"Nur ein gewöhnlicher Tag in
den besetzten Gebieten"
Dorothy erzählt von einer Fahrt in die
Westbank. Um 5.30 los gefahren, hat sie zunächst eine Bekannte
begleitet, die zum ersten Mal allein in die besetzten Gebiete fahren
wollte, um zwei palästinensische Kinder zu einem Krankenhaus in
Haifa zu bringen. Dorothy, war überwältigt, als eine der Familien
eine Kiste Guavas, ein großes Glas Oliven, ein Glas Käse und etwa
ein Kilo frisches Zatar als Geschenk mitbrachte. Sie wollte nicht
dass ihre Hilfe "bezahlt" wird, denn "gäbe es keine Besatzung hätten
sie unsere Hilfe nicht gebraucht... Aber ich weiß aus Erfahrung,
dass PalästinenserInnen große, freigiebige Herzen haben."
Nachdem ihre Bekannte mit den Kindern und
ihrer Begleitung losgefahren war, ist Dorothy nach Azun Atme
gefahren, damit Hani Amer, der nun sein letztes Land an die Mauer
verlieren soll, ihr den Verlauf der Mauer zeigen konnte. Als Hani
nach einer Viertelstunde noch nicht wie verabredet erschienen war,
rief sie ihn an und erfuhr, dass er an einem Checkpoint am anderen
Ende des Dorfes wartete. Früher war es eine 5-Minutenfahrt von
seinem Haus am westlichen Dorfrand bis zu seinem Land. Wegen der
Mauer muss er nun ums ganze Dorf herumfahren und durch ein
Checkpoint, was eine Stunde oder länger dauern kann. Dorothy schlug
vor, ihn am Checkpoint zu treffen. Das war aber nicht so einfach.
"Der Wachssoldat befahl mir aus 5-10m Entfernung stehen zu bleiben.
Ich sagte ihm (auf Hebräisch), dass ich gerne bereit wäre, mein Hemd
hoch zu ziehen um zu zeigen dass ich keinen Sprengstoff trug. Als er
Hebräisch hörte und meinen blauen Ausweis sag, beruhigte er sich.
Ich sagte, ich wollte mit einem Freund auf der anderen Seite des
Checkpoints sprechen.
Er sagte, das ging nicht. Ich hab ruhig darauf
bestanden. Er sagte, er müsse den Offizier fragen. Ich wartete. Der
Offizier kam und fragte, was ich wolle. Ich erklärte dass ich ein
Freund treffen wollte aber nicht die Zeit hätte, eine Stunde zu
warten, bis er durch den Checkpoint käm. Er fragte, wen und ich wies
auf Hani, der aus seinem Auto gestiegen war und sich dem Zaun
näherte. Ich erklärte, dass er sein ganzes Land wegen der Mauer
verlieren sollte und dass ich das selber nicht hätte erleben wollen.
Überraschenderweise stimmte der Offizier zu und ließ mich durch."
Dorothy beschreibt dann wie, obwohl die Leute
ruhig und "fügsam" warteten und allenfalls die Soldaten baten,
schneller zu machen, da sie zur Arbeit wollten, ein großer,
kräftiger Soldat ohne erkennbaren Grund einen Palästinenser angriff
und ihn mit Gewalt runter in ein trockenes Bachbett drängte. Ich
rannte hin und versuchte, den Soldat zu beruhigen, der den
Palästinenser anbrüllte, er habe irgendetwas Schlimmes über Russen
gesagt. Der Soldat brüllte, dass ich weggehen solle abhauen, sonst
würde er mich auch kriegen. Dann kam der Offizier und führte den
Soldat weg. Der Palästinenser behauptete, erhabe nichts über Russen
gesagt, sondern nur 'er sei ein Palästinenser der zur Arbeit
wollte', offenbar als Antwort auf der Behauptung des Soldaten, er
tue nur seine Pflicht.
"Was mir Angst machte war, dass einige
wartende Palästinenser drauf und dran waren, dem Mann zu helfen.
Verständlicherweise. Aber dann hätten die Soldaten vielleicht
angefangen, zu schießen... Viel später erzählte mir Hani, dass
solche Vorfälle mehrmals am Tag an diesem Checkpoint passierten. Das
fand ich nicht tröstlich.
Auf dem Weg raus sprach ich mit dem Offizier
und 2 Soldaten. Ich führte an, dass die Palästinenser nicht weniger
Menschen seien als die Soldaten und ich, und ich nicht glaubte, die
Soldaten sein erzogen worden, Menschen inhuman zu behandeln. Einer
der Soldaten stimmte zu, 'Sie haben recht, aber wenn Sie Tag für Tag
hierherkämen, würden Sie nach einigen Monaten auch so handeln.' Ich
bin sicher, dass da viel Wahrheit drin steckt. Der Offizier sagte
dagegen, die Checkpoints seien nötig, denn auch wenn 99 Personen
anständig sein mögen, könnte doch der 100. ein Selbstmordbomber
sein. Mein Kommentar, dass Selbstmordbomber kaum durch Checkpoints
gehen würden, hat ihn nicht beeindruckt."
Dorothy hat dann die Route der Mauer und die
Lage der Ländereien angeschaut. Nicht nur werden die Dorfbewohner
etwa 100ha Land verlieren, sondern auch mehrere Brunnen. Sie werden
vor Gericht ziehen. "Hani ist ziemlich optimistisch, dass die Route
verändert wird. Ich nicht." Später, zurück in Hares, sahen wir, dass
Leitplanken auf einer Siedlerstraße errichtet wurden, die von den
DorfbewohnerInnen häufig überquert werden muss. "Nun, zu dem Zaun,
der im Laufe des Jahres um das Dorf gebaut wurde, und ein
Scharfschützenturm, und die ganzen Bäume, die ausgerissen wurden um
Platz zu machen um die Siedlerstraße zu erweitern, müssen die Leute
auch noch über die Leitplanken steigen. "Nicht so schlimm für die
Jungen. Aber die Alten und Kranken? Aber wen störst, es sind ja nur
Palästinenser."
Nachmittags erholte sich Dorothy von der Fahrt
auf einer Hängematte im Garten. "Da ging mir plötzlich auf, dass der
Garten, den ich liebe und der fast 50 Jahre lang Teil meines Lebens
gewesen ist, in Wirklichkeit einer palästinensischen Familie gehört
- einer Familie, die ihn verlor, als sie 1948 flüchteten, weil eine
Palästinenserfamilie im Nachbardorf von Juden getötet worden war.
"Natürlich war mir dass nicht neu. Aber nachdem ich in den letzten
Jahren mit PalästinenserInnen wie Hani und Nazeeh und ihre Familien
involviert war, die ich sehr gerne mag und die zur Zeit ihr Land
verlieren, ist die Tatsache, dass das Land auf dem ich lebe mir
nicht wirklich gehört, mir erst richtig klar geworden. Ich wünsche,
ich könnte die Leute finden, denen es gehörte und mich
entschuldigen. Ihnen sagen, wie leid mir ihr Verlust tut und eine
Möglichkeit suchen, sie zu entschädigen.... Ich bezweifle, dass das
passieren wird. Ich zweifele aber auch, dass ich jemals wieder das
Gefühl haben werde, dass der Garten den ich die ganzen Jahre geliebt
habe, in den ich so viel Arbeit gesteckt habe, wirklich mir gehört.
Schließlich haben die Menschen, denen er einst
gehörte, ihn auch geliebt, wohl kein Deut weniger als ich."
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Gruß, Anka