Die islamische Welt im Fadenkreuz der US-Sicherheitspolitik.
Der Streit um
Irans Nuklearprogramm: Trommeln für einen neuen Golf-Krieg
„Die selbstgerechten Mächte haben die
islamische Welt und deren Bastionen im Visier“, sagte kürzlich der
Ex-Parlaments- und Staatspräsident der Islamischen Republik Iran Ali
Akbar Haschemi Rafsanjani. Rafsanjani, der vor der versammelten
Geistlichkeit in der nordiranischen Stadt Maschhad sprach, sieht den
enormen Druck des Westens auf den Gottesstadt in Gestalt der IAEO
(Internationale Atom-Energie Organisation). „Jene Organisation, die ins
Leben gerufen wurde, um den Weltfrieden zu fördern und die friedliche
Nutzung der Kerntechnologie allen Mitgliederstaaten zu ermöglichen,
sieht tatenlos zu, wie das Nukleararsenal des zionistischen Israel die
ganze Region bedroht. Jene Organisation, die nun uns den Zugang zur
Nukleartechnologie mit aller Gewalt verbieten will.“ Der starke Mann in
Teheran und Vorsitzende des Feststellungsrates fordert Irans
„Staatsdiener“ dazu auf, interne Streitigkeiten beizulegen und die Würde
des Islam und des Iran zu verteidigen. Rafsanjanis Äußerungen können
gewiss kein Spiegelbild der Meinung der iranischen Gesellschaft und
Nation abbilden und erst recht nicht als Maßstab für die Analyse und
Beurteilung des iranischen Atomprogramms gelten. Als Mann der ersten
Stunde der Islamischen Republik mit Schlüsselpositionen dürfte er in
einer post-islamisch-republikanischen Ära in den ersten Reihen einer
„Wahrheitskommission“ Platz nehmen. Doch seine Äußerungen in der Sache
sind zumindest eine Überlegung wert.
Die USA und die islamische Welt
In den letzten 14 Jahren sind vier
großangelegte internationalisierte Feldzüge unter der Führung der
Vereinigten Staaten geführt worden: der Kuwait-Krieg (1991), der
Jugoslawien-Krieg (1999), der Afghanistan-Krieg (2002) und der
Irak-Krieg (2003). Mit Ausnahme des Krieges gegen Slobodan Milesovic,
der zu spät und erst nach den Massakern an Muslimen (Srebrenica)
auf dem Balkan geführt wurde, waren die anderen drei gegen muslimisch
bevölkerte Staaten gerichtet. Hinzu kommt die nahezu uneingeschränkte
Rückendeckung der Regierung Sharons durch die Vereinigten Staaten, die
seitens der Muslime auch zweifellos als ein zynischer Akt der
Verschwörung gegen die Welt des Islam wahrgenommen wird. Gewiss weint
niemand den Taliban und Saddams Regime Tränen nach. Doch spätestens nach
dem Waffengang gegen den Irak landete Amerika „auf dem Zenit seiner
politischen Unglaubwürdigkeit“ (Jimmy Carters Nationaler
Sicherheitsberater Zbigniew Brezezinski).
Noch nicht von der Bauchlandung im Irak
erholt, suchen nun die Falken im Weißen Haus eine neue Front für die
zweite Amtsperiode der Bush-Administration: die Islamische Republik
Iran. Der Nahe Osten soll von den der USA Stirn bietenden Regimes
gesäubert werden und welches Regime verkörpert den Anti-Amerikanismus in
der Staatenwelt so vehement wie das der Mullahs in Teheran. Die
18jährige Entwicklung des Atomprogramms des Gottesstaates nimmt
Washington zum Anlass, durch eine konzertierte Aktion die internationale
Gemeinschaft zunächst mental auf einen Feldzug gegen den Iran
vorzubereiten. Das Szenario gleicht allzu sehr dem des Vorabends des
Irak-Krieges. Während IAEO-Generalsekretär El Beradei beteuert, man
habe zwar Bedenken gegen die Entwicklung des iranischen
Nuklearprogramms, jedoch habe man bislang keine stichhaltigen Beweise
über militärische Absichten und eine diesbezügliche Nutzung Teherans
finden können.
