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ief-aus-Israel]


 

 From: "Angelika Schneider" <anka.sch(at)gmx.net To: <Brief-aus-Israel(at)yahoogroups.de Subject: [Brief-aus-Israel] Aktuelles aus den besetzten Gebieten  

 

Brief aus Israel 2.11.06
 

Liebe FreundInnen,

ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe einige Berichte von gestern gelesen und sie hauen mich einfach um - wenn man gerade dagewesen ist, ist alles soviel näher und lebendiger dass es schier unerträglich wird. Dabei haben wir selber nichts wirklich Schlimmes erlebt.

Als wir unter Gesang und Gelächter vorige Woche Oliven ernteten - auf dem des lustigen jungen Mitarbeiters des Arab Educational Institutes in Bethlehem, das unser Gastgeber für die Wochen war - gab es keine Siedler, die uns mit Steinen, Schimpfen, Pöbeleien und Schlägen zu vertreiben suchten, keine Soldaten oder Polizei, die unsere Ausweise verlangten, die Siedler aber gewähren ließen - trotz der Gerichtsverfügung, die die Palästinenser ihnen vorzeigten. Eine Verfügung des obersten israelischen Gerichts, das ihn das Recht zusichert, auf ihre Grundstücke zu gehen und ihr Land zu bearbeiten, und die Soldaten verpflichtet, sie vor den Siedlerangriffen zu schützen.

Oder soll ich vom vorigen Freitag in Bil'in berichten, wo wir an der wöchentlichen Demo teilnahmen? Auch wir wurden wir durch Knallbomben und Tränengas vertrieben und suchten bald wieder Schutz im Dorf, aber erst jetzt erfahre ich, dass dabei ein 12-jähriger Junge mit scharfer Munition in den Hals getroffen wurde und weitere 16 Menschen verletzt wurden durch explodierende Tränengaskanister oder Knallbomben oder von den Schlagstöcken des Militärs. Eine über 80-jährige Frau wurde sogar in ihrem Haus am Rande des Dorfes direkt getroffen. Vielleicht hab ich an ihrer Mauer gestanden, als ich meine Zwiebel aus der Tasche holte und mir zusätzlich ein Taschentuch vor Mund und Nase hielt (so war es einigermaßen erträglich).

Oder soll ich von dem 2-jährigen Mädchen berichten, das im Gefängnis geboren wurde und so lange bei ihrer Mutter bleiben durfte, nun aber von einem fast fremden Vater weggeholt werden muss? Die 'administrative Haft' der Mutter wurde inzwischen zum vierten Mal verlängert, ohne Anschuldigung, ohne Prozess. (Siehe Foto im Anhang).

Oder soll ich erzählen von der jungen Frau, Malak, die auf einer Matratze sitzt und mit leeren Augen auf ihren Ehering starrt - mehr als diesen und das in ihr wachsende Kind hat sie nicht mehr von ihrem Mann, den sie vor wenigen Wochen geheiratet hat und der nun eine Kugel im Kopf hat - getroffen von Soldaten, die erst seinen auf dem Dach stehenden Bruder anschossen, dann den zweiten, ihm zu Hilfe eilenden, schwer verletzten und schließlich den jungen Ehemann erschossen, als er auf die Straße lief, um ein Auto anzuhalten und die Brüder zur medizinischen Station zu bringen? Eine junge Frau, die vermutlich nun wählen kann zwischen einer Ehe mit einem der Brüder (wie lange werden sie überleben?) oder der Rückkehr in ihrer Familie (wenn diese sie aufnimmt), um, allein mit ihrem Kind entgegen der Sitte des Volkes, zum Dorfgespott wird.

Oder - und damit auch genug für heute - ich übersetze einfach ein Teil eines Berichts einer Studentin der Bir Zeit Universität, die von ihrem letzten Durchgang durch den Huwarra Checkpoint vor Nablus erzählt: Ich weiß nicht, wie Leute das jeden Tag machen können. Es ist so erniedrigend. Ich war vor zwei Tagen mit einer Kollegin zu Fuß am Huwarra Checkpoint und habe es alles erlebt. Wir verließen Nablus gegen Mittag auf dem Weg zurück nach Ramallah. Es war nicht das erste Mal, dass wir durch Huwarra zu Fuß gingen, aber das schlimmste. Es gab eine lange Schlange Autos die warteten, bis sie dran waren. Wir gingen direkt zu dem "grauen Unterstellplatz" wo alle Fußgänger stehen und warten. Es gab viel mehr Leute als sonst, 300 Männer und Frauen aller Altersgruppen. Wir stellten uns hinter den Frauen an wie immer. Fast eine halbe Stunde ging vorüber und wir standen immer noch auf demselben Fleck. Der einzige Unterschied war, dass wir nun in der Mitte der Schlange eingequetscht waren, von Frauen und Kindern umgeben, links Männer unter 50, rechts Männer über 50. Es gab keine Grenzen, so wurde jeder gegen jeden geschoben und eine junge Frau neben mir wunderte sich, dass ich mich laut entschuldigte, es war mir aber so peinlich und stressig, vor allem als ich mich nach einiger Zeit neben der Schlange der älteren Männer rechts fand und mein Arm ungewollt ihr traf. Ich fühlte unserer beider Unbehangen, wusste aber, dass wir uns nicht bewegen konnten.

