Liebe Leute,über den Horror in Beit Hanun will
ich, muss ich hoffentlich, nicht berichten, da das ausnahmsweise
auch in unseren Medien geschieht. Dass unter den Toten auch zwei
Ärzte sind, die mit dem Roten Halbmond medizinische Hilfe brachten,
finde ich besonders grausam. Endlich werden auch international
Stimmen wach, aber von der Sitzung des Sicherheitsrates, das für
gestern Abend einberufen wurde, habe ich noch nichts gehört.
Wie können wir unserer Stimme - die Stimme der
PalästinenserInnen, der israelischen FriedensfreundInnen mehr Gehör
verschaffen, das ist die große Frage. Wie können wir effektiver
gegen die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs, die als
konzertierte Aktion in ganz Europa und USA als Waffe gegen jegliche
Israelkritik eingesetzt wird, vorgehen?
In Südafrika wird - wahrscheinlich vergeblich - aufgerufen zu
einem Boykott Israels seitens der Diamantenindustrie. Da fast alle
Diamanten der Welt in Israel geschliffen werden (wie ich auf der
jüngsten Reise erfuhr), wäre dies ein Schritt, der wirklich etwas
bewirken könnte. Die Südafrikaner heben hervor, dass die
Palästinenser die Boykottaktion gegen das Apartheidregime
unterstützt hätten, nun müsse Südafrika die gleiche Solidarität
erweisen.
Und wir?
-------------------------
Fast lyrische Beschreibungen der Olivenhaine und die heitere
Atmosphäre der Ernte wechseln ab mit Berichten über Siedler, die
immer wieder die Erntearbeit stören und die Leute vertreiben - was
nicht schwierig ist, da Siedler auch schon mal scharf geschossen
haben, und die Angst groß ist - oder aber einfach selber die Oliven
ernten, also stehlen. Ein Befehl des Obersten Gericht, dass die
PalästinenserInnen bei der Ernte geschützt werden sollen, und das
immer wieder der Polizei und dem Militär vorgezeigt wird, wird glatt
ignoriert. Wirkung zeigt nur der Einsatz von israelischen
Menschenrechtsorganisationen, denen es nach längeren Verhandlungen
meist gelingt, das Recht der PalästinenserInnen schließlich
durchzusetzen. Unglaublich, mit welcher Geduld die Olivenernter sich
zurückziehen, abwarten, ihre Pläne durchkreuzt, ihre Oliven geraubt
sehen, wissend, dass jeder Versuch, dagegen anzugehen,
unvorhersehbare Reaktion hervorrufen kann.
Mehrere Berichte kommen von Dörfern im Umkreis von Nablus, wo die
Besitzer der Olivenhain zum Teil zum ersten Mal in 6-8 Jahren
versuchen, ihre Oliven zu ernten. Zum Teil wurden Siedler
tatsächlich von der Polizei zurückgehalten, zum Teil mussten
Ernteaktionen abgebrochen werden. Bei anderen Einsätzen wurden die
Leute aber auch mit Gewalt vertrieben, auch internationale
BegleiterInnen erhielten Tritte und Steinwürfe, im Angesicht der
Soldaten, die tatenlos daneben stehen, obwohl sie per Dekret
verpflichtet sind, die Erntenden zu schützen. Die Siedlung Elon
Moreh, nahe Nablus, ist eine der ältesten in der Westbank und hat
explizit gesagt, dass es ihr Ziel ist, die Schaffung eines
palästinensischen Staates zu verhindern. Sie haben sich an einigen
gewaltsamen Angriffen beteiligt, bei denen auch Palästinenser
getötet wurden.
- -------------------
Aber auch an den Checkpoints geht Erniedrigung und Gewalt weiter.
An einem Checkpoint in Nablus wurden nur ganz langsam Fahrzeuge
durchgelassen, um 14 Uhr schließlich der Betrieb ganz geschlossen.
Die Menschen in mehreren 100m langen Schlangen warteten geduldig bis
zum Abend eines kalten und regnerischen Tages. Ein LKW Fahrer der
zum Aussteigen gezwungen wurde und sein Hemd heben sollte, um zu
zeigen, dass er keinen Sprengstoffgürtel trug, hat sich aus
Ehrgefühl geweigert und wurde ins Bein geschossen, anschließend
wurde er vom Militär abtransportiert. Die Leute, die bereits 8
Stunden warteten, hatten keine Möglichkeit, zurückzufahren und in
Nablus zu übernachten. Nach längeren Verhandlungen gelang es den
Beobachtern, dass Frauen, ältere Männer und Kinder durchgelassen
wurden. Nach weiteren Stunden - in denen auch die Soldaten immer
nervöser wurden, gaben sie schließlich nach und ließen die jüngeren
Männer in zwei Büssen durchfahren. Die MenschenrechtsbeobachterInnen
erfuhren inzwischen, dass die Stadt voller Spezialeinheiten und
?Soldaten sei, und es bewaffnete Zusammenstöße gegeben habe. Sie
warteten vor einer Moschee bis die Lage sich beruhigt hatte.
-----------------------
In Hebron gab es eine spontane Demo als Reaktion auf die
Nachrichten aus Beit Hanun. Kurz vor Mittag versammelte sich eine
große Menge meist jüngerer Männer und Frauen mit Hamas- und
Palästinaflaggen. Sie zogen durch einige Straßen; bald nahmen Jungen
die Führung, warfen mit Steinen auf Soldaten und zündeten Reifen an.
Glücklicherweise blieben die Soldaten einigermaßen ruhig und
vertrieben die Jungen schließlich mit Tränengas bevor es zu
schlimmeren Ausschreitungen und Gewalt auf beiden Seiten kam.
----------------------
So erfreulich der Wahlausgang in USA ist, mit seinem deutlichen
Denkzettel für Bush und Rumsfeld, so ändert er leider nicht das
geringste an der Israelpolitik. Gestern habe ich diesbezüglich an
Köhler, Merkel und Steinmeier geschrieben, morgen nehme ich mir die
auch von mir gewählten VertreterInnen meiner Wahladresse in NY vor,
darunter auch Hillary Clinton. Da in NY mehr Juden leben als in Tel
Aviv, werde ich damit wohl kaum etwas erreichen, dennoch muss der
Versuch gemacht werden. Vielleicht frag ich auch die neue Sprecherin
des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi zu ihrer Meinung darüber -
sie wird von den Republikanern immerhin als Linke gesehen.
Je mehr Briefe die Leute kriegen, desto größer wird schließlich
der Druck.
In diesem Sinne grüße ich, Anka