Zweierlei Maßstab
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die
Aggressionen der „selbstgerechten Mächte“ (Rafsanjani) gegen die
islamische Welt und deren sture und unnachgiebige Stütze, den Staat der
Ayatollahs gerichtet. Wer interessiert sich heute für Castros einsames
Kuba? Wer interessiert sich für die Weigerung Brasiliens, das
Zusatzprotokoll des Atomsperrvertrages zu unterzeichnen? „Brasilien muss
auf eine eventuelle Veränderung der Weltlage vorbereitet sein“, sagte
kürzlich Rio de Janeiros Technologieminister Roberto Amaral. Jener
Minister, dessen ungeschicktes Statement Staatspräsident Lula da Silva
relativieren musste: „Brasilien sollte zum Bau der Atombombe in der Lage
sein“, so Amaral vor einiger Zeit. Außenminister Celso Amorim stellte
klar: „Brasilien werde die eingegangenen Verpflichtungen aus dem
Sperrvertrag einhalten - aber unsere technologischen Geheimnisse werden
wir nicht preisgeben.“ Solche Äußerungen der hochrangigen Offiziellen
eines technologisch hochentwickelten Exportlandes erregte bislang weder
die IAEO noch die internationale Gemeinschaft allen voran die USA und
die EU sonderlich. Dabei ist Rio de Janeiro bislang im Gegensatz zum
Iran weder dem Zusatzprotokoll beigetreten noch hat es Inspektionen
(angemeldete wie unangemeldete) seiner Atomanlagen zugelassen. Als
Ergebnis des EU-Triobesuches in Teheran hat Irans Vertretung bei der
IAEO im Dezember 2003 das Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag
unterschrieben. Um Vertrauenswillen zu demonstrieren, stoppte der Iran
sein Urananreicherungsprogramm vorläufig und ließ unangemeldete
IAEO-Inspektionen zu. „Der vorläufige freiwillige Stopp unseres
Urananreicherungsprogramms sollte ein Zeichen guten Willen des Iran
sein. Die IAEO hatte ein Jahr lang Zeit, sich von unseren friedlichen
Absichten bezüglich unseres Nuklearprogramms zu überzeugen. Keine
Institution kann uns unsre Rechte streitig machen“, so Hassan Rouhani,
Generalsekretär des obersten Nationalen Sicherheitsrates des Iran
gestern in einem Interview.
In der Wiener Atom-Energie- Behörde soll man
sich sicher sein, dass der Iran mit der Organisation derzeit weitaus
stärker kooperiert als Brasilien. Vom Außenministertrio aus Berlin,
Paris und London, das „allmählich die Geduld über den Iran verliert“,
sind keine besonders kritischen Äußerungen gegen Brasiliens
Nuklearvorhaben bekannt.
Warum insistieren die Mullahs auf ihr
Nuklearprogramm?
Nach der Vertreibung der irakischen Truppen
von den iranischen Grenzen während des Iran-Irak-Krieges (1980-88)
beharrte die Islamische Republik auf der Fortsetzung des Krieges, bis
der Aggressor (Saddam Hussain) bestraft bzw. gestürzt wäre. Khomeinis
Truppen überquerten die irakischen Grenzen, eroberten die ölreichen
Inseln Majnun und Fao und standen vor den Toren Basras, der zweitgrößten
irakischen Stadt. Das ganze geschah unter den für den Iran denkbar
ungünstigsten Bedingungen. Baghdad profitierte während der gesamten
Kriegsjahre vom Zufluss der arabischen Petro-Dollars sowie den massiven
Waffenlieferungen aus Ost und West, während der Iran die Ersatzteile für
sein amerikanisch geprägtes Waffenarsenal auf dem freien Markt zu
überhöhten Preisen einkaufen musste. Die skrupellose Armee Saddams setze
bereits Mitte der 80er Jahre Chemiewaffen, speziell Giftgas, gegen die
anrückenden iranischen Truppen ein. Hunderte Scud-Raketen bestückt mit
Senfgas schlugen mitten in die iranischen Soldaten ein. Die massiven
Proteste Teherans gegen diesen eklatanten Bruch internationaler
Abkommen seitens des Irak fanden keinen Widerhall in der internationalen
Gemeinschaft. Im März 1988 wurde die kurdisch bewohnte Stadt Halabja im
Norden Iraks von der irakischen Luftwaffe flächendeckend mit Giftgas
bombardiert, in deren Folge über 3000 kurdische Zivilisten starben. Die
Stadt war zuvor von den iranischen Truppen eingenommen worden. Die
Iraner filmten das grausame Verbrechen und die erschütternden Bilder
gingen um die Welt. Der große Aufschrei blieb aus. Stattdessen bereiste
der irakische Außenminister Tareq Aziz Washington und europäische
Hauptstädte, darunter Bonn, wo er warmherzig empfangen wurde. Jene
Staaten, die heute dem Iran unter Ausübung enormen Drucks ein Ultimatum
setzen und allmählich die „Geduld mit Teheran verlieren.“ Zum Überdruss
der iranischen Führung griff die US-Marine in den Krieg ein, indem sie
irakisches Öl verschiffende kuwaitische Tanker eskortierte. Ein
beachtlicher Teil der iranischen Marine wurde in Gefechte verwickelt und
versenkt. Schließlich schoss der US-Zerstörer „Vincennes“ ein iranisches
Passagierflugzeug mit 290 Insassen an Bord ab. Der Iran musste Jahre
lang mitverfolgen, wie die internationale Gemeinschaft ihre
rechtlich-politischen Ressourcen erfolgreich einsetzte, um die
Drahtzieher des Anschlages von Lockerbie, bei dem 1988 250 Passagiere,
zumeist amerikanische Bürger, ums Leben kamen, zu überführen und alle
Hinterbliebenen zu entschädigen. Bei all diesen Ereignissen musste der
Iran zur bitteren Erkenntnis gelangen, dass er in den entscheidenden und
das Land enorm gefährdenden Momenten auf sich allein gestellt ist. „Der
Geruch der Chemiebomben vergiftete und tötete unsere Soldaten. Saddam
wurde immer skrupelloser und die Weltgemeinschaft ließ ihm freien Lauf.