Plötzlich sah ich ein Mann in den Vierzigern der auf ein Soldat auf der Straße zuging. Er hatte in der unter-50 Schlange gestanden und durch die ganze Prozedur des Drängens und Schiebens bis zum eisernen Tor gegangen war. Er dachte, die Altersgrenze sei 45, da die Soldaten an manchen Tagen die Altersgrenze senken, und stand in der falschen Schlange. Der Mann konnte das nicht akzeptieren und ertrug es nicht, die ganze Prozedur nochmal durch zu machen. Er versuchte den Soldat zu überreden, ihn durchzulassen, dieser weigerte sich aber und fing an laut zu schreien mit seinem Gesicht wenige Zentimeter vor dem des anderen. Er sah mir aus wie ein Stier, der angreifen will. Ich hatte Angst um sein Zustand als er da hilflos und blaß stand. Er hatte keine Wahl als zurück zu gehen.

Kurz bevor ich von den Körpern um mich herum ganz fest gehalten wurde, als ich noch die Hände nach oben und unten bewegen konnte, wurde eine junge Frau in meinen Armen ohnmächtig. Ich hörte einen Mann sagen, "gib ihr Wasser, lass sie trinken", ohne das jemand reagierte. Mir wurde bewusst, dass Ramadan sei. Ich holte ungerne die Flasche heraus, die ich im Beutel für mich hatte, wusste aber, was ich tun musste. Ihre Freundin goss ihr etwas Wasser übers Gesicht um sie abzukühlen, aber obwohl sie ihr sagte, sie solle trinken, als sie wach wurde, weigerte sie sich, ihr Fasten zu brechen. Nach wenigen Sekunden verschwand sie schwindlig wieder in der Menschenmasse.

Wir waren gedrängt wie die Sardinen. Nach der ersten halben Stunde veränderte sich das Gemüt der Menschen und sie wurden aggressiv, um irgendwie rauszukommen. Man verliert jegliches Gefühl für "den anderen" und denkt nur an sich selbst und will durch. Ich musste das auch tun um zu verhindern dass ich gegen eine Eisenstange gedrückt wurde die mir starke Schmerzen im Rücken und den Nieren verursachte. Ein 15-jähriger Junge schob eine ältere Frau schamlos und schrie ihr ins Gesicht, Säuglinge von wenigen Monaten schrien endlos weil sie keine Luft bekamen, Mütter schreien ihre Kinder an und schlagen sie um ihre Schreie zu stoppen, die aber nicht still sein können. Ich beneidetet sie sogar, dass sie weinen konnten. Männer brüllten die Frauen an, sie sollten in ihrer Schlange bleiben. Welche Schlange?

Ein junger Mann hinter mir, besser "an mich geklebt" schrie die Frauen an (auch mich) "warum geht ihr auch nach Nablus?" als hätten Frauen in Nablus nichts zu suche??? Ich überlegte, warum ich da war. Wurde "Training" ihm als ein guter Grund erscheinen? Ich glaube nicht, dass er verstanden hätte. An diesem Ort denkt man nur an die grundlegenden Dinge des Lebens. ..Krankenhaus vielleicht, vielleicht auch Schule oder Universität, ich bin aber sicher dass jeder einen guten Grund hat.

Keiner würde freiwillig durch den Huwarra Checkpoint gehen. Ich kann ihn verstehen, aber es klang beschuldigend. An einem gewissen punkt vergessen die Leute wir uns das an tut und wir sinken dazu herab uns gegenseitig zu beschuldigen, dass wir zuviele Taschen haben, zu viele Kinder, zuviele Worte reden, uns schieben weil wir von hinten geschoben werden! Das ist das Ziel der Israelis. Es ist ein schreckliches Erlebnis. So verletzend und so traurig machend.

Anka

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