlicher Punkt. Der
wesentliche Punkt ist, dass es für eine Macht – oder sogar für
sieben Mächte –unerträglich ist, den Willen der Menschheit zu
blockieren. Heutzutage ist die UNO ein wahrhaftes „Vetostan“.
Wenn das Veto nicht völlig abgeschafft werden
kann - was es (eigentlich) sollte - muss ein Mechanismus gefunden
werden, um es auf eine vernünftige Art einzuschränken. Zum Beispiel
sollte eine 75%-ige Mehrheit in der Generalversammlung oder ein
einstimmiger Beschluss aller an dem Veto nicht beteiligten
Sicherheitsratsmitglieder, das Veto überstimmen können.
In einem solchen Fall sollte die UNO unter einer
neuen Art des Generalsekretärs, fähig sein, das Militär der
Mitgliedsstaaten aufzufordern, den Verbrechen gegen die Menschheit
überall ein Ende zu bereiten und somit das Eingreifen von
Organisationen wie der NATO überflüssig zu machen.
In Syrien sind keine großen Streitkräfte
erforderlich. Ägyptische und türkische Truppen sollten zusammen mit
der Freien Syrischen Armee ausreichend sein.
HAFEZ AL-ASSAD, der langjährige syrische
Diktator, bestimmte seinen Sohn Bashar zum Erben, nachdem sein
älterer Sohn bei einem Absturz ums Leben gekommen war.
Der gütig erscheinende Augenarzt wurde mit
Erleichterung aufgenommen. Er schien der geeignete Modernisierer zu
sein, mit progressiven, vielleicht sogar demokratischen Ideen. Nun
beweist er uns, dass in allen Diktatoren ein verstecktes Monster
lauert.
„Assad“ bedeutet „Löwe“. Aber Bashar ist kein
Löwe. Er gleicht eher einer Hyäne – einem Tier, das auf Jiddisch
„das lachende Biest“ genannt wird.
Nichts ist hier geblieben, worüber man lachen
könnte.
Seine Zeit ist um“ …
(dt. Inga Gelsdort, vom Verfasser
autorisiert)
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