Die Iraker griffen alles an, militärische und zivile Objekte,
Passagierflugzeuge, sie zielten auf alles und dabei bedienten sie sich
massiver chemischer Waffen. Sie kannten keine Grenzen. Alles war nun
angreifbar und verwundbar geworden. Wir konnten und wollten nicht so
zurückschlagen“, so der Ex-Parlaments- und Staatspräsident Rafsanjani in
einem Interview mit der iranischen Zeitung Hamschahri. Saddams Überfall
auf Kuwait bestärkte den Iran in der Annahme, er könnte wieder in
Versuchung kommen, den großen Nachbarn anzugreifen.
Die Gefährdung des Iran durch Saddam Hussain
ist nun Geschichte. Doch die Islamische Republik ist von Nuklearmächten
(China, Indien, Pakistan und Israel) umgeben. US-GI´s und Militärberater
sind rund um den Iran herum stationiert. Der Iran bildet den Kernstaat
der „Achse des Bösen". Für die Mullahs gibt es keine Garantie, nicht das
nächste Angriffsziel Amerikas zu werden. Unter diesen komplizierten
Rahmenbedingungen wird es schwer, die Machthaber in Teheran davon zu
überzeugen, dass sie auf ihr Atomprogramm verzichten sollten. Mit einem
konservativen Parlament im Rücken, bekundete Außenminister Kharazi mit
neu gewonnenem Selbstbewusstsein die Verärgerung Teherans gegenüber der
EU. Sollte die EU dem Druck Washingtons nachgeben, gäbe es keinen Grund
mehr zur Kooperation.
Die internationale Gemeinschaft zeigt
Verständnis für die Vereinigten Staaten, die zehntausende Kilometer weit
von ihren Grenzen entfernt um ihre Sicherheit bangen. Nicht aber für ein
Land, welches mitten in der turbulentesten Region der Welt, umgeben von
amerikanisch besetztem Territorium oder von US-Verbündeten auf sich
allein gestellt ist. Das EU-Trio setzt den Iran unter immensen Druck und
fordert die IAEO auf, den Mullahs ein Ultimatum bis zu der nächsten
Sitzung ihres Gouverneurrates am kommenden 25. November zu stellen, was
nun als Resolution des Gouverneurrates verabschiedet worden ist. Sollte
Teheran die „Ungereimtheiten seines Nuklearprogramms“ nicht offen legen
und beseitigen, würde der Fall dem UN-Sicherheitsrat zur Entscheidung
vorgelegt werden. Das ganze auf den Druck jener Weltmacht hin, die in
jüngster Zeit mehr als jeder andere Staat auf der Welt Kriege geführt
hat.
Doch der Siebzig-Millionen-Einwohner-Staat
Iran ist weder Afghanistan noch der Irak. Als einzig verbliebener ernst
zu nehmender der USA Stirn bietender Staat auf der Bühne der Weltpolitik
kann es sich der Gottesstaat nicht leisten, einen Präventivschlag
Amerikas oder Israels gegen ihre Nuklearanlagen unbeantwortet zu lassen.
Die Mullahs würden aufgrund mangelnder militärischer Kapabilitäten zu
einem direkten symmetrischen Gegenschlag nicht in der Lage sein. Doch
könnten die Ayatollahs ihre globalen Netzwerke aktivieren und dem
internationalen Terrorismus abermals eine neue Dimension verleihen. Aus
einem Waffengang gegen die Islamische Republik könnten die Völker des
bekriegten Trios: Afghanistan, Irak und Iran als endgültiges Bündnis
hervorgehen. Das dürfte aus der bis dato regional begrenzten Krise
abermals eine Weltkrise mit dem viel beschworenen Zivilisationenkrieg
werden lassen. Samuel P. Huntington lässt grüßen.
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